Herne. Ein Wewole-Angestellter misshandelt eine psychisch kranke Frau: Wie Staatsanwalt und Arbeitsrichter es bewerteten, warum es neue Vorwürfe gibt.
- Die Wewole-Stiftung hatte im Februar fünf Angestellte entlassen.
- Der Vorwurf: Gewalt gegen Menschen mit Behinderung.
- Die Ermittlungen sind mittlerweile abgeschlossen.
Nach dem Vorwurf der Gewalt gegen Menschen mit Behinderung hatte die Herner Wewole-Stiftung im Februar fünf Angestellte eines Wohnheims fristlos entlassen und Strafanzeige erstattet. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sowie die Verhandlungen am Arbeitsgericht sind mittlerweile komplett abgeschlossen. Die Wewole-Geschäftsführung muss sich derweil mit neuen Vorwürfen auseinandersetzen, die in zwei anonymen Briefen erhoben worden sind.
Vorwurf: Psychisch kranke Frau mit Klebeband an Stuhl fixiert
Fünf Angestellten des Wewole-Wohnheims „Haus Kaisereiche“ am Marschkampweg in Röhlinghausen war vorgeworfen worden, ab November 2021 strukturelle und in einem Fall auch körperliche Gewalt gegen Bewohner ausgeübt zu haben. Eine psychisch kranke Frau soll mit Klebeband an einem Stuhl fixiert worden sein, dabei soll ihr Mund zugeklebt worden sei. Außerdem soll Bewohnern mehrfach der Zugang zum eigenen Zimmer verwehrt und kein Abendessen ausgegeben worden sein.
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Nach einer umfassenden Untersuchung der von zwei anderen Wohnheim-Angestellten gemeldeten Vorfälle kam die Wewole-Geschäftsführung zu dem Ergebnis, dass die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen. Mit einem Beschuldigten wurde ein Auflösungsvertrag vereinbart, vier weitere Angestellten erhielten die fristlose Kündigung. Außerdem wurde Strafanzeige gestellt. In einer Pressekonferenz informierte Wewole-Geschäftsführer Rochus Wellenbrock am 1. März die Öffentlichkeit über die Fälle.
Strafrechtlich relevant waren diese nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Bochum nicht: Die fünf Verfahren seien inzwischen eingestellt worden, berichtet Paul Jansen, Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Anfrage. In vier Fällen, weil ein Tatnachweis nicht möglich gewesen sei, in einem Fall wegen „geringer Schuld“.
Arbeitsgericht Herne bestätigt Kündigung des Hauptbeschuldigten
Auch das Herner Arbeitsgericht hat nach den Kündigungsschutzklagen der fünf entlassenen Angestellten inzwischen die Akten geschlossen. In vier Fällen habe Wewole einen Vergleich geschlossen und der Zahlung eines geringen Betrags an die Beschuldigten zugestimmt, erklärt Rochus Wellenbrock im Gespräch mit der WAZ.
Im Verfahren gegen den Hauptbeschuldigten hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Herne die Klage abgewiesen und die fristlose Kündigung durch die Wewole bestätigt. In dem inzwischen rechtskräftigen Urteil sahen es die Richter als erwiesen an, dass der Mann die „ihm zur Betreuung zugewiesene Patientin mit Klebeband an einem Stuhl fixiert und den Mund der Patientin zugeklebt habe“. Diese „grobe Herabwürdigung und Missachtung der Persönlichkeit der Patientin“ sei mit einem menschenwürdigen Umgang nicht vereinbar, die Kündigung sei somit rechtens.
In zwei breit gestreuten und auch der WAZ vorliegenden anonymen Briefen wird dieser Sachverhalt trotzdem bestritten. Der Verfasser – er bezeichnet sich selbst als Mitarbeiter von „Haus Kaisereiche“ – verharmlost den Vorfall, greift den Geschäftsführer persönlich an und schildert weitere vermeintliche Fälle von Übergriffen auf psychisch Kranke.
Der Verfasser führt dabei auch einen durch Fotos dokumentierten Fall an, in dem sich ein Bewohner „zur Belustigung“ der Angestellten halbnackt mit einem ebenfalls leicht bekleideten Angestellten des Wohnheims haben ablichten lassen. Die Bilder seien anschließend intern in privaten Gruppen weitergeleitet worden, heißt es.
Wewole-Geschäftsführer spricht von einem schweren fachlichen Versagen
Der Geschäftsführung sei dieser Vorfall bisher nicht bekannt gewesen, so Rochus Wellenbrock zur WAZ. Interne Untersuchungen hätten ergeben, dass die Fotos (auch sie liegen der WAZ vor) im Jahr 2018 offenbar auf Wunsch des – inzwischen verstorbenen – Bewohners entstanden seien. Für den Vorwurf, dass die Bilder zur Belustigung von Angestellten entstanden sei, gebe es jedoch keinen Beleg. Nichtsdestotrotz liege hier ein schweres fachliches Versagen vor, weshalb der Angestellte eine Abmahnung erhalten habe.
Bestätigt hat sich noch ein weiterer Vorwurf - Diebstahl - in dem anonymen Brief: Ein Mitarbeiter habe eine Tüte Milch und ein Paket Fisch eines Bewohners aus dem Kühlschrank entwendet und mit nach Hause genommen, so Wellenbrock. Der Angestellte sei dafür abgemahnt und in eine andere Einrichtung versetzt worden.
Heimaufsicht führt nach anonymen Hinweisen Untersuchung durch
Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) – Kostenträger der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung – und die Heimaufsicht der Stadt Herne haben die beiden anonymen Schreiben erhalten. Nach Eingang des ersten Briefes am 27. Juni mit diversen Vorwürfen gegen Angestellte von „Haus Kaisereiche“ sei noch am selben Tag eine sogenannte anlassbezogene Prüfung in der Einrichtung durchgeführt worden, berichtet Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage der WAZ.
Wewole sei anschließend von der städtischen Aufsichtsbehörde über vorgefundene Mängel und Auffälligkeiten sowie über die Möglichkeiten zur Abstellung beraten worden. Beispielhaft nennt die Stadt hier Empfehlungen zur Erstellung von Verfahrensanweisungen, Verbesserung der Dokumentation und Durchführung von Mitarbeitern-Schulungen. Die Umsetzung seien nachverfolgt und überwacht worden. Im Ergebnis seien alle Maßnahmen von der Wewole entsprechend der Beratung umgesetzt worden.
Das zweite anonyme Schreiben vom 31. August – es trägt die Überschrift „Abrechnung mit der Wewole“ – habe für die Heimaufsicht keine neuen Anhaltspunkte auf Verstöße gegen gesetzliche Anforderungen enthalten, so Stadtsprecher Hüsken. Diese Auffassung sei auch vom LWL geteilt worden.
>>> Stadt Herne: Kein Interessenkonflikt für Sozialdezernent Chudziak
Die Vorfälle in der Wewole werfen eine grundsätzliche Frage auf: Besteht für den städtischen Sozialdezernenten Johannes Chudziak hier ein Interessenkonflikt? Der 44-Jährige ist nicht nur oberster Dienstherr der städtischen Heimaufsicht, sondern auch Mitglied im Kuratorium der Wewole-Stiftung, also jener Einrichtung, deren Arbeit die Stadt überwacht.
„Ein Interessenskonflikt besteht nicht“, erklärt Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage. Das Kuratorium sei ein Kontrollgremium und arbeite nicht operativ. Und es lege „höchsten Wert darauf, dass im operativen Bereich der Wewole keine Missstände auftreten“. Sollten Missstände auftreten, so sei die Erwartungshaltung, dass diese vom Kuratorium aufgeklärt würden und sichergestellt werde, dass diese oder vergleichbare sich nicht wiederholten.
Die Heimaufsicht arbeite in der Praxis „unabhängig“ und berichte Johannes Chudziak. „Dass der Dezernent bei der Wewole Kenntnisse über die Aufgaben und rechtlichen Grundlagen der Arbeit der Heimaufsicht mit in die Kuratoriumsarbeit einbringen kann, ist sinnvoller, als wenn diese Kontrollfunktion gänzlich ohne Fachwissen wahrgenommen würde“, so Hüsken.
Zum 1. Januar 2023 wechselt Chudziak bekanntlich als Sozialdezernent zum LWL. Seine (noch nicht feststehende) Nachfolgerin wird dann – Stand jetzt – als städtische Dezernentin automatisch Mitglied im Wewole-Kuratorium sein.