Herne. Fünf Künstler, 75 großformatige Fotos und ein ganz besonderer Ort: Warum die Ausstellung „Wir sind Herne“ in der Akademie den Besuch wert ist.

Wie inszeniert man einen angemessenen Auftakt zur 125-Jahr-Feier einer Stadt? Natürlich mit Menschen dieser Stadt. So geschehen in Herne.

In der Akademie Mont-Cenis ist seit dem 1. April und noch bis Ende Mai die Ausstellung „Wir sind Herne! Fotografien der Menschen unserer Stadt“ zu sehen. Eine Fotografin und vier Fotografen haben sich individuell mit der Frage auseinandergesetzt: Wer sind eigentlich die Menschen Hernes?

Die künstlerischen Antworten fallen bemerkenswert aus, nicht zuletzt deshalb, weil alle fünf Beteiligten einen zum Teil völlig unterschiedlichen Ansatz wählten. Für den Wow-Effekt dieser Schau mit 75 Fotos von Menschen aus Herne sorgt der ganz besondere Ausstellungsort, der sich - sagen wir mal: – auf Anhieb nicht unbedingt aufgedrängt hat für ein derartiges Projekt.

Auch in und über den Wasserbecken der Akademie Mont-Cenis wurden Fotos platziert.
Auch in und über den Wasserbecken der Akademie Mont-Cenis wurden Fotos platziert. © Stadt Herne | Thomas Schmidt

Das ging auch Kuratorin Katrin Lieske (Emschertalmuseum) so, die mit dem Büro des Oberbürgermeisters verantwortlich zeichnet für die Schau. Den Moment, als sie im Herbst erfahren hatte, dass „Wir sind Herne“ in der Akademie Mont-Cenis zu sehen sein soll, brachte Lieske bei der Ausstellungseröffnung so auf den Punkt: „Ich fühlte mich zunächst, um es diplomatisch auszudrücken, herausgefordert.“ Denn: „Wir haben in der Akademie 15 Meter hohe Decken, einen ganz tollen Lichteinfall, der sich stündlich ändert, wir haben Wasserbecken und wir haben Palmen. Es gibt dort aber nicht eine einzige weiße Wand.“ Das sei der Moment, in dem jeder Kurator „erstmal ins Schwitzen kommt“, so Katrin Lieske.

Fotos wurden maßgeschneidert für die Akademie Mont-Cenis

Die Lösung: die Ausstellungsbeiträge wurden maßgeschneidert für diesen einzigartigen Ort. Buchstäblich zu Wasser, zu Lande und in der Luft platzierten die Beteiligten die größer als üblich konfektionierten Fotos. Durch spezielle Hängekonstruktionen und mit angemieteten Hubsteigern ist es schließlich gelungen, (fast) alle Beiträge auch ohne weiße Wände gut in Szene zu setzen.

Ein solches Projekt wäre allerdings zum Scheitern verurteilt, wenn der eigentliche Kern keine Substanz hätte. Die Fotografin Brigitte Kraemer sowie ihre vier Kollegen sorgten dafür, dass die mal schwarz-weißen, mal farbigen Porträts viele Facetten der Herner Stadtgesellschaft zeigen.

Da sind zum einen die Beiträge von Brigitte Kraemer. Als „Ikone der Ruhrgebietsfotografie“ wurde die seit vielen Jahren in Herne lebende gebürtige Hammerin von Lieske bei der Eröffnung bezeichnet. Sie hält seit vielen Jahren – häufig in schwarz-weiß – das Leben im Ruhrgebiet fest, ob am Kanal, in Schrebergärten oder im Frauenhaus. Das wissen auch im Rest der Republik viele Menschen zu schätzen, denn Kraemer veröffentlichte ihre reportageartigen Fotoreihen beispielsweise in Wochenmagazinen wie Zeit und Spiegel. Ihre in der Akademie an der Außenwand des Bürgersaals gehängten Fotos sind unter anderem in der Kita „Wilde Wiese“, in Wohnungen und im Stadtteilzentrum Pluto entstanden.

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Einen starken Kontrast bilden die bunt-leuchtende Porträts Young-Soo Changs, die in der Akademie im vorderen Wasserbecken zu finden sind. Durch die Art, wie er Perspektive einsetze und den Raum mit aufnehme, merke man, dass Young-Soo Chang Kameramann sei, erklärte die Kuratorin. Hintergrund: Er arbeitet seit über 20 Jahren für TV-Shows, Werbefilme und Inhalte für digitale Plattformen.

Die beiden Stadtfotografen sind in der Ausstellung vertreten

Mit Frank Dieper und Thomas Schmidt sind auch die beiden Stadtfotografen in „Wir sind Herne“ vertreten. Bevor Dieper, gebürtiger Bergisch Gladbacher, 2015 beim Herner Pressebüro anheuerte, arbeitete er als Fotograf, Grafikdesigner und Kameramann. Zuvor hatte er nach seinem Abitur in Bochum eine Ausbildung zum Industrie- und Werbefotografen gemacht. Diepers Fotos sind im hinteren Wasserbecken der Akademie zu sehen.

Bereits seit 2003 ist Thomas Schmidt im Pressebüro eines von zwei „fotografischen Gedächtnissen“ Hernes. Als Stadtfotograf und Kommunikationsdesigner hält er die großen und kleinen Momente des Alltags fest – im Stadtmagazin „inherne“, aber auch in zahlreichen Medien und der Presse. Außerdem ist Schmidt Mitherausgeber vieler Bildbände, die sich mit den Menschen und der Geschichte des Ruhrgebiets auseinandersetzen. Hierzu zählt unter anderem das preisgekrönte Fotobuch „Herne 50/80 Fotografie“. Sein von ihm selbst als „Porträtparcours“ bezeichneter Beitrag für „Wir sind Herne“ ist in der Akademie auf dem Kegel und an den Wänden des dahinter liegenden Bürotrakts zu sehen.

Blick in die eigene Geschichte und in die eigene Gegenwart

Last but not least: Peter Liedtke. Sein Name ist seit Mitte der 1980er Jahre ein Begriff in Sachen Fotojournalismus im Ruhrgebiet. Aktuell arbeitet er vornehmlich kuratorisch, organisiert Ausstellungen und entwickelt Projekte wie das 2003 entstandene Pixelprojekt_Ruhrgebiet, einer digitalen Sammlung für Autorenfotografie. Liedtkes Fotos hängen in der Akademie mittig und teils in luftiger Höhe zwischen den beiden inneren Gebäudetrakten.

Fünf unterschiedliche Ansätze, fünf unterschiedliche Stile treffen in Sodingen aufeinander. Dass dies nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern vielmehr auch Ausdruck der Entwicklung dieser Stadt ist, das machte der städtische Historiker Ralf Piorr in der Eröffnung der Ausstellung deutlich: „Wir sind viel differenzierter geworden. Es gibt nicht mehr dieses ,Wir’, es gibt nicht mehr diese homogene Stadt.“ Dieser Prozess werde sich fortsetzen. Die Gesichter, in der Ausstellung stünden für alle: „Schauen wir sie uns an, schauen wir letztendlich auch in unsere eigene Geschichte und in unsere eigene Gegenwart“, so Ralf Piorr.

>>> WEITERE INFORMATIONEN: Die Öffnungszeiten

Die Fotoausstellung „Wir sind Herne“ ist bis zum 31. Mai, in der Akademie Mont-Cenis, Mont-Cenis-Platz 1, zu sehen. Die Akademie ist geöffnet: montags bis freitags jeweils 15 bis 18 Uhr (Zugang über den Haupteingang Mont-Cenis-Platz) sowie samstags und sonntags jeweils von 10 bis 18 Uhr (Zugang über den Seiteneingang). Der Eintritt ist frei.

Ein Video über die Entstehung der Ausstellung ist zu sehen auf der Stadtseite inherne.net/wir-sind-herne-in-videoform/