Lüdenscheid/Herne. Die marode Rahmede-Talbrücke auf der A45 wird am 7. Mai gesprengt. Die komplexen Vorarbeiten übernimmt das Herner Unternehmen Heitkamp.

Der Termin steht: Am 7. Mai soll die Rahmede-Talbrücke fallen. So hat es Bundesverkehrsminister Volker Wissing am Dienstag verkündet. Bis dahin bleibt noch jede Menge zu tun für das Herner Bauunternehmen Heitkamp. Das bereitet der Brücke ein weiches Fallbett – ein aufwendiges Unterfangen mit Herausforderungen von Forellen fischen bis Berge versetzen. Die WAZ durfte sich auf der Baustelle umsehen.

Der erste anvisierte Sprengtermin im Dezember 2022 war zu optimistisch

„Was dauert das denn so lange?“ Das ist die klassische Frage, wenn Projekte nicht recht vorwärtszugehen scheinen. Bei der Rahmede-Talbrücke ist es nicht anders. Der Tag der dauerhaften Sperrung liegt jetzt auch schon 15 Monate zurück, seit dem 2. Dezember 2021 ist dort kein Fahrzeug mehr legal über die 435 Meter lange Brücke gerollt, die A45 als eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen im Bundesgebiet ist unterbrochen (in den ersten Tagen haben ein paar Unbelehrbare die Zäune einfach zur Seite geschoben und sind weitergefahren). Seitdem quält sich der Verkehr über die Umleitungsstrecke durch Lüdenscheid – Vorwärtskommen nur im Stop-and-go, blank liegende Nerven bei den Anwohnern und Alarmstimmung bei den Firmen der Region, die um den Wirtschafts-Standort Südwestfalen fürchten. Und dann hatte der Bundesverkehrsminister bei einem Besuch in Lüdenscheid auch noch angekündigt, dass die Sprengung im Dezember 2022 erfolgen soll – das war deutlich zu optimistisch.

Bunte Flatterbänder unter der Brücke sollen Vögel vom Nisten abhalten.
Bunte Flatterbänder unter der Brücke sollen Vögel vom Nisten abhalten. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Denn die Vorbereitungen sind äußerst komplex. Die erste sichtbare Maßnahme war die Rodung der Bäume unter der Brücke, doch dafür musste die Autobahn GmbH erst die Grundstücke ankaufen. Und die Sägen konnten erst kreisen, als die Haselmaus-Population aus ihrem Winterschlaf aufgewacht und umgesiedelt worden war. Der Tierschutz spielt auch an anderen Stellen eine Rolle: Die Fledermäuse verloren ihren Wohnsitz in den Brückenpfeilern, für sie wurden eigens neue Türmchen gebaut. Unter der Brücke flattern seit einiger Zeit bunte Bänder und Drachen im Wind. Keine Überbleibsel von Karneval – sie sollen Vögel davon abhalten, so kurz vor der Sprengung unter der Brücke ein Nest zu bauen. Vergrämung nennen das die Experten. Ob Wanderfalke & Co. sich irritieren lassen, müssen sie abwarten.

Bach verrohrt – 270 Fische gefangen

Womit wir bei den Fischen angekommen sind: Unten im Tal fließt das Bächlein Rahmede, das der Brücke ihren Namen gegeben hat. Damit es bei der Sprengung nicht verschüttet wird, zwängt man es vorübergehend auf rund 100 Metern in Rohre – dafür mussten die Fische dort abgefischt und umgesetzt werden. 270 Exemplare gingen ins Netz, ein üppiger Fang.

An anderer Stelle gingen die Vorarbeiten noch weiter in die Tiefe. Unter der Altenaer Straße wurde extra eine neue Gasleitung verlegt, um ganz sicherzugehen, dass sie der Wucht des Aufpralls des fast 17.000 Tonnen schweren Kolosses standhält.

Heitkamp versetzt ein klein bisschen den Berg

Doch all das sind Kinkerlitzchen, ist Kleinkram im Vergleich zu dem, was passiert ist – und noch passieren wird, seit Heitkamp im Oktober vergangenen Jahres angerückt ist: „Es gibt zwar Vorbilder für die Sprengung von Talbrücken, doch bei Rahmede besteht die besondere Herausforderung darin, dass die Hänge besonders steil sind und zur Seite abfallen“, so Henrik Radmann, Prokurist der Heitkamp-Unternehmensgruppe. Deshalb versetzt Heitkamp den Berg ein bisschen, Experten nennen das modellieren. Auf der einen Seite wird Erde aus dem Hang genommen, um sie an anderer Stelle aufzuschütten. Der Zweck: Das Fallbett muss waagerecht sein, damit die Brücke nicht zu einer Seite wegrutscht, nachdem sie gefallen ist.

Die Rahmede-Talbrücke ist ein Koloss von fast 17.000 Tonnen. Um ihn sicher zu Fall zu bringen, muss Heitkamp ein wenig den Berg versetzen.
Die Rahmede-Talbrücke ist ein Koloss von fast 17.000 Tonnen. Um ihn sicher zu Fall zu bringen, muss Heitkamp ein wenig den Berg versetzen. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Das vorhandene Erdreich reicht bei weitem nicht, um der Brücke ein Fallbett zu bereiten, 140.000 Tonnen Material müssen angeliefert und aufgeschüttet werden. Glücklicherweise wird ganz in der Nähe ein Gewerbegebiet erschlossen ... Laster auf Laster liefert die Erde oben an der Brücke an, geländegängige Spezialfahrzeuge bringen sie über eigens angelegte Serpentinen an Ort und Stelle. „Uns war wichtig, dass die Lkw nicht auch noch durch den Umleitungsverkehr müssen“, sagt Radmann.

Eine Straße wird für die Sprengung verschüttet – straßenlaternenhoch

Doch die Qualen der Umleitung werden durch die Sprengung zeitweise noch verstärkt. Denn die Erdmassen, die den Sturz der Brücke abfedern werden, verschütten vorübergehend die Altenaer Straße – und das straßenlaternenhoch. Die Altenaer Straße ist eine Haupteinfallstraße nach Lüdenscheid, über die unter anderem Schulverkehr läuft. Die Sperrung bedeute neue Umleitungen, weitere Staus. Acht Wochen könnte das dauern, denn nach der Sprengung muss Heitkamp die Trümmer ja noch zerkleinern und abtransportieren.

Eine weitere Herausforderung für das Heitkamp-Team: Nur 25 Meter neben der Brücke befindet sich das Gebäude eines Industrie-Unternehmens. Teile der Außenanlage sind bereits zurückgebaut – sprich: abgerissen – worden, zurzeit wird das Hauptgebäude mit einer Stahlkonstruktion verstärkt. Vor der Sprengung wird es zusätzlich mit sechs Seecontainern vor Steinschlag und der Druckwelle des Aufpralls geschützt. „Bei den anderen Gebäuden in der Nähe schützen wir die Fenster. Zusätzlich werden die Häuser vor und nach der Sprengung begutachtet, um eventuelle Schäden festzustellen“, erzählt Radmann. Zusätzlich würden Messungen durchgeführt.

Sind mit Blick auf den Sprengtermin am 7. Mai gelassen: Heitkamp-Bauleiter Dirk Alsbach, Heitkamp-Prokurist Henrik Radmann und Michael Neumann von der Autobahn GmbH (v.l.).
Sind mit Blick auf den Sprengtermin am 7. Mai gelassen: Heitkamp-Bauleiter Dirk Alsbach, Heitkamp-Prokurist Henrik Radmann und Michael Neumann von der Autobahn GmbH (v.l.). © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Trotz aller Konzepte und Pläne: Überraschungen gibt es immer. „Wir haben festgestellt, dass die Betonpfeiler nicht so gebaut wurden, wie es in den Plänen stand, deshalb musste das Sprengkonzept ein wenig verändert werden“, erzählt Radmann. Mit Blick auf den 7. Mai gibt er sich halbwegs gelassen: „Die größten Probleme haben wir gelöst. Jetzt müssen wir das Ganze nur noch abarbeiten.“

>>> HEITKAMP: SPEZIALIST FÜR BESONDERE PROJEKTE

• Heitkamp ist zwar für die Vorbereitung der Sprengung, die Zerkleinerung und den Abtransport der Rahmede-Talbrücke verantwortlich (mehr als 90 Prozent des Materials wird wiederverwendet), am Neubau ist das Herner Unternehmen jedoch nicht beteiligt.

• Allerdings ist Heitkamp Spezialist für den Bau von kleineren Brücken, dafür hat das Unternehmen in der Vergangenheit neue Verfahren entwickelt. Einerseits eine sogenannte Lego-Brücke, andererseits hat das Unternehmen ein Verfahren entwickelt, bei dem die Widerlager für die Brücke nicht aus Beton bestehen, sondern aus Erde, die mit Kunststoffgittern verdichtet wird. Das beschleunigt die Bauzeit. Das Verfahren wurde unter anderem erfolgreich beim Neubau der Swistbachbrücke nach der Flutkatastrophe 2021 angewandt.