Herne. Die Herner Autorin Astrid Pfister hat eine Brieffreundschaft mit einem Mann in der Todeszelle. Er ist unschuldig, sagt sie – und kämpft für ihn.
Die Herner Autorin und Lektorin Astrid Pfister (42) unterhält seit zwölf Jahren eine ungewöhnliche Brieffreundschaft: mit dem US-Amerikaner Eric Cathey (51), der seit 1996 im Todestrakt eines Gefängnisses im US-Bundesstaat Texas sitzt.
Wie kommt man zu einer Brieffreundschaft mit einem Mann in einer Todeszelle?
Ich bin schon lange gegen die Todesstrafe. Als Teenager habe ich das Buch „Dead Man Walking“ gelesen. Es ist die wahre Lebensgeschichte einer Nonne, die einen Brief von einem Mörder erhält, der zum Tode verurteilt wurde. Er bittet sie, ihm bei einem letzten Gesuch auf Berufung und seiner Hinrichtung beizustehen. Dadurch entsteht ein enger Kontakt zwischen dem Todeskandidaten und der Nonne. Das Buch hat mich sehr beeindruckt. Danach habe ich mich mit dem Thema intensiver beschäftigt und viele Petitionen gegen die Todesstrafe unterschrieben. Irgendwann reichte mir das nicht mehr aus und ich habe nach einem Kontakt für eine Brieffreundschaft mit einem Todeskandidaten gesucht.
Wie haben Sie das gemacht?
Über die Internetseite Initiative-gegen-die-Todesstrafe.de. Darüber werden Kontakte zu Todestrakt-Insassen vermittelt. Ich wollte eine Brieffreundschaft zu jemandem in einem Gefängnis in den Südstaaten. Dort sind die Bedingungen für die Gefangenen am schlimmsten. Ich wollte ihm Unterstützung und Hilfe geben: Irgendwann wird man verrückt in der Todeszelle. Ich habe mir Eric nicht ausgesucht, weil er unschuldig ist. Ich wusste vor dem ersten Brief nichts über seinen Fall und kannte die Tat nicht, die ihm vorgeworfen wird.
Sie sagen, er ist unschuldig?
Eric soll Anführer eines Drogenkartells gewesen sein und eine Frau, ein Mitglied eines anderen Kartells, entführt und erschossen haben. Das hat er nicht gemacht, definitiv nicht.
Warum sind Sie sich da sicher?
Ich habe die alten Gerichtsakten studiert. Es gibt viele Ungereimtheiten und Widersprüche in seinem Fall, und sein Prozess mit einem Pflichtverteidiger war eine einzige Farce. Ein paar Beispiele: Eine Zeugin belastete Eric im Prozess, dass er ihr die Tat gestanden habe. Zu dem Zeitpunkt, als er das gesagt haben soll, war er aber schon in Haft. Außerdem hatte er ein Alibi für den Tatabend – er war zu Hause bei seiner Freundin. Als sie für ihn aussagen wollte, wurde sie von der Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt, ihr wurde angedroht, dass man ihr die Kinder wegnehmen könnte, deshalb schwieg sie. Zur Last gelegt wurde ihm auch die Aussage eines Mitgefangenen. Der aber gab später zu, dass er falsch ausgesagt und einen Meineid begangen hatte, um einen Deal mit der Staatsanwaltschaft zu bekommen - vergeblich. Es gab auch Hinweise auf andere Täter, diesen Spuren wurde aber nie nachgegangen. Es gibt also keine Beweise für seine Schuld.
Worüber schreiben Sie sich?
Über Gott und die Welt. Eric schreibt mir von seinem Alltag im Gefängnis, die Entwicklung in seinem Fall, seiner Kindheit, seiner Familie, aber auch seinen Träumen. Und ich erzähle von mir: meinem Leben, meiner Arbeit, meinem Alltag. Wir schicken uns aber auch gegenseitig schon mal Witze oder ich schreibe was über den Inhalt des neusten Avengers-Films. Eric ist großer Marvel-Fan, hat aber seit seiner Inhaftierung keinen einzigen Film mehr gesehen. Wenn ein Brief nach zwei bis drei Wochen angekommen ist, schreibt der Empfänger die Antwort. So geht’s immer hin und her. 200 Briefe habe ich nun schon bekommen. So ist er für mich ein richtiger Freund geworden.
Wie ist sein Alltag im Todestrakt?
Menschenunwürdig. Eric lebt in einer kleinen Zelle, in der er 23 Stunden pro Tag eingesperrt ist. Einmal am Tag darf er für eine Stunde raus, zum Duschen oder ins Freie. Ansonsten ist er alleine. Ohne Kontakt zu anderen, ohne Fernsehen, ohne Arbeit, ohne Internet. Nur ein Radio darf er haben. Der Alltag ist von Schikane geprägt: Das Essen ist ungenießbar, davon hat er schon Lebensmittelvergiftungen bekommen. Frühstück gibt’s um 3 Uhr in der Nacht, wer verschläft bekommt nichts, im Winter ist es eisig kalt, weil angeblich die Heizungen ausgefallen sind, im Sommer ist es brütend heiß, weil angeblich die Klimaanlage nicht funktioniert. Und es gibt brutale Wärter.
Hat er eine Chance auf eine neue Verhandlung?
Daran klammert er sich. Das ist aber schwierig. Er bräuchte einen Ermittler, der den ganzen Fall neu aufrollt, der alte und neue Zeugen befragt und Beweise für seine Unschuld findet. Und er braucht einen Anwalt, der ihn vertritt. Das alles würde hunderttausende Dollar kosten, die er nicht hat. Ohne Ermittler kann da auch kein Pro-Bono-Anwalt helfen. Eric will die Hoffnung nicht aufgeben, aber die Zeit wird immer knapper für ihn. Was er tun kann, sind Petitionen zu schreiben und um Aufschub zu bitten. Irgendwann ist aber alles erschöpft.
Wann könnte das Todesurteil vollstreckt werden?
Das weiß man nicht. 2008 hatte er einen Hinrichtungstermin bekommen, einen Tag vorher erhielt er dann einen Aufschub. Seither lebt er mit dem Wissen, dass er jeden Tag einen neuen Brief mit einem Datum bekommen kann.
Was tun Sie für Ihren Freund?
Die Brieffreundschaft allein ist schon viel wert. Er ist ein unglaublich positiver Mensch, aber zwischendurch auch depressiv. Unser Austausch ist für ihn ein Lebensinhalt. Aber ich schicke ihm auch mal Bücher, damit er etwas zu lesen hat, oder etwas Geld, damit er sich im Gefängnis-Shop eine Suppe oder Briefumschläge und Briefmarken kaufen kann. Ich unterstütze ihn aber auch in seinem Fall. Ich habe mir seine Akte besorgt und sie gelesen oder Pro-Bono-Anwälte und Hilfsorganisationen angeschrieben, außerdem eine Homepage aufgebaut, die sein Leben und seinen Fall schildert. Auch habe ich versucht, Spenden zu sammeln, aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. An dem Fall beiße ich mir die Zähne aus.
Würden Sie ihn gerne mal besuchen?
Ja, aber selbst das ist teuer, schwierig zu organisieren und am Ende womöglich ohne Erfolg. Eric müsste mich erst auf eine Besucherliste setzen, dann müsste ich etwa ein halbes Jahr auf einen Termin warten. Wenn ich schließlich einen bekomme, müsste ich hinfliegen, mir eine Unterkunft und einen Transport suchen – um für eine Stunde, getrennt durch eine Glasscheibe, mit ihm sprechen zu können. Ob das am Ende aber auch klappt, ist nicht sicher. Es wurden auch schon Termine von Besuchern gecancelt, die am Gefängnistor standen.
Sie sind Autorin. Wann schreiben Sie ein Buch über Eric Cathey?
Mit dem Gedanken habe ich schon öfter gespielt. Vielleicht schreibe ich mal eine Biografie über ihn, die seine Kindheit und seinen Fall schildert. Oder einen Roman, der in der Todeszelle spielt. Das Thema Todesstrafe sollte man in Deutschland auf jeden Fall bekannter machen.
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>>> WEITERE INFORMATIONEN. Lektorin und Autorin
Astrid Pfister wurde 1980 in Westerholt geboren und lebt heute in Herne-Sodingen. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder (19 und 24). Sie arbeitet als Lektorin und Autorin.
Sie schreibt Kurzgeschichten, Gedichte, Kinderbücher und Romane. Mit Eric Cathey hat sie 2013 den Gedichtband „The Seven Chambers of our Expression” veröffentlicht. Zuletzt erschienen von ihr das Kinderbuch „Finns aufregende Reise“, der Liebesroman „Wie ein Leben ohne Dich“ und die fiktive Biografie „Bücherleben“.
Ihre Webseite „Befreit Eric Cathey“ findet sich auf ericcathey.beepworld.de. Sie gibt Einblick in das Leben des Strafgefangenen, seinen Fall und das Gefängnis.
Erreichbar ist Astrid Pfister per E-Mail: astridpfister@yahoo.de