Herne. Die Gewalt von Schülern an Schulen in Herne nimmt deutlich zu. Autos von Lehrern werden zerkratzt, Steine geworfen und Lehrerinnen beschimpft.
• Polizei wird an die Schulen gerufen, Strafanzeigen werden gestellt
• Alle Schulformen sind betroffen, auch Grundschulen
• GEW-Vorsitzender sieht klaren Zusammenhang zur Corona-Pandemie
Autos von Lehrern werden zerkratzt, Lehrerinnen als Schlampe beschimpft oder ein Lehrer gar mit Steinen auf dem Schulhof beworfen: Die Gewaltbereitschaft einiger Schüler in Herne hat deutlich zugenommen. „Die akute Gefahr von Selbst- und Fremdgefährdung ist massiv gestiegen“, sagt Ellen Radtke, Leiterin der Schulberatungsstelle in Herne, die Schulen in besonders schwierigen Fällen zur Seite steht.
„Unter den Schülern aber auch bei Schülern gegenüber Lehrern gibt es eine zunehmende Verrohung“, beobachtet auch Sylke Reimann-Pérez, Leiterin der Gesamtschule Mont-Cenis. „Erst kürzlich ist ein Lehrer meiner Schule auf dem Schulhof mit Steinen beworfen worden.“ Die 14-jährigen Täter seien jedoch nicht Schüler ihrer Schule gewesen. Zum Glück wurde der Lehrer nicht verletzt. „Aber in solchen Fällen stellen wir Strafanzeige“, betont die Schulleiterin.
Herner Schule musste wiederholt Polizei rufen
Und leider sei dies kein Einzelfall. Auch als das Auto einer Lehrkraft zuletzt mutwillig zerkratzt wurde, sei die Polizei hinzugerufen worden. Wie häufig die Polizei zu Schulen in Herne gerufen wird und ob es eine Steigerung der Fälle gibt, kann diese auf WAZ-Anfrage aber nicht sagen. „Wir sind nicht in der Lage, deliktisch nach Einsätzen an Schulen in Herne zu suchen“, erklärt Sprecher Jens Artschwager. Zudem könne nicht unterschieden werden, ob ein Vorfall während der Schulzeit oder danach auf dem Schulhof geschehen sei.
Auch die Bezirksregierung Arnsberg fühlt sich auf WAZ-Anfrage nicht in der Lage, Zahlen zu der Gewaltentwicklung an Schulen in Herne herauszugeben: „Schulen sind nicht dazu verpflichtet, Gewaltanwendungen oder Handgreiflichkeiten, Sachbeschädigungen und Polizeieinsätze in der Schule an die Schulaufsichtsbehörde zu melden“, teilt eine Sprecherin mit. „Eine statistische Erhebung findet nicht statt.“
Schulen in Herne - Lesen Sie auch
- Schulcheck Herne: Alle weiterführenden Schulen im Vergleich
- Abi mit 0,7: Das macht Dilara aus Herne mit dem Super-Abi
- Herne: Acht Grundschulen mit mehr Anmeldungen als Plätzen
Ellen Radtke von der Schulberatungsstelle in Herne ist mit ihrem Team näher dran und spricht von einer „drastischen Zunahme“: „Wir stehen im regen Austausch mit allen Schulen in Herne und diese klagen vermehrt über Probleme mit Gewalt und Gefährdungssituationen.“ Das sei bei allen Schulformen der Fall, sogar schon bei Grundschulen. Die Schulen seien aber unterschiedlich stark davon betroffen.
„Die Zunahme von Gewalt untereinander ist deutlich mehr geworden, aber es ist auch eine deutliche Verrohung im Umgang zu beobachten“, so Radtke. „Diese gipfelt in verbaler, aber auch körperlicher Gewalt gegenüber Lehrkräften.“ Die Zahl sowie die Intensität hätten zugenommen.
„Die Heftigkeit der Gewalt von Schülern wird als stärker wahrgenommen“, diese Rückmeldung erhält Carsten Piechnik, Vorsitzender der Herner GEW, von Lehrkräften aus Herne. „Früher hörte es auf, wenn ein Kind am Boden lag, heute wird noch einmal reingetreten.“ Bei Rangeleien würden sich Lehrer-Kollegen Drohungen wie: „Warte mal ab, wir kriegen dich noch!“ anhören müssen. Auch wisse er von einem Fall, wo das Haus einer Lehrkraft mit Eiern beworfen wurde.
Schulleiterin muss wöchentlich Schüler suspendieren
Für ihn gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und dieser Entwicklung: „Es verwundert nicht, dass Kinder und Jugendliche, die noch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung stecken, am stärksten betroffen sind“, so Piechnik. Entscheidend sei die Frage, wie die Gesellschaft nun darauf reagiere.
Dass Lehrerinnen als Schlampe tituliert würden, ist für Schulleiterin Sylke Reimann-Pérez ein „absolutes ,No Go‘“. „Schüler, die absolut schwierig sind, die mehrfach auffallen, die suspendiere ich“, sagt sie. Solche Suspendierungen, bei dem die Schülerin oder der Schüler bis maximal zehn Tage die Schule nicht mehr betreten dürfen, müsse sie wöchentlich aussprechen.
Schulserie
- Eine Schulleiterin fasste die Lage an ihrer Schule kürzlich mit den Worten „bei uns brennt es“ zusammen. Ob Gewalt, psychische Probleme von Schülerinnen und Schülern, Inklusion, Schulabsentismus, die Raumnot oder der Lehrermangel – die „Baustellen“ an den Schulen sind vielfältig. Nicht jedes Thema betrifft jede Schule, aber alle wirken sich auf die Entwicklung unserer Kinder aus.
- Die Serie „Schule 2023 – es brennt“ soll sich mit diesen Problematiken befassen und auf die verschiedenen Schwierigkeiten hinweisen, mit denen sich Schulleiterinnen und Schulleiter, Lehrkräfte und auch Schülerinnen und Schüler derzeit konfrontiert sehen. Sie soll Aufmerksamkeit schaffen und vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch einen Lösungsansatz bieten.
„Die Lage an Schulen wird zunehmend schwieriger“, sagt Sylke Reimann-Pérez. Das habe ihrer Meinung nach aber nicht allein mit Corona zu tun, sondern sei auch ein gesellschaftliches Problem. Es sei allgemein eine zunehmende Verrohung und ein mangelnder Respekt zu beobachten: „Wie kann es sein, dass Polizisten und Sanitäter während ihrer Arbeit beworfen werden?“ Diese gesellschaftliche Entwicklung schwappe auch zu den Schulen über.
Schulleiterin wünscht sich mehr Polizeipräsenz
Die Leiterin der Mont-Cenis-Gesamtschule betont, dass die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler weiter friedlich seien und sich vorbildlich verhielten. Aber für die Einzelfälle, die leider häufiger würden, wünscht sie sich Unterstützung: „Es wäre schön, wenn die Polizei und das Ordnungsamt präsenter wären.“ Außerdem würde sie sich einen Zaun um die Schule wünschen, um so wenigstens Fremde vom Gelände fernzuhalten.