Herne. Das Kraftwerk Herne 4 ist eine der Landmarken im Ruhrgebiet. Der weit sichtbare weiße Dampf ist ein Zeichen für die Energie-Situation der Nation.

Der Dampf aus dem Steag-Kraftwerk am Autobahnkreuz Herne ist in dieser Woche wieder kilometerweit zu sehen. Die weiße Fahne über dem Kühlturm leuchtet in der Sonne. Als Autofahrer weiß man: Wo es dampft, da ist Herne – und gerade meistens Stau. Was viele Menschen aber nicht wissen: Der Kühlturm zeigt ziemlich aktuell die Energie-Situation in Deutschland an. Immer wenn die Wolken aufsteigen, dann wird’s mit Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland gerade eher knapp und die Nachfrage ist hoch.

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Dampf aus dem Kühlturm: Geringe Produktion bei Erneuerbaren, aber hohe Nachfrage

„Wenn Dampf aus dem Kühlturm kommt, ist der Block in Betrieb“, sagt Steag-Sprecher Markus Hennes auf WAZ-Nachfrage. In der vergangenen Woche, da sah das anders aus: „In den vergangenen Tagen war das Stromangebot aus erneuerbaren Energien (insbesondere Photovoltaik und Wind) tagsüber hoch und die Beschäftigung von Steinkohlekraftwerken dementsprechend geringer.“ So sei das Kohlekraftwerk nicht in Betrieb gewesen. Die Beschäftigung des Blocks hänge immer von der aktuellen Stromnachfrage „und dem gleichzeitig verfügbaren Angebot anderer Stromerzeugungsanlagen ab“. Die Steag ist Betreiber des Kraftwerks. Eigentlich hätte der Block schon abgeschaltet sein sollen. Wegen der Energiekrise läuft er nun länger.

So still die erste Oktoberwoche war, so groß war die Auslastung im restlichen Jahr: „In den ersten neun Monaten 2022 war der Block Herne 4 insgesamt länger am Netz als im gleichen Zeitraum 2021“, sagt Markus Hennes. „Dies liegt insbesondere an den seit Herbst 2021 steigenden Strompreisen und dem geringeren Angebot von Strom aus Kernkraftwerken, da Ende 2021 weitere Kernenergieanlagen vom Netz gegangen sind.“

Dampf über dem Kühlturm: Wie sich das Wetter auf die Sichtbarkeit auswirkt

Sobald das eigentliche Herzstück der Anlage, die stromerzeugende Dampfturbine, in Betrieb ist, sei automatisch Wasserdampf zu sehen, erklärt der Experte. Die Sichtbarkeit der Dampffahne hänge vor allem von der Außentemperatur ab. „Je kühler die Außenluft, desto sichtbarer die Dampffahne.“ Das sei ähnlich wie bei Nebel: „Dieser löst sich, sobald im Sommer die Sonne scheint, schneller auf als in der kalten Jahreszeit.“

Die Dampffahne am Kraftwerk Baukau aus der Luft: Je kühler die Außentemperatur, desto besser ist der Dampf sichtbar.
Die Dampffahne am Kraftwerk Baukau aus der Luft: Je kühler die Außentemperatur, desto besser ist der Dampf sichtbar. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Warum braucht man eigentlich einen so großen Kühlturm? Der entstandene Wasserdampf werde kondensiert, weil er nicht weiter nutzbar sei. Die entstehende Wärme werde über den Kühlturm abgeführt. Dabei geht auch viel Energie verloren. Beim benachbarten neuen Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) sehe das anders aus. Das moderne GuD Herne habe einen deutlich höheren energetischen Gesamtnutzungsgrad als der Steinkohleblock Herne 4. Deshalb benötige es auch nicht solch einen großen Kühlturm. Der Kühlturm des GuD fällt in der mächtigen Gesamtkulisse des Kraftwerks kaum auf.

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Wie schnell lässt sich das Kohlekraftwerk Herne 4 hochfahren?

Ein schneller Wechsel von An und Aus ist beim Kohlekraftwerk nicht möglich. Das wissen nach all den Diskussionen über die Energiekrise auch Nicht-Experten. Am praktischen Beispiel des Kohlekraftwerks in Baukau heißt das: „Bei einem Kaltstart nach längerer Betriebsunterbrechung dauert es bis zu zehn Stunden, bis der Block 4 wieder ans Netz gehen kann. Nach einer Betriebsunterbrechung von weniger als zwei Tagen, also wenn der Block noch warm ist, sind es dagegen nur drei bis sechs Stunden.“ Die importierte Steinkohle wird per Bahn angeliefert. Die Versorgung laufe planmäßig, erklärt Sprecher Markus Hennes.