Herne. Anna aus Herne ist ungeimpft. Im Gespräch erklärt sie, wieso sie diese Entscheidung getroffen hat und wie sich ihr Leben dadurch verändert hat.
„Diese Zeit wird mir immer als die Phase meines Lebens in Erinnerung bleiben, in der ich den Kontakt zu meinem Bruder verloren habe.“ Anna nimmt diesen Verlust in Kauf, denn eines will sie um keinen Preis abgeben: Die Freiheit über ihren eigenen Körper. Anna, die eigentlich anders heißt und anonym bleiben möchte, ist ungeimpft.
Als sich das Coronavirus Anfang 2020 global ausbreitet, verfolgt Anna die Nachrichten, informiert sich. Sie ist unsicher, skeptisch. In ihr reifen Gedanken, die dem „Mainstream“ widersprechen. „Ich hatte schon immer eine generelle Ablehnung gegenüber der Pharmaindustrie“, erklärt sie. Die Mitte 30-jährige Hernerin ist Fitnesstrainerin, ernährt sich vegan, treibt viel Sport, achtet auf sich. Gesundheit ist ihr Kapital, so gesehen eine Lebenseinstellung.
Viele Freunde und Verwandte wenden sich ab
In Diskussionen mit Freunden und Familie eckt sie an, ihre Ansichten polarisieren. „Mir war von Anfang an klar, dass ich mich nicht impfen lassen möchte.“ Gespräche, Diskussionen, Brüche – „80 Prozent meiner Freunde und Familie haben sich von mir abgewandt“. Der Lockdown reibt Anna auf, ihrer Arbeit kann sie zunächst nicht mehr nachgehen. „Gepaart mit den Kontaktabbrüchen hat mich das alles sehr mitgenommen. Ich fühlte mich, als würde ich vor einer Wand stehen“, sagt sie heute.
Als die ersten Impfstoffe zugelassen und verimpft werden, spricht die Politik von Hoffnung. Für Anna tun sich mehr und mehr Gräben auf. Bei ihrer Arbeit als Fitnesstrainerin hört sie Kundinnen und Kunden immer wieder abfällig über ungeimpfte Menschen sprechen. „Ungeimpfte sollte man einsperren, wegen ihnen breitet sich das doch erst so aus“, erinnert sie sich zurück. Sie ist wütend, fühlt sich verletzt und unverstanden. Doch sie schweigt und verschweigt. Geht es um ihren Impfstatus, wiegelt sie ihrer Kundschaft gegenüber ab oder wechselt das Thema. Einem Arbeitgeber muss Anna keine Rechenschaft ablegen, sie ist selbstständig.
Telegram als Kontakt- und Informationsquelle
Bei einem Personal Training offenbart Anna einer Kundin schließlich: „Du, ich bin ungeimpft.“ Fassungslosigkeit ist die Reaktion. „Wir haben dann viel diskutiert, dazu bin ich auch bereit. Ich toleriere und respektiere jede Meinung“, sagt die Hernerin. Sie verliert die Kundin schließlich, außerdem einen anderen Auftrag durch das Eingreifen Dritter. „Ich habe auf meinem privaten Instagram-Kanal einen kritischen Kommentar zu einer Tagesschau-Berichterstattung über Corona abgegeben“, erzählt sie. „Ein Auftraggeber hat mir schließlich gekündigt, weil ihm Screenshots davon zugespielt wurden. Ich sei nicht mehr tragbar, hieß es.“ Im Nachhinein, sagt Anna, hätte sie die Sache vielleicht anzeigen sollen. „Eigentlich ist das Rufmord.“
Anna desozialisiert sich zunehmend. Die wenigen Freunde, die sie noch hat, trifft sie kaum, den Einkauf erledigt sie online. Über die App Telegram tauscht sie sich mit anderen Menschen aus, hier fühlt sie sich verstanden. „Ich finde Telegram super“, sagt sie. „Die Informationen sind frei zugänglich, renommierte Virologen und Epidemiologen klären da auf und sind kritisch.“ In Düsseldorf und anderen Städten der Region – Herne spart sie aus – nimmt sie regelmäßig an Demos teil. Mit Mütze und Sonnenbrille, zu groß ist ihre Angst, erkannt zu werden. Wie die Medien die Demonstrierenden darstellen, stört sie: „In Interviews werden dann immer nur irgendwelche Idioten gezeigt, dabei sind da auch viele gebildete Menschen dabei. Ärzte, Biologen, Krankenschwestern.“
Querdenkerin? „Der Ausdruck ist unverhältnismäßig“
Den Ausdruck „Querdenkerin“ findet Anna unverhältnismäßig. „Alles im Leben darf man von mindestens zwei Seiten beleuchten, wieso nicht auch das“, fragt sie und stellt einen Vergleich auf: „Wenn ich im Supermarkt zum Beispiel ein vegetarisches Produkt mit einem aus Fleisch vergleiche, macht mich das doch nicht zur Querdenkerin.“ Die Corona-Maßnahmen verurteilt Anna scharf. „Was machen diese Maßnahmen mit uns? Mehr als Corona“, ist sie sich sicher. Nicht Corona habe Kontaktbeschränkungen, Hygieneregeln und Testpflichten nötig gemacht – sondern die Politik.
„Mein Immunsystem ist sehr gut.“ Das sagt Anna mit Überzeugung. Trotz allem – 2021 wird sie krank, hat Husten und leichtes Fieber. „Vielleicht hatte ich Corona, ich habe mich nicht testen lassen, mir ging es schnell wieder gut.“ Das Coronavirus sei aus ihrer Sicht mit der gewöhnlichen Grippe zu vergleichen und „daran sterben doch auch Menschen“. Eine schwere Corona-Infektion nehme Anna als Ungeimpfte bewusst in Kauf, doch sie macht deutlich: Das hält sie für sehr unwahrscheinlich.
Die Einschnitte, die Anna durch das Coronavirus in ihrem Alltag erlebt, hat sie sich mit ihrer Entscheidung, ungeimpft zu bleiben, selbst auferlegt. „Mir wurden zwei Lebensjahre genommen, das macht mich krank und nicht Corona.“ Die Alternative, eine Impfung, ist für sie keine. Käme eine Impfpflicht, erwäge sie, auszuwandern. „Eine Impfpflicht wäre aus meiner Sicht das schlimmste denkbare Szenario. Niemand kann mich zwingen, meinem Körper etwas zuzuführen.“
>>> Corona-Regeln für Selbstständige
- Die 3G-Regel am Arbeitsplatz gilt nach Angaben des Arbeitsministeriums auch für Selbstständige. Nur Soloselbstständige sind davon ausgenommen.
- In öffentlichen Räumen gelten die Corona-Bestimmungen der Bundesländer. Teilen sich mehrere Soloselbstständige einen öffentlich zugänglichen Arbeitsraum, gilt die 3G-Regel für sie durch das Landesrecht.