Herne. Am 20. November startet die Fußball-WM in Katar. Zeitgleich findet in Herne eine große Protestaktion statt. Ein Fußballplatz wird zum Gräberfeld.
Wenn am 20. November in Katar das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen wird, dann wird sich auch das altehrwürdige Stadion am Schloss Strünkede in Herne füllen – mit 6500 sandgefüllten Stoff-Fußbällen. Sie sollen an jene Arbeiter erinnern, die beim Bau der WM-Stadien ausgebeutet wurden und ums Leben gekommen sind. Laut Initiator Volker-Johannes Trieb wird dies die bundesweit größte Protestaktion aus Anlass der WM werden.
Der Aktionskünstler aus Osnabrück bezeichnet sich selbst zwar nicht als Fußballfan, aber er schaue sich ab und zu gerne Spiele in Stadien an. Die Atmosphäre mit der Begeisterung und dem Wir-Gefühl sei immer spannend und anregend. Doch die Fußball-WM in Katar erfüllt ihn angesichts der vielen Tausend Menschen, die einem Bericht des britischen „Guardian“ zufolge bei der Vorbereitung ihr Leben verloren haben sollen, mit Abscheu statt mit Begeisterung. Noch nie sei für eine Fußball-WM ein höherer Preis in Kauf genommen worden: der Tod Tausender Menschen.
Trieb zieht im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion folgende Analogie: Im alten Rom habe es Brot und Spiele gegeben, bei denen Sklaven gegeneinander antreten mussten, dabei zu Tode kamen – und die Zuschauer hätten sich daran ergötzt. Was jetzt geschehe, sei im Grunde das Gleiche – „nur dass wir das Blut nicht mehr sehen“. Trieb: „Es ist schlimm, wenn Menschen im Krieg, an Hunger oder an Krankheiten sterben, aber dass in diesem Jahrzehnt Menschen sterben für das gemeinsame Spiel und Vergnügen der Menschheit, das ist in keiner Weise hinnehmbar.“
Schweigen gegen den WM-Jubel
Die Aktion in Herne ist nicht Triebs erste gegen die WM im Wüstensand. Er hat bereits zur Gruppenauslosung am 1. April die 6500 sandgefüllten Stoff-Fußbälle vor der FIFA-Zentrale in Zürich platziert. Die Reaktion der FIFA? Trieb erzählt, dass Mitarbeiter des Fußballverbands teilweise mit ihren Autos über die Säcke gefahren seien. „Wenn man sich bewusst macht, dass jeder Ball für einen verstorbenen Arbeiter steht, ist das schon problematisch.“ Schon damals stieß Triebs Aktion auf ein großes, auch internationales Echo. Nun folgt die Fortsetzung. Dass die FIFA und die Regierung Katars über Leichen gegangen seien, dürfe im WM-Jubel nicht untergehen. Trieb setzt am 20. November das Schweigen dagegen.
So soll die Aktion ablaufen: Die sandgefüllten Fußbälle werden auf dem Spielfeld in einem bestimmten Raster platziert. „Damit wollen wir den Platz in ein Gräberfeld verwandeln“, so Trieb. Darüber hinaus werden 20.000 Grabkerzen auf die Zuschauerränge gestellt und angezündet. Cellist Willem Schulz wird ein Requiem spielen, eine Rockgruppe einen WM-kritischen Song spielen. Moderiert wird die Veranstaltung vom ehemaligen Fußball-Kommentator Manfred Breuckmann. Mit den 6500 Bällen auf dem Spielfeld und den 20.000 Kerzen auf den Rängen will Trieb einen motivstarken Kontrast gegen die Glanzbilder in Katar in die Welt schicken. Auch deshalb sind die Stoff-Fußbälle mit dem Zitat „Weltgewissen, du bist ein Fleck der Schande“ bedruckt. Es stammt von Trues Menger-Oversteegen, einer Widerstandskämpferin im Zweiten Weltkrieg.
Dass er bei der Suche nach einem geeigneten Stadion auf jenes von Westfalia Herne gestoßen sei, sei darauf zurückzuführen, dass er mit der Organisation „Arbeiterwohlfahrt International“ zusammenarbeite. Diese sorge dafür, dass Spenden an jene Familien fließen, die Angehörige beim Bau der Stadien verloren haben. So seien Kontakte zum Awo-Bezirk Westliches Westfalen entstanden, der das Westfalia-Stadion vorgeschlagen habe. Die Stadt Herne und Westfalia Herne hätten die außergewöhnliche Gedenkveranstaltung spontan unterstützt.
Das Stadion am Schloss Strünkede, das sichtbar in die Jahre gekommen ist, eigne sich perfekt für die Aktion, so Trieb. Mit seiner bröckelnden Tribüne und Stehrängen, auf denen das Unkraut sprießt, stehe es im krassen Gegensatz zu den Hochglanzarenen in Katar. „Wenn man in dem Stadion steht, hat man das Gefühl, dass man noch beim wahren Fußball ist“, so Trieb. Es sei ganz schlicht und habe eben nicht die Anmutung der Großmannssucht der Stadien in Katar.
Es werden noch freiwillige Helfer gesucht
Doch der Künstler setzt nicht allein auf die Macht der Bilder, er will die Aktion nutzen, um Gutes zu tun. So sollen die Bälle nach Abschluss der Gedenkveranstaltung gegen eine Spende abgegeben werden, der Erlös soll für Hilfsprojekte verwendet werden.
Die Aktion ist nicht-öffentlich, kann aber ab etwa 17 Uhr im Live-Stream auf der Facebook-Seite und dem Youtube-Kanal der Awo Westliches Westfalen verfolgt werden. Die Organisatoren suchen noch freiwillige Helfer. Bis zu 400 werden für die Durchführung benötigt. Interessierte, die bei der Aktion helfen wollen, können sich unter kommunikation@awo-ww.de melden. Weitere Informationen unter weltgewissen-katar.de.
>>> DAS EINE-WELT-ZENTRUM UND DIE WM
Das Eine Welt Zentrum des Evangelischen Kirchenkreises Herne plant zurzeit keine eigenen Aktionen zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. „Aus personellen Gründen“, sagt Mitarbeiter Markus Heißler.
An bundesweiten Initiativen zur WM würden sie sich allerdings im Rahmen der Möglichkeiten beteiligen.