Herne. Nicht sehen, hören oder laufen können – wie sich das im Alltag anfühlt, haben jetzt Azubis der Stadt Herne erfahren. Was sie dabei gelernt haben.
Langsam setzt Shi einen Fuß auf die Stufe, tastet mit dem Blindenstock die Treppe ab und setzt ganz vorsichtig den anderen Fuß auf die nächste Stufe. Die Auszubildende muss im Technischen Rathaus in Wanne eine Mahnung bezahlen. Und das alles, ohne etwas zu sehen. Die Aufgabe ist natürlich nur fiktiv und auch die Sehbehinderung ist fiktiv – Shi trägt eine Augenbinde.
Beim Inklusionstag der Stadt Herne haben die neuen Auszubildenden der Stadt und der Sparkasse die Chance, durch eigene Erfahrungen zu erleben, wie sich Menschen mit Behinderungen im Alltag zurechtfinden. Das soll sie für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen sensibilisieren.
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Die Treppen vor dem Rathaus hat Shi mittlerweile geschafft, nun muss sie mit dem Aufzug in den vierten Stock fahren – gar nicht so einfach, schließlich muss sie den Zeitpunkt erwischen, an dem sich die Türen öffnen und erst einmal Platz machen, denn ihr kommt ein Rollstuhlfahrer entgegen. „Gerade am Anfang ist es schwierig, sich zurechtzufinden“, sagt Shi, die sich bei der Stadt ausbilden lässt. „Ich bin an einige Leute gerempelt.“ Trotz der Schwierigkeiten sei das „Blindsein“ ein Erlebnis gewesen, sagt sie, nachdem sie die Augenbinde wieder abgenommen hat. „Aber noch einmal bräuchte ich das nicht.“
Azubi lernt, wie Seniorinnen und Senioren sich im Alltag fühlen
Auch für Lilaw Hamon sei es ein unangenehmes Gefühl gewesen. Sie kann zwar noch alles sehen, allerdings nicht mehr laufen. In einem Rollstuhl soll sie ebenfalls eine Aufgabe im Gebäude erledigen, danach den Rollstuhl rückwärts in einer Parklücke parken. „Das war am schwierigsten“, sagt Lilaw. Sie sei auf Hilfe angewiesen gewesen, „vor allem, als ich die Bordsteinkante hochfahren musste“.
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Dass viele Menschen mit Behinderungen auf Hilfe angewiesen sind, weiß auch Ralf Bittokleit. Er ist Altenhilfekoordinator der Stadt und zeigt den Azubis, wie es sich anfühlt, sich im Alter zu bewegen. Dafür legt er ihnen Gewichte an den Körper, die die körperliche Belastung im Alter simulieren sollen. Damit müssen die jungen Erwachsenen dann mit einem Rollator in den zweiten Stock fahren – nur leider ist der Aufzug kaputt, also muss die Treppe genommen werden. Schon beim Anlegen der Gewichte sagt Alexander: „Ich fühle mich eingeschränkt.“ Und auch nach der Übung ist er froh, sich wieder frei bewegen zu können: „Die Gewichte haben gedrückt, und es war sehr warm.“
„Dafür sollte sich niemand zu fein sein“
Dass die Azubis genau diese Erfahrungen machen, sei wichtig, sagt Bittokleit. So bekämen sie einen Eindruck davon, was Seniorinnen und Senioren jeden Tag erlebten, und würden dafür sensibilisiert, diesen Menschen im Alltag zu helfen. „Es gibt eine Generation, die hat mit Digitalisierung nichts am Hut.“ Wenn sie also etwas beispielsweise im Rathaus erledigen müssten, seien sie oft auf Hilfe angewiesen. „Diese Generation dürfen wir nicht zurücklassen.“ Diesen Menschen im Alltag zu helfen, „dafür sollte sich niemand zu fein sein“.
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An insgesamt sieben Stationen können die Auszubildenden der Stadt und der Sparkasse an diesem Tag Erfahrungen sammeln. So lernen sie unter anderem einige Wörter in der Gebärdensprache, müssen taub eine Aufgabe im Gebäude erledigen oder barfuß über einen Erlebnispfad laufen. Die Stationen werden größtenteils von städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut, die selbst von den jeweiligen Einschränkungen betroffen sind.