Herne. Ulrike Hölter ist seit rund eineinhalb Jahren 1. Bevollmächtigte der IG Metall für Herne. Sie spricht über die Themen, die die Metaller bewegen.

Vor rund eineinhalb Jahren haben die IG-Metall-Geschäftsstellen Dortmund und Herne/Bochum fusioniert. Die neue 1. Bevollmächtigte Ulrike Hölter schildert im Interview mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann den Prozess des Zusammenwachsens und wirft einen Blick auf die kommenden Tarifverhandlungen sowie auf die Lage der Herner Unternehmen.

Frau Hölter, als die IG-Metall-Geschäftsstellen Dortmund und Herne/Bochum fusionierten, lautete das „Motto“: Gemeinsam stärker werden. Ist dies eingetreten?

Hölter: Stärker sind wir dadurch geworden, dass wir unsere Arbeit besser organisieren können, dass das Team größer und vielfältiger geworden ist, wir sind stark in den Betrieben aufgetreten, aber es gibt auch eine Sache, die nicht so gut funktioniert hat.

Welche?

Die Mitgliederentwicklung. Wir sind weiter geschrumpft. Das gilt insgesamt für die IG Metall, leider auch in unserem Organisationsbereich. Da hat Corona kräftig mitgeholfen. Die Arbeit der Gewerkschaft lebt davon, dass wir mit den Menschen ins Gespräch kommen. In die IG Metall tritt jemand ein, wenn er angesprochen wird, doch all diese persönlichen Kontakte konnten in den vergangenen zwei Jahren nur sehr eingeschränkt stattfinden.

Hatten die beiden Geschäftsstellen Probleme, zusammenzuwachsen?

Überhaupt nicht. Die Teams haben schnell zusammengefunden, wir sprechen eine Sprache, wir denken gleich, wir sind halt Ruhrgebietler.

Aber ist der Bereich, der sich von Lünen im Osten bis zum Bochumer Süden erstreckt, nicht zu groß?

Nein, wir haben ja drei Anlauflaufstellen in Dortmund, Bochum und Herne, wir sind also für die Betriebe gut zu erreichen.

Noch mal das Stichwort Corona: Die Pandemie dürfte auch das Ziel vereitelt haben, die Beratungsarbeit in den Betrieben deutlich auszubauen...

...das war schon eine Herausforderung. Üblicherweise machen wir Versammlungen und Veranstaltungen, bei denen viele Menschen zusammenkommen, das war nur schwer möglich. Auch wir mussten uns erstmal darauf einstellen, Onlineangebote für die Mitglieder zu erstellen. Und längst nicht jedes Mitglied interessiert sich für diese Onlineangebote. Warnstreiks bei der letzten Tarifrunde mussten wir im Autokino organisieren. Bei den nun anstehenden Betriebsratswahlen, einer unserer Schwerpunkte in diesem Jahr, wird es auch schwierig. Betriebsversammlungen zur Bewerbung der Wahlen sind momentan ja nicht so einfach. Erstmalige Betriebsratswahlen beginnen im Normalfall mit einer Versammlung, und die Arbeitgeber haben sich schwer damit getan, diese Versammlungen zuzulassen. Da haben wir schon das eine oder andere auf die lange Bank geschoben. Dann wollen wir aber durchstarten und Betriebe, die noch keinen Betriebsrat haben, ermutigen, einen zu wählen.

Ein anderes Ziel war, Unternehmen dazu zu bewegen, wieder in die Tarifbindung zu gehen...

...da habe ich ein schönes Beispiel aus Herne. Die FläktGroup war schonmal raus aus der Tarifbindung, die konnten wir im vergangenen Jahr wieder hineinholen. Dort war es so, dass einige Mitarbeiter noch alte Regelungen hatten, die neuen haben aber schlechtere Verträge. Das hat zu einer großen Unzufriedenheit geführt. Die Einführung einer einheitlichen Tarifbindung der FläktGroup ist für uns eine echte Erfolgsgeschichte. Die Kolleginnen und Kollegen haben sich in der IG Metall organisiert, haben einen Tarifvertrag erstritten und jetzt wieder eine Grundlage, damit perspektivisch die gleichen Arbeitsbedingungen gelten. Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber wieder im Arbeitgeberverband ist.

Bei der vergangenen Tarifrunde organisierte die IG Metall Warnstreiks im Autokinoformat.
Bei der vergangenen Tarifrunde organisierte die IG Metall Warnstreiks im Autokinoformat. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Welche Themen bewegen die IG Metall bei den zukünftigen Tarifverhandlungen?

2018 haben wir „Zeit oder Geld“ ausgehandelt, letztes Jahr haben wir das Transformationsgeld ausgehandelt. Es kann genutzt werden, um Arbeitszeitabsenkungen auszugleichen, wenn zum Beispiel Arbeitsplätze in Gefahr geraten. In diesem Jahr wird eindeutig die Entgelterhöhung im Mittelpunkt stehen. Die Inflationsrate ist ja unglaublich, das bewegt alle Beschäftigten. Es wird eine einfache Forderung geben, aber es dürfte keine einfache Runde werden.

Welche Rolle wird in der Zukunft das Thema Fachkräfte spielen?

Durch den demografischen Wandel scheiden viele Arbeitskräfte aus dem Berufsleben aus. Eigentlich müsste die Konsequenz sein, dass die Unternehmen ihre Ausbildungszahlen nach oben schrauben. Genau das Gegenteil ist während der zwei Coronajahre passiert. Das ist wirklich dramatisch.

Der Bedarf an Fachkräften wird da sein, doch woher sollen sie kommen, wenn die Betriebe sie nicht ausbilden?

Wie stark der Bedarf jetzt schon ist, sehen wir an einem Betrieb in Dortmund, der geschlossen worden ist. Die Mitarbeiter hatten keine Probleme, neue Beschäftigung zu finden. Gut ausgebildete Leute finden schnell einen Job.

Da stellt sich die Frage, wie stark sich die Anforderungen und Berufsbilder verändern werden.

Der Wandel ist in vollem Gang. Die bisher niedrig qualifizierten Arbeitsplätze wandeln sich zu höher qualifizierten. Die Digitalisierung in den Betrieben hat durch Corona noch mal einen Sprung gemacht. Die Anforderungen in den Berufsbildern werden höher. Früher gab es den Schlosser und den Elektriker, heute den Mechatroniker. Der muss beides können, der muss auch Englisch sprechen. Selbst in den einfachsten Produktionen sind heutzutage Bedienungen von Computern selbstverständlich.

Wie sehen Sie die Situation bei den Herner Unternehmen?

Bei den Sinterwerken ist ja der Personalabbau mittlerweile abgeschlossen. Unser Betriebsrat arbeitet nun zusammen mit der Geschäftsführung an Zukunftsprojekten. Bei den anderen größeren Unternehmen ist nach unserer Wahrnehmung die Lage ganz okay. Das ist sie insgesamt in der Metall- und Elektroindustrie, und das spiegelt sich bei den Herner Unternehmen wider. Es gibt keine Auftragsprobleme, eher Lieferkettenprobleme und das Thema der Preissteigerungen, unter denen ja auch die Unternehmen leiden.

Nach Fläkt sind wir auch bei Adams Armaturen unterwegs. Dort haben die Kolleginnen und Kollegen teilweise Tarifbindung. Im Dezember haben sie eine schöne Aktion durchgeführt: Sie haben im Vorfeld zur Betriebsratswahl Wunschzettel für die Geschäftsführung geschrieben, auf denen sie die Themen notiert haben, die im Jahr 2022 angepackt werden, die der neu gewählte Betriebsrat ab März angehen wird. Bei Schwing gab es im vergangenen Jahr mehrere Problemthemen, unter anderem die Umsetzung von Homeoffice. Wir sind gerade dabei, einen Zukunftstarifvertrag zu verhandeln. Wir möchten, dass sich dort die Abläufe verbessern und das Unternehmen zukunftssicher machen. Personalabbau ist dort allerdings auch derzeit kein Thema.

>>> ZUR PERSON

■ Die gebürtige Dortmunderin Ulrike Hölter (51) hat 1987 bei Hoesch eine Ausbildung als Zerspanungsmechanikerin absolviert, wurde in der Zeit Vertrauensfrau und Jugendvertreterin und war sieben Jahre freigestellte Jugendvertreterin.

■ Über die Jugendarbeit kam sie als Jugendsekretärin zur IG Metall in Dortmund. Seit 1997 arbeitet sie bei der IG Metall. Ein Jahr später rückte sie, damals als jüngste Geschäftsführerin in NRW, in die Geschäftsführung der IG Metall Dortmund als 2. Bevollmächtigte auf. Heute ist sie eine der dienstältesten Bevollmächtigten.