Herne. Ingrid Kötter (89) hat Geschichte geschrieben: Sie ist der erste Mensch in Herne, der vor einem Jahr gegen Corona geimpft wurde. Wie kam es dazu?
Rund 120.000 Hernerinnen und Herner sind inzwischen gegen Corona geimpft worden – vollständig, wohlgemerkt. Hinzu kommen die Booster-Impfungen, und täglich werden es mehr. Ingrid Kötter ist diejenige, die in Herne den allerersten Piks bekam.
Ist sie deshalb eine kleine Berühmtheit? Ingrid Kötter winkt ab: „Ich gehöre nicht zu Hollywood“, stellt die 89-Jährige klar. Sie sitzt im Senioren-Wohnpark Koppenbergs Hof auf ihrem angestammten Platz im Speisesaal, dort, wo am 2. Weihnachtstag vor einem Jahr die Corona-Impfungen in Herne starteten. Dass sie den ersten Piks in Herne bekommen hat, sei halt so, sagt sie pragmatisch: „Einer ist immer der erste.“ Froh über die Impfung sei sie dennoch gewesen: „Ich war nicht skeptisch, habe sofort ja gesagt.“
Herne: Speisesaal wird zum Mini-Impfzentrum umfunktioniert
Denn auch Ingrid Kötter weiß: Corona ist gefährlich, vor einem Jahr grassiert es in Herne vor allem in den Seniorenheimen, viele Bewohnerinnen und Bewohner erkranken, Dutzende sterben. Die Berichte in der WAZ, die sie jeden Tag mit der Lupe liest, machen ihr große Sorgen. Deshalb sei klar gewesen: Wenn es einen Impfstoff gibt, dann nimmt sie ihn. Dass sie schneller als alle anderen an der Reihe sein würde, ahnt sie Heiligabend 2020 noch nicht.
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180 Dosen von Biotech – das ist die erste Lieferung an Corona-Impfstoff, die Herne am 2. Weihnachtstag 2020 über Nacht erreicht. Zwei Ärzte kommen am Morgen in den Senioren-Wohnpark Koppenbergs Hof und stehen bereit, um den Bewohnerinnen und Bewohnern, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihren ersten Piks zu geben. Dazu wird der Speisesaal im Erdgeschoss zum Mini-Impfzentrum umfunktioniert: Tische werden zusammengeschoben, Kanülen bereit gelegt. Mediziner und Helfer schlüpfen in Schutzanzüge.
Keine Nebenwirkungen: „Ich habe gute Gene“
Ingrid Kötter darf gegen 11.30 Uhr als erste ran – weil sie fit genug sei für die Impfung, sagt der Arzt. Die Seniorin, die vor vier Jahren aus ihrer Wohnung in Herne-Süd aus- und in das Heim einzog, ist an ihrem großen Tag wie üblich mit dem Rollator unterwegs. Eine lila Bluse mit Weste hat sie an und tritt unten, wie immer zu den Mahlzeiten, aus dem Fahrstuhl. Dann geht sie langsam durch den Gang, der beide Gebäude verbindet, zum Speisesaal, dort angekommen vorbei an den Getränkeautomaten, macht Halt an einem ersten Tisch. Dort wird sie registriert und aufgeklärt, dann geht’s weiter an den nächsten Tisch. Ingrid Kötter setzt sich auf einen Stuhl, macht den rechten Arm frei, wird gepikst, fertig. „Guten Appetit“, steht an der Wand neben ihr.
Dann heißt es warten, 15 Minuten lang, Ingrid Kötter setzt sich ans Fenster, fast an die Stelle, an der sonst immer ihr Tisch für die Mahlzeiten steht, schaut hinaus in den Innenhof. Nebenwirkungen hat sie keine. „Ich habe gute Gene“, sagt die Seniorin ein Jahr später an der selben Stelle. Nur „etwas morsch“ sei sie mittlerweile, sagt sie schmunzelnd und massiert ihr Knie – Arthritis, erklärt sie. Auch der graue Star mache ihr zu schaffen. Weihnachtlich geschmückt ist der Speisesaal nun, nichts erinnert mehr an die Impfaktion vor einem Jahr. Nach und nach kommen sie an diesem 2. Weihnachtstag 2020 in den großen Raum, um sich impfen zu lassen. Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht ins Erdgeschoss gehen können, werden auf ihren Zimmern gepikst. 90 Prozent der Menschen in dem Haus, so kündigte die Heimleitung damals an, ließen sich impfen, Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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Seniorin nutzt die wiedergewonnene Freiheit
Ingrid Kötter nutzt ihre neu gewonnene Freiheit. Wochenlang waren die Heime dicht, mussten sich weitgehend abschotten. Nun ist die Frau, die 46 Jahre lang in Herne in Lohnbuchhaltungen arbeitete, unter anderem bei der Milch-Versorgung Herne, im Evangelischen Kinderheim und im benachbarten Evangelischen Krankenhaus, wieder unterwegs, raus unter Leuten, vor allem auch dank ihrer Impfung. In die Drogerie fahre sie regelmäßig, in der Supermarkt, aber auch zum Arzt. Dazu rufe sie sich jeweils ein Taxi. „Zum Frisör gehe ich natürlich auch“, fügt sie an. Stolz schwingt mit.
>> WEITERE INFORMATIONEN: Die ersten Impfungen
9750 Impfdosen des Vakzins von Biontech für NRW wurden in der Nacht auf den 2. Weihnachtstag 2020 in ein Zentrallager des Landes gebracht worden. Herne erhielt davon 180 Dosen.
Gespritzt wurden zuallererst Bewohnerinnen und Bewohner sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen. Mobile Impfteams gingen dazu in die Häuser. Das Impfzentrum im Gysenberg konnte erst im Februar seinen Betrieb aufnehmen – mangels Impfstoff.