Herne. Willy Schüffler ist einer der Letzten seiner Art: Er ist Schirmmachermeister. Die WAZ hat ihn in seiner Manufaktur in Röhlinghausen besucht.

Dieser Satz klingt im ersten Moment überraschend: „Für uns ist Regen die beste Werbung“, sagt Willy Schüffler. Doch wenn man weiß, welches Handwerk er ausübt, liegt er nur allzu nahe. Der 74-Jährige ist Schirmmachermeister - und einer der letzten seiner Art in Deutschland. Die Herner WAZ hat ihn in seiner Manufaktur in Röhlinghausen besucht.

Jedes selbst hergestellte Exemplar erhält einen Beschlag mit dem Schüffler-Logo.
Jedes selbst hergestellte Exemplar erhält einen Beschlag mit dem Schüffler-Logo. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Wenn man die Räume im Dachgeschoss betritt, kann man kaum glauben, dass Schirmmacher zu einer aussterbenden Handwerksgattung gehören, wie Schüffler auch selbst bestätigt. Im Eingangsbereich stapeln sich jede Menge Kartons mit Reparaturaufträgen, ein Blick auf die Absenderetiketten verrät, dass die Kundschaft aus dem ganzen Bundesgebiet ihre defekten Schirme nach Herne schickt. Doch Schüffler repariert längst nicht nur - wie noch eine Handvoll anderer Schirmmacher in Deutschland. Mit seinem vierköpfigen Team produziert Schüffler noch rund 2500 Schirme pro Jahr. Und dies mache ihn bundesweit einzigartig.

Vom Herrschaftssymbol zum Wegwerfartikel

Um das absehbare Verschwinden dieses Handwerks zu verstehen, muss man weit in die Historie blicken, sehr weit: Schirme seien ein ganz altes Kulturgut, die ersten Hinweise seien rund 4000 Jahre alt, so Schüffler. Später seien sie ein Herrschaftssymbol gewesen, man denke nur an den Begriff Schirmherrschaft. Und Adelige nutzten den Schirm nicht allein, um sich gegen Regen zu schützen, sondern auch gerade vor der Sonne - um die noble Blässe zu erhalten. Die Adeligen hätten ihre Schirme sehr aufwendig gestalten lassen. Später entwickelten sich Schirme immer mehr zum Gebrauchsgegenstand. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg hätten sie eine große Bedeutung gehabt, weil sie die wertvolle Kleidung vor Regen geschützt hätten. Schirme seien mit entsprechender Ausstattung selbst Statussymbol gewesen. In den 80er-Jahren habe der Trend zum Verbrauchsgegenstand eingesetzt - Plastik-Billiggeräte aus Fernost mit arg begrenzter Haltbarkeit. Schüffler: „Diese Schirme sind als Wegwerfartikel konzipiert.“ So kamen die Qualitätsproduzenten und Fachhändler unter Druck...

Willy Schüffler mit einem Schirmstock aus einem Stück Holz - auch das ist ein Qualitätsmerkmal.
Willy Schüffler mit einem Schirmstock aus einem Stück Holz - auch das ist ein Qualitätsmerkmal. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

...wie die Firma Schirm Schüffler, die 2020 ihr hundertjähriges Bestehen gefeiert hat. In Essen gegründet, hatte der Betrieb in seinen Hochzeiten rund 30 Mitarbeiter, das Ladenlokal befand sich in einer der besten Lagen in der Essener Innenstadt. Heute befindet sich das Geschäft im Essener Vorort Heisingen - Werkstatt und Produktion seit einigen Jahren auch in Röhlinghausen.

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Auf Wunsch auch Einzelanfertigungen

Der Begriff Manufaktur trifft es noch besser, denn an der Edmund-Weber-Straße entstehen die Schirme in echter Handarbeit. Willy Schüffler und seine Mitarbeiter setzen aus über 1000 Einzelteilen einen Schirm zusammen. Kein Wunder, dass die Preise bei rund 50 Euro beginnen und leicht in den dreistelligen Bereich gehen. Doch dafür erhält der Käufer auch Speichen aus Karbon, die extrem biegsam sind. Auch die Stoffe kann Schüffler selbst zuschneiden. Neben ganzen Serien bietet Schüffler auch Einzelanfertigungen nach Wunsch an. Und wenn etwas kaputt sei, werde es eben repariert.

Früher hatte Schirm Schüffler ein Ladenlokal in bester Essener Innenstadtlage. Längst ist das Geschäft in Heisingen - und wird vom Onlineshop gestützt.
Früher hatte Schirm Schüffler ein Ladenlokal in bester Essener Innenstadtlage. Längst ist das Geschäft in Heisingen - und wird vom Onlineshop gestützt. © WAZ FotoPool | Repro: Kerstin Kokoska

„Wir können uns mit Qualität gegen den Supermarkt behaupten, bei den Menschen scheint es zurzeit ein Umdenken zu geben“, sagt der Herr der Schirme im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Doch um sich zu behaupten, reiche der Laden in Heisingen bei weitem nicht. Rund 80 Prozent seines Umsatzes mache er inzwischen mit dem Onlineshop, „ohne den würde es das Geschäft nicht mehr geben“. Mit dem Onlineshop könne er auch eine internationale Kundschaft bedienen. Dennoch steht für ihn fest: Sein Handwerk wird irgendwann verschwinden. Seit 1998 werde nicht mehr ausgebildet, er könne auch niemandem raten, sich in diesem Bereich selbstständig zu machen und bei Null anzufangen. Er selbst hat sich jedoch vorgenommen, weiterzumachen. „Es macht mir Spaß, ich denke nicht ans Aufhören.“

>>> SCHAUSPIELHÄUSER, OPERN UND UNTERNEHMEN GEHÖREN ZU DEN KUNDEN

• Willy Schüffler bedient nicht nur Endkunden, er habe auch schon für große Unternehmen Schirme produziert. Als Beispiel nennt er Daimler, der Griff des Schirms hatte die Form eines Schaltknaufs.

• Auch Schauspielhäuser und Opern - wie Semperoper oder Bayrische Staatsoper - nutzten immer wieder seine Dienste für Spezialanfertigungen, auch das Musical „Elisabeth“ habe er ausgestattet. Mit seinem umfangreichen Wissen ist er auch Gutachter bei Patentstreitigkeiten.

• Weitere Informationen: rain-fashion.com