Herne. Eine junge Frau klagt jahrelang über Beschwerden, dann steht die Diagnose: Nierentumor. Im EvK Herne wurde er in einer elfstündigen OP entfernt.
Wenn man Antonia Krusenbaum fragt, was sie am 4. Januar 2023 gemacht hat, dann fällt ihr nichts Außergewöhnliches ein. Dabei hätte sie an diesem Tag ihren „zweiten“ Geburtstag feiern können. Der Grund: Vor einem Jahr wurde ihr im Evangelischen Krankenhaus Herne in einer der größten und kompliziertesten Operationen in der Historie des Hauses ein Tumor entfernt. Eine OP, die ein langes Leiden beendete und der 35-Jährigen neue Hoffnung gibt.
Merkwürdige Schwellungen, schwankender Blutdruck, Rückenschmerzen
Dass etwas mit ihrem Körper nicht stimmt, bemerkte die Bochumerin schon vor einigen Jahren. Plötzlich entdeckte sie merkwürdige Schwellungen an ihrem Kopf, Haare fielen aus, ihr Blutdruck schwankte stark, hinzu kamen auch noch Rückenschmerzen. Krusenbaum erduldete die Beschwerden. „Wenn man kellnert und Tagesmutter ist, macht man sich über Rückenschmerzen keine Gedanken“, erzählt sie im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Ihr Hausärztin habe ihr den Rat gegeben, sich zu entspannen.
Ernsthafte Gedanken habe sie sich gemacht, als sie 2020 im fünften Schwangerschaftsmonat ihr Kind verloren habe - völlig ungewöhnlich, weil Schwangerschaft und Geburt der nun siebenjährigen Tochter völlig unproblematisch verlaufen seien. Krusenbaum holte sich bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung - mit einem unheilvollen Ergebnis. Das Ultraschallbild der Niere zeigte einen Knubbel - ein Tumor in der rechten Nebenniere.
Weil ihr Cousin im EvK an der Wiescherstraße gearbeitet habe, habe sie dort weitere Untersuchungen machen lassen - mit einer dramatischen Diagnose: Es war nicht nur die Nebenniere betroffen, der Tumor war auch in die zentrale Hohlvene des Bauchs - sie sammelt das Blut aus Bauch und Beinen und transportiert es zum Herz - hineingewachsen. Zusätzlich zog er sich durch die Leber, in der Lunge fanden sich Metastasen. „Als wir auf den CT-Bildern sahen, wie problematisch der etwa acht Zentimeter große Tumor im Körper angesiedelt war, war uns klar, dass wir es hier mit einer der größten chirurgischen Herausforderung zu tun haben, mit der ich in meiner 25-jährigen Laufbahn als Chefarzt der Chirurgie konfrontiert worden bin“, erzählt Prof. Dr. Matthias Kemen.
Operation wurde mit einem Regieplan bis ins letzte Detail geplant
Deshalb begannen im EvK umfangreiche Vorbereitungen, an denen die Chefärzte der Viszeral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie beteiligt waren. Die sahen sich mit zwei großen Problemen konfrontiert: Um den Tumor aus der Niere und der Vene zu entfernen, müsste die Hohlvene abgeklemmt werden, doch das würde zu einer schweren Instabilität des Kreislaufes führen. Dr. Shoaeddin Damirchi, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie, fand die Lösung: Es wurde ein Bypass gelegt, so dass das Blut während der Operation ungehindert zum Herz fließen konnte. Hinzu kam, dass der Tumor Hormone ausschüttete, die den hohen Blutdruck verursachten, deshalb durfte er vor der Entfernung quasi nicht berührt werden.
In den vergangenen Jahren hat sich die Operationstechnik so weit entwickelt, dass immer mehr Eingriffe per „Schlüsselloch“ durchgeführt werden können. Doch das kam in diesem Fall nicht in Frage. Da eine komplette Öffnung von Brustbein und Bauch notwendig war, wurde Dr. Erich Hecker, Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie in Eickel, hinzugezogen. Er sollte auch die Metastasen in der Lunge entfernen.
„Wir haben für die Operation einen richtigen Regieplan erstellt, wer wann mit seinem Eingriff an der Reihe war und wann welches OP-Besteck benötigt wird“, erzählt Kemen und räumt gleichzeitig ein, dass er angesichts des Risikos der Operation auch schlaflose Nächte gehabt habe. Für Antonia Krusenbaum gab es kein Zurück: „Das war meine Chance, und ich wollte sie ergreifen.“ Wie groß ihre Zuversicht war, mag die Tatsache verdeutlichen, dass sie wenige Tage vor der OP ihren Lebensgefährten heiratete.
Patientin ist beschwerdefrei, gilt aber noch nicht als geheilt
Der Eingriff selbst dauerte insgesamt neun Stunden, mit Narkose sogar elfeinhalb. Im Einsatz war ein Team von drei Anästhesisiologen, drei Viszeralchirurgen, zwei Gefäßchirurgen, zwei Thoraxchirurgen und zehn OP-Anästhesiefachpflegekräften. „Wir wurden geradezu euphorisch, als wir spürten, wie reibungslos alle Operationsschritte genauso ineinandergriffen, wie wir es im Vorfeld geplant hatten, und wie gut unsere Patientin diese lange OP überstand“, sagt Kemen, bei dem die Gesamtverantwortung für den Eingriff gelegen hatte.
Ein Jahr später ist Antonia Krusenbaum beschwerdefrei, als geheilt könne sie allerdings noch nicht gelten, so Kemen. Doch die Werte aller Nachuntersuchungen liegen im Normbereich. „Mir geht es gut“, sagt sie, und deshalb habe sie wohl auch den Jahrestag der OP schlicht vergessen.