Herne. Der Vorwurf der Gewalt gegen Behinderte in einem Herner Heim beschäftigt auch das Arbeitsgericht. Und: Was über frühere Anzeigen bekannt wurde.
In einem Herner Wohnheim der Wewole für Menschen mit Behinderungen sollen Mitarbeitende Gewalt gegen Bewohner ausgeübt haben. Der Vorwurf ist nicht nur ein Fall für die Staatsanwaltschaft, sondern inzwischen auch fürs Arbeitsgericht. Und: Im Nachgang zur Berichterstattung der WAZ hat sich eine Hernerin gemeldet, die vor Jahren nach einem Vorfall mit ihrem Sohn in den Wewole-Werkstätten Strafanzeige gestellt hatte.
Herne: Fristlos gekündigte Mitarbeiter reichen Klage ein
Die Wewole-Stiftung war am 1. März in die Offensive gegangen: Geschäftsführer Rochus Wellenbrock informierte die Presse darüber, dass es in einem Wanne-Eickeler Wohnheim für Menschen mit Behinderung zu struktureller und körperlicher Gewalt gekommen sein soll. So sollen Mitarbeitende der Einrichtung „Kaisereiche“ eine Frau mit einem Klebeband an einen Stuhl fixiert haben. Außerdem soll mehrfach der Zugang zu einem persönlichen Zimmer verwehrt und kein Abendessen ausgegeben worden sein, so berichtete Wellenbrock. Bekannt geworden seien die Vorfälle durch Meldungen von zwei Angestellten an die Geschäftsführung.
Nach umfangreichen internen Untersuchungen stellte die Wewole Strafanzeige gegen fünf Beschuldigte und entließ sie fristlos. „Das ist ein entsetzlicher Vorgang, der durch nichts zu entschuldigen ist“, sagte Wellenbrock Anfang März. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dauern an, doch am Arbeitsgericht ist es bereits zu einem ersten Termin gekommen.
Alle fünf fristlos entlassenen Mitarbeiter hätten Kündigungsschutzklage eingereicht, berichtet der Geschäftsführer auf Anfrage. Das gelte auch für jenen Mitarbeiter, der bereits einen Auflösungsvertrag unterschrieben habe. Ziel der Mitarbeitenden sei es, eine fristgerechte Kündigung zu erreichen. Am Mittwoch dieser Woche habe in einem Fall ein erster Gütetermin vor dem Herner Arbeitsgericht stattgefunden. „Dabei konnte keine Einigung erzielt werden“, so Wellenbrock.
Arzt attestiert Hämatome und Würgemale
Im September 2014 war es schon einmal zu einer Strafanzeige gegen Wewole-Mitarbeiter wegen des Vorwurfs der Misshandlung gekommen – allerdings nicht durch die Geschäftsführung, sondern durch die Mutter eines damals 23-jährigen Mannes mit geistiger Behinderung. Der angezeigte Vorfall ereignete sich in den Wewole-Werkstätten an der Langforthstraße.
Nach übereinstimmenden Aussagen Beteiligter hatte Marvin B. (voller Name der Redaktion bekannt) damals im Speisesaal nicht wie vorgeschrieben nach dem Essen sein Tablett zurückgebracht, sondern den Raum verlassen. Weil er sich auf Ansprache weigerte, das nachzuholen, packten ihn zwei Mitarbeitende an beiden Armen, um ihn zurück in den Speisesaal zu ziehen. Daraufhin ging Marvin zu Boden und versuchte, sich dem Zugriff zu entziehen, was aber misslang. Ein aktiv Beteiligter gab damals gegenüber der Polizei an, dass sie den jungen Mann am Boden fixiert hätten, um sich und andere „zu schützen“. Ein Arzt attestierte anschließend bei Marvin unter anderem Hämatome, Würgemale am Hals und Kratzer.
Ermittlungen wurden eingestellt
Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft wurden damals trotz des massiven Übergriffs eingestellt. Dass hier ein schweres Fehlverhalten von Wewole-Mitarbeitenden vorlag, davon ist die Mutter von Marvin B. damals wie heute überzeugt. „Ich habe das noch immer nicht richtig verkraftet. Der aktuelle Fall bei der Wewole hat bei mir alles wieder aufbrechen lassen“, sagt sie zur WAZ.
Wewole-Geschäftsführer Rochus Wellenbrock kann gegenüber der WAZ keine Angaben zu dem knapp acht Jahre zurückliegenden Fall machen. „Der Vorfall ist bei uns nicht aktenkundig“, erklärt er. Er selbst sei erst 2015, also ein Jahr später zur Wewole – damals noch: „Werkstätten für Behinderte“ – gekommen. Seitdem habe es bis zum aktuellen Fall im Wohnheim „Kaisereiche“ keine weiteren Strafanzeigen gegen Mitarbeitende gegeben.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Probleme bei Neubesetzung der Stellen
Durch die fristlosen Kündigungen sei es in dem betroffenen Wewole-Wohnheim „Kaisereiche“ am Marschkampweg zu personellen Engpässen gekommen. Diese würden mit internen und auch externen Lösungen bewältigt, so die Stiftung.
Parallel dazu laufe ein Besetzungsverfahren für die freien Stellen. Aufgrund des akuten Fachkräftemangels im Pflegebereich sei es aber schwierig, sofort adäquaten Ersatz zu finden, so Geschäftsführer Rochus Wellenbrock.