Herne. Die langjährige 1. Bevollmächtigte der IG Metall Herne-Bochum, Eva Kerkemeier, ist in den Ruhestand gegangen. Im WAZ-Interview blickt sie zurück.

Die langjährige 1. Bevollmächtigte der IG Metall Herne/Bochum, Eva Kerkemeier, ist am 1. Oktober in den Ruhestand gegangen. Mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann sprach sie über den ersten Kampf, den sie austragen musste, den anhaltenden Strukturwandel und kommende Aufgaben.

Frau Kerkemeier, nach so langer Zeit bei der IG Metall: Welches Gefühl überwiegt bei Ihrem Abschied?

Kerkemeier: Es ist eine sehr emotionale Angelegenheit. Ich bin ja 36 Jahre dabei gewesen, da geht man nicht einfach und schüttelt das ab. Es sind auch die Menschen bei der letzten Delegiertenversammlung, mit denen ich gesprochen habe. Da habe ich gespürt: Genau das hat meinen Job ausgemacht: Die vielen tollen Menschen, mit denen ich arbeiten durfte. Es ist schon Wehmut dabei, aber auf der anderen Seite freue ich mich darauf, dass ich mein Leben etwas anders gestalten kann.


Wie haben sich im Laufe der 36 Jahre die Themen verändert. Welche Kämpfe mussten Sie zu Beginn Ihrer Zeit bei der IG Metall ausfechten?

Der größte Kampf fand schon im Vorfeld meines Starts 1984 statt. Es war damals nicht selbstverständlich, dass in so einer Männerorganisation wie der IG Metall in einer kleinen Verwaltungsstelle die einzige Sekretärin neben dem Bevollmächtigten eine Frau war. Das war der erste Kampf, den ich austragen musste.

Wie hat sich dieser Kampf geäußert?

Beim örtlichen Vorstand gab es schon den einen oder anderen Pascha, der meinte, das kann eine Frau nicht. Da hatte ich zwei, drei Jahre zu kämpfen, um denen zu beweisen, dass ich das mindestens genauso gut kann wie ein Kerl.

Gab es ein Schlüsselerlebnis, bei dem die „Kerle“ gemerkt haben, dass Sie es können?

Wir waren 1984 erstmalig im Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche. Nachdem ich meine ersten Auftritte in Betriebsversammlungen hatte, zum Beispiel bei Schwing, und unser Ziel genauso gut darstellen konnte wie die Männer, da merkten die anderen, dass ich weiß, worüber ich rede. Ein Arbeitgeber hat mir mal gesagt: Sie sind viel netter, Sie machen das viel charmanter, aber inhaltlich ist es der gleiche Blödsinn, wie Herr Berkenhoff (der frühere 1. Bevollmächtigte, Anm. d. Red.) ihn erzählt.

Wie haben sich denn die Themen verändert? Beim letzten Arbeitskampf vor zwei Jahren stand stark die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Fokus.

Eva Kerkemeier beim Warnstreik vor rund zwei Jahren. Bei diesem Arbeitskampf stand die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Zentrum.
Eva Kerkemeier beim Warnstreik vor rund zwei Jahren. Bei diesem Arbeitskampf stand die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Zentrum. © Funke Foto Services GmbH | Rainer Raffalski


Die Arbeitszeitverkürzung war immer ein zentrales Thema bei der IG Metall. Aber wir hatten schon 1984 als IG Metallerfrauen den Slogan „Mehr Zeit zum leben, lachen, lieben“. Es war nicht nur die große politische Idee, dass wir Platz für andere Menschen machen in Betrieben, wir wollten mehr Lebensqualität für die Familie, für die Freizeit und für die eigene Gesundheit. Dieses Thema hat sich über die ganzen 38 Jahre nicht wirklich verändert. Ich war froh, dass es in den Fokus kam, denn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war 1984 noch ein anderes Thema als vor zwei Jahren. Ich finde es toll, dass wir als IG Metall nachhaltig an diesem Thema gearbeitet haben.

Inwieweit wird die Digitalisierung in der Zukunft eine Rolle spielen?

Zukunftsthemen haben bei uns immer eine große Rolle gespielt. Ich habe noch auf einer merkwürdigen elektrischen Schreibmaschine geschrieben, damals gab es die erste Computerisierung in den Betrieben. Das war eine große Veränderung der Arbeitsbedingungen und damit unserer Themen. Gestaltung und Humanisierung von Arbeit waren große Fragen, die sich jetzt im Grunde wiederholen mit der Digitalisierung. Dieses Thema müssen wir mit den Kollegen und den Unternehmen gemeinsam gestalten. Nur dann haben wir Chance, was die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen angeht, aber auch die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten.

Wenn man mit Arbeitgebern verhandelt: Wie stark muss man als Gewerkschafterin auch unternehmerisch denken?

Man kann mit unterschiedlichen Positionen in eine Verhandlung gehen, wenn man weiß, dass es eine gemeinsame Position gibt, nämlich: Die Arbeitsplätze langfristig sichern. Dann weiß ich, dass es immer einen Kompromiss geben kann. Seit Jahren gibt es keine Verhandlungen mehr, ohne dass wir uns die Bilanzen vorlegen lassen, damit wir kontrollieren können, ob die Situation in einem Betrieb tatsächlich problematisch ist oder da jemand auf hohem Niveau jammert. Da mussten wir viel lernen.

Aber es geht nicht nur um Zahlen, sondern auch um die Ausrichtung eines Unternehmens...

...vor zig Jahren haben wir bei Schwing Arbeitsgruppen gebildet, um gemeinsam mit den Kollegen zu überlegen, was kann das Unternehmen mit seinem Knowhow alternativ zu einer Betonpumpe bauen? Da sind tolle Vorschläge gekommen, doch die lapidare Antwort war: Wir können nur Beton. Da war Beton im Kopf. Das hat sich ja leider später deutlich ausgewirkt. Das zeigt, wie wichtig Mitbestimmung im Betrieb ist.

Beispiel Schwing: Gab es in der Zeit große Niederlagen oder Erfolge? Oder denken Sie gar nicht in diesen Kategorien?

Wir haben viele Erfolge erzielt, weil viele Unternehmen noch da sind, aber natürlich sind andere verschwunden. Als ich angefangen habe, gab es noch Blaupunkt. Es tut weh, wenn man heute dort her geht und weiß, dass da mal 1200 Leute beschäftigt waren, und heute sind die Sinterwerke dort mit weniger als 200 Beschäftigten. Aber die, die verschwunden sind, haben häufig die Entwicklung verpennt. Unter den Entscheidungen im Management mussten die Mitarbeiter leiden.

Wir sprechen im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten vom Strukturwandel. Stecken wir eigentlich noch drin, oder ist das Ruhrgebiet langsam in einer neuen Phase?

Wir werden auch in Zukunft im Strukturwandel sein. Man denke nur an die Automobilzulieferer. Ich werde von Kollegen aus Baden-Württemberg gefragt, wie wir das im Ruhrgebiet geschafft haben. Die haben richtig Angst, wie es in Zukunft bei denen aussehen wird. Die Digitalisierung wird die Frage des Strukturwandels genauso beinhalten, der wird nur nicht so hart und schnell kommen wie andere Brüche in der Vergangenheit.

Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda spricht ja von einer Renaissance der Industrie und möchte die grünste Industrieregion der Welt entstehen lassen. Was halten Sie von dieser Vision?

Der OB hat richtig gute Ideen und hat ja schon einige Erfolge zu verzeichnen. Herne ist ja sogar wieder Automobilstandort mit Tropos. Da ist Herne zurzeit auf dem aktuellen Stand der Technik. Ich war allerdings nicht ganz so begeistert von den Logistikansiedlungen, aber insgesamt ist Herne auf einem guten Weg.

Ein Wort zur Fusion der Geschäftsstellen Herne/Bochum und Dortmund: Haben sich da zwei Schwache zusammengetan, um wieder stark zu werden?

Eva Kerkemeier mit ihren Nachfolgern Ulrike Hölter und Volker Strehl, die die neue IG Metall-Geschäftsstelle Ruhrgebiet-Mitte leiten werden.
Eva Kerkemeier mit ihren Nachfolgern Ulrike Hölter und Volker Strehl, die die neue IG Metall-Geschäftsstelle Ruhrgebiet-Mitte leiten werden. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche


Nein, da schließen sich zwei zusammen, die zwar kleiner geworden sind in der Vergangenheit, aber die ihre Stärken bündeln wollen. In der Geschäftsstelle Bochum/Herne haben wir einen Jugendsekretär, den haben jetzt beide. Die Dortmunder hatten immer einen Juristen, den haben wir mit der Fusion auch bekommen. Beide verbindet historisch viel, gerade wenn man an den Strukturwandel beim Stahl denkt. Die neue IG Metall Ruhrgebiet Mitte ist in guten Händen.

Das führt zurück zur Ausgangsfrage: Was kommt nun privat, aber vielleicht auch noch beruflich?

Es gibt ein, zwei Aufgaben, zum Beispiel die Rekrutierung der jungen Kolleginnen und Kollegen, die eine Trainee-Ausbildung bei uns machen. Ich gehöre zum dem Kreis, der die Auswahl trifft. Ich freue mich, dass ich an der Nachwuchsentwicklung der IG Metall mitwirken kann. Ich werde im DGB für die IG Metall sitzen und aktiv sein. Auf der anderen Seite freue ich mich auf mehr Zeit für mich, zum Beispiel zum Lesen. Und wenn es wieder geht, werde ich viel mehr reisen. Eine Kollegin von mir aus Emden hat vor eineinhalb Jahren ein Projekt in Ghana gegründet und baut aus Spendenmitteln ein Kinderheim und eine Schule. Ich bin seit mehr als einem Jahr in diesem Projekt und unterstütze das auch gerne vor Ort.