Herne. Der Bundestag soll verkleinert werden. Warum das Erreichen dieses Ziels für Herne bereits ab 2025 negative Folgen haben könnte.
- Kommission schlägt eine Reduzierung der Wahlkreise in Deutschland von 299 auf 280 vor.
- Wahlkreis Herne-Bochum II soll dabei um Bochumer Stadtbezirk Mitte erweitert werden.
- Nachbarstadt Bochum hätte dann mehr Wahlberechtigte als Herne.
Herne-Bochum II heißt der Bundestagswahlkreis 141 seit 2002. Und wie der Name schon andeutet, ist Herne mit einer deutlich höheren Zahl an Wahlberechtigten in diesem Wahlkreis dominant. Dieses Kräfteverhältnis zeigt sich auch darin, dass die Herner Sozialdemokratie bislang wie selbstverständlich die Abgeordneten stellt, die nach Auszählung der Stimmen mit stets großer Mehrheit das Ticket für Berlin lösen. Doch schon bei der Bundestagswahl 2025 könnten die Karten aufgrund der angestrebten Verkleinerung des Parlaments neu gemischt werden.
Bei der Wahl am 26. September 2021 gab es in Herne-Bochum II insgesamt 173.939 Wahlberechtigte – 108.561 aus Herne sowie 65.378 aus den Stadtteilen der Bochumer Bezirke Nord und Ost (siehe Grafik). Das Problem: Der Richtwert für die Wahlberechtigten liegt bei 250.000, der Durchschnittswert sollte nicht um mehr als 15 Prozent unterschritten werden. Tatsächlich liegt der Herner Wahlkreis 141 jedoch zurzeit 21,6 Prozent unter dem Richtwert.
Kräfteverhältnis zwischen Herne und Bochum könnte sich verschieben
Die vom Bundespräsidenten eingesetzte Kommission aus parteipolitisch unabhängigen Sachverständigen schlägt nun für ganz Deutschland vor, dass die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert werden soll. In Nordrhein-Westfalen sollen der Bochumer Wahlkreis 140 sowie drei weitere Wahlkreise komplett wegfallen. Im Gegenzug sollen andere Wahlkreise neu zugeschnitten und größer werden – so auch Herne-Bochum II, der um den Bochumer Stadtbezirk Mitte mit (zurzeit) 84.085 Einwohnerinnen und Einwohnern erweitert werden soll. Das hätte zur Folge, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Kommunen bereits ab 2025 entscheidend verschieben würde, weil die Nachbarstadt dann mehr Wahlberechtigte als Herne stellen würde.
In diesem Fall droht Herne ein doppelter Bedeutungsverlust. Zum einen für die Stadt, weil Bochumer Themen und Interessen stärker in den Vordergrund treten könnten. Und zum anderen für die Herner SPD, weil die Bochumer Genossinnen und Genossen das Vorschlagsrecht für die Direktkandidatur künftig für sich beanspruchen könnten.
Herner Parteichefs von SPD und CDU lehnen den Vorschlag ab
„Ich bin natürlich grundsätzlich für eine Verkleinerung des Bundestags, damit die Arbeitsfähigkeit gesichert wird. Ich habe aber angesichts der Vorschläge ein unbehagliches Gefühl“, erklärt Hernes SPD-Vorsitzender Hendrik Bollmann auf Anfrage. Am Ende des Tages sei wichtig, dass die Zahl der direkt gewählten Bundestagsabgeordneten nicht reduziert werde: „Der direkte Draht zu Bürgerinnen und Bürgern, die Ansprechbarkeit von Abgeordneten ist von sehr großer Bedeutung.“ Wenn dieser Anspruch bei einer Reform unter die Räder geraten sollte, könnte das schwerwiegende Folgen für die Demokratie haben.
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Die Wahlkreise müssten die Lebensräume und die Lebensrealitäten von Menschen widerspiegeln: „Auch ohne sozialdemokratische Brille stelle ich fest: Einige Vorschläge erfüllen diesen Anspruch nicht und sind an den Haaren herbeigezogen.“
Jede Großstadt im Ruhrgebiet – und dazu zähle er Herne – müsse eine Stimme im Bundestag haben. „Was mich optimistisch stimmt: Es gibt in Herne und weiten Teilen des Ruhrgebiets eine skeptische bis ablehnende Haltung“, so der Parteichef. Eine Umsetzung des Expertenvorschlags hätte für Herne Nachteile, aber es sei zunächst mal nur ein erster Aufschlag. Am Ende werde der Bundestag entscheiden. Klar sei jedoch: „Es wird keine Lösung geben, die alle zufrieden stellt.“
Und wie steht es um die Frage der Kandidatur für Herne und Bochum? „Die SPD-Nominierungen im Wahlkreis Herne-Bochum II sind bisher ohne große Diskussionen und in guter Nachbarschaft erfolgt“, betont Bollmann. Er sei zuversichtlich, dass sich diese Frage am Ende des Prozesses gar nicht mehr stelle, weil der Vorschlag der Expertenkommission nicht 1:1 umgesetzt werde.
NRW-Landesregierung befürwortet Expertenvorschlag
„Für Herne wäre das eine deutliche Verschlechterung“, sagt auch CDU-Kreisvorsitzender Christoph Bußmann über den Vorschlag der Kommission. Er könne aber auch die Kritik der Bochumer an den Plänen verstehen, da sie als Großstadt mit mehr als 350.000 Einwohnern künftig keinen „eigenen“ Wahlkreis mehr haben sollen. Doch auch jenseits von Bochum und Herne gebe es in der CDU Ablehnung gegenüber dem Vorschlag, weil diese für mehrere Wahlkreise des Ruhrgebiets erhebliche Änderungen beinhalten. Bußmann geht wie sein SPD-Kollege Bollmann davon aus, dass es im weiteren Verfahren noch zu Änderungen kommen wird.
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In Nordrhein-Westfalen hat der Experten-Vorschlag zur Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 allerdings bereits einen starken Fürsprecher: Die Landesregierung stellt sich hinter den Vorschlag der Wahlkreiskommission fürs Ruhrgebiet, wie aus einem der WAZ vorliegenden Brief von Herbert Reul an die NRW-Parteien und Landtagsfraktionen hervorgeht.
Bochums SPD-Chef Serdar Yüksel war für eine Stellungnahme ebenso wenig zu erreichen wie die Herner SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering. Die 42-Jährige weilt zurzeit mit einer Delegation der Parlamentariergruppe Südliches Afrika des Bundestages in Namibia.
>>> Auch im Stadtbezirk Bochum Mitte hat die SPD einen Riesenvorsprung
Bei der Bundestagswahl 2021 konnte die SPD ihren Vorsprung im Wahlkreis Herne-Bochum II deutlich ausbauen. Michelle Müntefering holte mit 38,2 Prozent mehr als doppelt so viele Erststimmen wie ihr CDU-Herausforderer Christoph Bußmann (19,0). Bei der Bundestagswahl 2017 betrug der Abstand zwischen SPD und CDU „nur“ 10.8 Prozent.
Gemessen am Ergebnis von 2021 würde sich die Ausgangsposition in einem um den Bochumer Stadtbezirk Mitte erweiterten Wahlkreis 141 nicht verschlechtern. SPD-Kandidat Axel Schäfer (70) - er sitzt seit 2002 im Bundestag - kam im Bochum Mitte auf 36,6 Prozent der Erststimmen und lag damit knapp 14 Prozent vor den Grünen und 20 Prozent vor der CDU.