Herne. Im Alltag findet die Herner Fotografin Brigitte Kraemer ihre Themen. Jetzt hat das Ruhr Museum die Arbeiten aus 40 Jahren übernommen.

Brigitte Kraemer gilt als die große Alltagsfotografin des Ruhrgebiets. Jetzt hat das Ruhr Museum in Essen mit Unterstützung der Essener Krupp-Stiftung ihr fotografisches Lebenswerk angekauft. Ute Eickenbusch hat sie in Wanne-Eickel getroffen.

Frau Kraemer, Sie haben dem Museum 360.000 Bildeinheiten überlassen, eine ungeheure Zahl! Kam da ein Lastwagen und hat Negative, Prints und Festplatten abgeholt?

Brigitte Kraemer: Es ist noch nichts übergeben! Die Zahl ist eine grobe Schätzung von mir. Erst mal habe ich die Themen aufgelistet seit 1982. Da sind sehr viele Ruhrgebietsthemen dabei, aber natürlich auch Auftragsarbeiten wie „Frauen mit Kindern im Knast“ in München, „Mädchen auf Trebe in Berlin“ oder „Bergarbeiterstreik in England“.

Hatten Sie alles ordentlich archiviert?

Der Vorteil ist, dass ich bis 2016 analog fotografiert habe. Das heißt: Du hast einen Film, du hast einen Kontakt und einen Ordner. Und auf dem Ordner steht eine Jahreszahl. Parallel habe ich das in eine Datenbank eingegeben. Papierabzüge habe ich auch noch in Kartons, das kommt dazu, Dias und ein paar digitale Projekte.

Schrebergarten in Gelsenkirchen, 2021.
Schrebergarten in Gelsenkirchen, 2021. © Fotoarchiv Ruhr museum/ Brigitte Kraemer

Haben Sie die Rechte an Ihren Bildern jetzt abgegeben?

Nein. Die Negative und die Dias und die Vergrößerungen werden im Archiv des Ruhr Museums nach archivfesten Bedingungen, was Verpackung und Klima angeht, eingelagert. Aber ich habe alle Rechte am Bild, ich kann ausstellen oder Bilder verkaufen.

Und die Fotos müssen jetzt alle archiviert werden?

Alles muss digitalisiert, nummeriert, beschriftet, verschlagwortet und verpackt werden. Ich habe Hilfe von einer Mitarbeiterin des Ruhrmuseums, doch zum Schluss muss ich die Bilder noch mal durchgucken, um Angaben zu ergänzen. Vier Jahre haben wir dafür veranschlagt. Dieses Jahr wollen wir die Dias schaffen.

Was bedeutet der Ankauf für Sie persönlich?

Es ist natürlich eine große Ehre. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass meine Arbeit in sicheren Händen ist und für die Nachwelt erhalten bleibt.

Ist der Verkauf auch so etwas wie eine Altersversicherung?

Aber natürlich: ja. Darauf habe ich nicht spekuliert, aber es ist eine glückliche Fügung.

Flüchtlinge in Mülheim, 2020.
Flüchtlinge in Mülheim, 2020. © Fotoarchiv Ruhr Museum/ Brigitte Kraemer

Wie überlebt man als freie Fotokünstlerin?

Ich habe Auftragsarbeiten gemacht, für Stern, Spiegel, Zeit-Magazin, Brigitte. Das waren in den 90ern noch die Ausläufer der großen Reportage-Fotografie. 2005 habe ich mit der „Friedensdorf“-Geschichte die letzte große Stern-Veröffentlichung gehabt, acht Doppelseiten. Dann arbeite ich regelmäßig für die taz, was man honorarmäßig allerdings vernachlässigen kann. Die haben eine Kolumne „Sonntags in“ und da bin ich fürs Ruhrgebiet zuständig. Sonst keine Presse mehr.

Sondern?

Ich hab ja auch immer freie Serien gemacht, „Im guten Glauben“, „Camper an der Ruhr“, „Mann und Auto“, „Frauen im Frauenhaus“. Oft mache ich das ohne Auftrag, habe aber meistens das Glück gehabt, das im Nachhinein verkaufen zu können. So wurde „Am Kanal“ im Stern gedruckt. „Im guten Glauben“ auch, das habe ich als fertige Arbeit angeboten, dann hat jemand den Text dazu gemacht.

Und Ausstellungen?

Ich habe viel in den Industriemuseen wie Zeche Hannover ausgestellt, etwa „Die Bude“. Sie haben manchmal nach der Ausstellung eine Serie für die Sammlung angekauft. Die Westfälischen und Rheinischen Industriemuseen waren diejenigen, die sich für Alltags- und Ruhrgebietsthemen interessiert haben.

Man hat den Eindruck, dass Sie dem Geschäft nicht hinterherlaufen. Auf Ihrer Homepage ist der Ankauf durch das Ruhr Museum noch gar nicht angekommen!

Ich bin nie hinter Aufträgen hergerannt. Ich habe immer die Mischung gehabt zwischen Auftrag und eigenen Themen. Zum Beispiel 2016, die Flüchtlingsszene: Da hatte ich auch keinen Auftrag. Aber wenn ich das machen will, dann mache ich das, weil es mir wichtig ist und Spaß macht. Und dann darf man nicht aufrechnen, wie viel Zeit man damit verbringt.

Wie steht es um öffentliche Förderung?

Man kann sich alle vier Jahre um eine „VG Bild-Kunst“-Förderung bewerben. Die fördern Themen, die auf dem Markt nicht so die Chance haben, veröffentlicht zu werden. Da bin ich sehr oft gefördert worden.

Rhein-Herne-Kanal in Herne, 2015.
Rhein-Herne-Kanal in Herne, 2015. © Fotoarchiv Ruhr Museum/ Brigitte Kraemer

Fragen Sie eigentlich die Leute, die Sie fotografieren, um Erlaubnis?

Ich sage, wenn sie mich ansprechen, warum ich fotografiere. Wenn sie es nicht unbedingt wissen wollen, sage ich vielleicht auch mal gar nichts. Ich mache Straßenfotografie, und da kann man nicht immer fragen.

Sie scheuen sich nicht, die anzuquatschen?

Nein!

Die Leute machen bei Ihnen oft ihr Ding und gucken gar nicht in die Kamera. Man denkt, die haben Sie vergessen…

Wahrscheinlich haben sie mich dann akzeptiert und ich bin dabei. Ich inszeniere eigentlich gar nicht. Außer wenn die Leute das wollen und sich so aufstellen. Aber in der Regel passieren die Szenen nebenbei. Es sind ja fast immer ganz alltägliche Situationen.

Was würden Sie nie fotografieren?

Ich würde nie Kriegsfotografie machen, und auch die ganzen Promigeschichten sind nicht mein Ding.

Was ist mit der Cranger Kirmes?

Habe ich natürlich! Ich gehe fast immer zur Cranger Kirmes. Du machst ja nicht immer die gleichen Bilder, auch wenn du 1000 Mal da warst.

Momentan fotografieren Sie an der Ruhr…

Das Thema ist Freizeit an der Ruhr, wie bei der Serie zur Freizeit am Kanal. Die Galerie Schauraum Wachszinshaus in Hattingen hat mich eingeladen, eine Ausstellung zu machen, und Hattingen liegt an der Ruhr. Aus Mülheim kommt jetzt noch was vom „Ruhr Reggae Summer“ dazu, und im September habe ich noch eine Taufe von einer Freikirche in Essen. Ich achte schon darauf, dass ein paar Sachen nicht so alltäglich sind. Wie letzten Sonntag, da bin ich nach Hattingen gefahren. Und plötzlich stand eine Kuh im Wasser, weil es so heiß war an dem Tag.

>>> ZUR PERSON

■ Brigitte Kraemer ist 1954 in Hamm geboren. Nach einer Ausbildung zur Steuergehilfin studierte sie 1976 bis 1982 Visuelle Kommunikation an der Essener Folkwang-Hochschule.

■ Seit 1984 wohnt sie in Wanne-Eickel. In Herne war sie zuletzt im April/Mai 2022 an der Gemeinschaftsausstellung „Wir sind Herne“ in der Akademie Mont-Cenis beteiligt.

■ Mehr über Bücher, Ausstellungen und Preise auf www.fotografie-brigittekraemer.de.

>>> ZUM ANKAUF

Mit dem Ankauf des Bilderkonvoluts aus den Jahren 1982 bis 2021 ergänzt das Essener Ruhr Museum seine umfangreiche Sammlung u.a. um das Thema Migration - ein Schwerpunkt der Fotografin. „Sie ist keine distanzierte Betrachterin, sondern durch ihr Einfühlungsvermögen in ihren Fotografien Teil der Szene“, würdigt das Ruhr Museum den besonderen Umgang Brigitte Kraemers mit ihren Themen.