Herne. Das Thoraxzentrum in Wanne-Eickel ist weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Welche Behandlungen die Klinik bietet, wieso sie so modern ist.

Das Thoraxzentrum Ruhrgebiet in Wanne-Eickel ist eines der größten Lungenzentren in Deutschland. Es ist zertifiziert als Lungenkrebszentrum der Deutschen Krebsgesellschaft, Exzellenzzentrum für Thoraxchirurgie, Zentrum für Infektiologie und Zentrum für Schlafmedizin. Chefarzt Dr. Erich Hecker erklärt im Gespräch mit Jennifer Humpfle, warum das alles Einfluss auf eine optimale Versorgung der Patienten hat.

Was ist das Besondere am Thoraxzentrum?

Das Krankenhaus in Wanne-Eickel war bis 2006 ein eigenständiges Haus der Grund- und Regelversorgung und de facto von der Schließung bedroht. Herr Bitter, der Geschäftsführer der Krankenhausgemeinschaft, wollte dies verhindern. Er hat damals gesagt, dass das Krankenhaus nur überleben kann, wenn es eine Fachklinik wird. 2006 wurde das Thoraxzentrum gegründet – mit Herrn Dr. Totzek und Herrn Prof. Ewig an der Spitze. Als feststand, dass Dr. Totzek 2008 in den Ruhestand geht, hieß es, „Frag doch mal den Hecker, der ist ‘verrückt’ genug, nach Wanne-Eickel zurückzukommen.“ Diese Rückkehr war mit Rahmenbedingungen verknüpft.

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Und die wurden umgesetzt?

Herr Bitter war und ist wirklich ein Visionär und so wurden in den Standort weit über 20 Millionen Euro investiert. 2008 hatten wir 900 pneumologische und 421 thoraxchirurgische Patienten, 2019 waren wir bei über 6000 stationären und mehr als 11.000 ambulanten Patienten. Wir waren eines der ersten zertifizierten Lungenkrebszentren in Deutschland. Wir haben als erste Klinik in NRW eine ambulante spezialärztliche Versorgung, kurz ASV, für Lunge und thorakale Organe angeboten. Mit unseren Kollegen aus Bochum, der Augusta-Krankenanstalt, haben wir kürzlich das Onkologische Zentrum Bochum-Herne gegründet und werden nun ab 2022 Akademisches Lehrkrankenhaus der Ruhr-Universität Bochum. Das Besondere am Thoraxzentrum sind seine vielen Säulen: Pneumologie, Thoraxchirurgie, Strahlentherapie, ASV, onkologisches Zentrum und Robotik.

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Dabei ist das Thoraxzentrum keine Großklinik…

Der familiäre Charakter macht unseren Standort aus. Wir sehen uns jeden Tag, haben gemeinsame Fortbildungen, Tumorkonferenzen etc. Als ich meine Ausbildung gemacht habe, lautete das Kriterium „wer schneidet, entscheidet.“ Heute lautet das Motto „interdisziplinäre Therapie“. Auch hier spielt uns der familiäre Charakter in die Karten: Ich kenne die persönliche Kompetenz des anderen und habe kurze Wege, schnelle Entschlussfähigkeit bei gleichzeitig höchster apparativer Technik.

Welche Aufgaben hat das Thoraxzentrum?

Wir versorgen regional und überregional alle Patienten des mittleren Ruhrgebiets mit Erkrankungen des Brustkorbs mit Ausnahme von Speiseröhre und Herz. Das bezieht sich auf sämtliche Lungenerkrankungen, die es gibt – vom Kindes- bis zum Greisenalter. Wir bieten sämtliche Formen von Diagnostik und Therapie und demnächst die Roboterchirurgie als Besonderheit.

Was ist der Vorteil an robotergestützter Thoraxchirurgie?

Wir bekommen den modernsten Operationsroboter, der auf dem Markt ist. Wir durften an der Entwicklung teilnehmen und sind die ersten in Deutschland und die zweiten in Europa, die ihn bekommen. Wir operieren heute über 65 Prozent der Patienten in Schlüsselloch-Chirurgie. Bundesdurchschnitt sind 40 Prozent. Durch den Roboter wird sich das noch mal erhöhen. Der große Vorteil ist, dass der Roboter keine Tremorfehler macht.

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Warum ist es wichtig, sich zu spezialisieren?

Hier weiß jeder blind, was er tut. In Kliniken, in denen weniger als 25 Lungenkrebs-Operationen pro Jahr durchgeführt werden, liegt die Todesquote an der Operation innerhalb der ersten 30 Tage fünf Mal höher als in spezialisierten Zentren. Wir machen 1700 Lungenoperationen im Jahr.

Wie wichtig ist es, den Tumortypen individuell zu bestimmen?

Absolut das Wichtigste überhaupt. Möglichst jeder Patient erhält bei uns neben der allgemein pathologischen Diagnostik die sogenannte molekulargenetische Diagnostik. Seit 2014 sind wir Partner im genomischen Netzwerk.

Lungenkrebs gilt als eine der tödlichsten Krebsarten. Wie hat sich die Therapie verändert?

Lungenkrebs ist die häufigste zum Tode führende bösartige Erkrankung. Er ist bei Männern der häufigste und bei Frauen der zweithäufigste Tumor. Die Todesfallquote war dramatisch. Bevor es die Immuntherapien gab, gab es als Therapiemöglichkeiten: OP, OP plus Strahlen-/Chemotherapie, Strahlen- plus Chemotherapie oder Chemotherapie alleine. In den fortgeschrittenen Stadien lag die Überlebensrate nach fünf Jahren zwischen 20 und 35 Prozent. Mit der zusätzlichen Gabe eines bestimmten Antikörpers erhöhte sich die Überlebenschance auf fast 50 Prozent – sogar bei eigentlich inoperablen Tumoren. Moderne onkologische Therapie ist die individuelle genetische Struktur jedes Patienten kombiniert mit OP, Chemo und Strahlentherapie plus molekularpathologische Behandlung.

Also hat sich die Prognose verbessert?

Früher haben wir gejubelt, wenn bei einer neuen Methode von einer Verlängerung der Lebenszeit um fünf Prozent gesprochen wurde. Die modernen Therapien kommen auf bis zu 60 Prozent. Was in der Immuntherapie und der Molekulargenetik in den letzten fünf Jahren an therapeutischen Optionen dazugekommen ist, ist spektakulär. Die Prognosen haben sich dadurch dramatisch verbessert.

Und es geht immer weiter…

Der Träger hat beschlossen, hier den sogenannten Campus-Standort Wanne-Eickel aufzubauen. Einer der OP-Säle wird für die Robotik ausgebaut, wir planen ein neues Strahlentherapiezentrum, drei Arztpraxen für die ASV und Seminar- und Konferenzräume; plus Parkhaus. Wir warten gerade auf das Go. Wir erhoffen uns durch die Kooperation mit der Ruhr-Uni weiter forschen und zu Studien beitragen zu können. Außerdem stehen wir in den Startlöchern um künftig Lungenkrebs-Screenings anzubieten.

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Warum sind Kooperationen wichtig?

Durch die Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität beispielsweise erhalten wir Zugang zu den modernsten Studien und somit die Chance, unmittelbar an neuen Behandlungsmethoden mitzuarbeiten. Seit 2010 haben wir eine Kooperation mit China – einmal pro Quartal kommen Ärzte aus China zu uns, um hier den Feinschliff in minimal-invasiver Chirurgie zu erhalten. Seit 2014 unterrichte ich an der Universität Chengdu. Der internationale Austausch ist extrem befruchtend. Eine andere Kooperation haben wir mit einer Universität in Jordanien, wo ein ehemaliger Schüler von mir aus Bremen Lehrstuhlinhaber ist. Viele meiner Leute aus dem Thoraxzentrum bekommen ihren Feinschliff in Thoraxchirurgie in Yale bei Frank Detterbeck.

Zur Person:

  • Dr. Erich Hecker ist 57 Jahre alt, kommt gebürtig aus Herne, wohnt in Bochum. Er studierte Medizin und BWL in Bochum, ist Facharzt für Chirurgie und Thoraxchirurgie.
  • Er arbeitete als Oberarzt in Heidelberg, als Chefarzt zunächst in Bremen und seit 2008 in Wanne-Eickel.
  • Dr. Hecker hat drei Kinder, ist Mitglied beim VfL Bochum und begeisterter Freizeitsportler.