Herne. Gelungene „echte“ Premiere für den Christopher Street Day in Herne: Etwa 1000 Menschen nahmen unter dem Motto „Vielfalt sichtbar machen“ teil.

Gelungene „echte“ Premiere für den Christopher Street Day in Herne: Nach zwei virtuellen Veranstaltungen – wegen Corona – haben am Samstag etwa 1000 Menschen der LGBTQ-Bewegung bei über 30 Grad unter dem Motto „Vielfalt sichtbar machen“ in der Herner Innenstadt für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung demonstriert.

Das Veranstaltungsteam hatte im Vorfeld mit rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerechnet, es seien aber wesentlich mehr gekommen, bestätigte die Herner Polizei auf Anfrage, und meinte, dass am Demozug rund 1000 Menschen teilgenommen haben.

Teilnehmer kamen auch aus anderen Städten nach Herne

Mitgelaufen ist der 22-jährige Jonah Düpjan. Er hatte sich extra aus Wachendorf bei Münster auf den Weg nach Herne gemacht. „Meine Freunde hatten keine Zeit, aber dann habe ich am Dortmunder Hauptbahnhof Menschen mit Regenbogen-Flaggen gesehen und wusste, dass die nach Herne fahren werden“, erzählt Düpjan. Er habe die Gruppe angesprochen und jetzt neue Freunde gefunden. „Das ist das Schöne an unserer Gemeinschaft. Wir sind alle eine Familie“, sagte der 22-Jährige im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Ihm sei es besonders wichtig, ein politisches Zeichen zu setzen.

Viele Teilnehmer kamen aus anderen Städten nach Herne zum Christopher Street Day.
Viele Teilnehmer kamen aus anderen Städten nach Herne zum Christopher Street Day. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Auch wenn die Stadt bunt erstrahlt und das Publikum friedlich und ausgelassen feiert, äußern sich manche geladenen Gäste auch kritisch. Unter anderem Roxanna-Lorraine Witt, Preisträgerin des Edition F Awards und Mitgründerin des Vereins „Save Space“: „Es ist ein Armutszeugnis, dass die marginalisierten Personen im Jahr 2022 selbst für diese Veranstaltung kämpfen mussten. Denn es gehört zur historischen und politischen Verantwortung der Stadt Herne, dass die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger vertreten werden.“

„Kampf gegen Unterdrückung ist auch Kampf ums Überleben“

Witt wurde 1993 in Minden als Tochter einer Sinti-Familie geboren. Ihre Rede begann sie mit klaren Worten: „Ich bin wütend!“ Damit traf sie offenbar den Nerv von vielen Teilnehmern. „Der Kampf gegen Unterdrückung ist nicht nur schön und hat bunte Farben, sondern ist auch ein Kampf ums Überleben!“ Dafür bekam sie aus dem Publikum lautstarke Zustimmung. Ihre Aussage unterstreicht Witt mit dem Verweis auf den Angriff, bei dem Jess – ein 15-jähriges Trans-Mädchen – erst vor wenigen Wochen in Herne brutal verprügelt wurde.

Witts Rede berührte auch Günter Nierstenhöfer. Der 73-Jährige ist zum ersten Mal beim CSD dabei. „Sie hat recht mit allem, was sie sagt. Das sind alles gesamtgesellschaftliche Probleme, die alle betreffen“, so der Herner. Er hoffe, dass irgendwann nur noch Erfolge gefeiert werden können und es keine Anlässe für Demonstrationen mehr gäbe.

Wasser-Pumpgun gegen die Hitze: Teilnehmer des Herner CSD.
Wasser-Pumpgun gegen die Hitze: Teilnehmer des Herner CSD. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Verwunderung, dass Herne noch keine CSD-Tradition hat

Zu den Rednern gehört auch Gianni Jovanovic. Als Sohn einer Roma-Familie und homosexueller Mann erzählt der 44-Jährige, unter anderem auch in bekannten TV-Talkshows, über sein Leben, das von grausamen Diskriminierungserfahrungen geprägt ist. „Ich wünsche mir, dass die junge Generation Anerkennung findet und wir sie mit sicheren Räumen bei ihrer Identitätsfindung begleiten können“, sagt Gianni Jovanovic im Gespräch mit der WAZ-Lokalredaktion. Diese Verantwortung müsse gesamtgesellschaftlich getragen werden.

Bei seinem Auftritt las er aus seinem kürzlich erschienenen Buch „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“. Das dreht sich um sein damaliges Coming-out im Alter von 20 Jahren. Dass in Herne erstmalig ein CSD stattfindet, verwundere ihn: „Herne ist doch eigentlich eine große Stadt, deshalb hätte ich gedacht, dass hier der CSD bereits Tradition hat.“ Die Veranstaltung so zu sehen, sei schön, zeige aber auch, „dass von der Stadt Strukturen geschaffen werden müssen, so dass sich queere und junge Menschen sicher fühlen“.

>>> WIEDERHOLUNG GEPLANT

■ „Wir hätten niemals mit so vielen Leuten gerechnet“, erzählt Laron Janus, der mit Elena Franz die Veranstaltungsleitung übernommen hatte.

■ „Dass so viele junge Menschen gekommen sind, macht mir vor allem Mut für die Zukunft“, so Janus. Dass es im nächsten Jahr wieder einen CSD geben wird, konnte Janus bestätigen.