Herne. Der Herner Reifenhandel, der im vergangenen Jahr den Argwohn der SPD geweckt hatte, ist seit wenigen Tagen verschwunden. Das ist der Grund.
Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte ein Reifenhandel an der Industriestraße den Argwohn der Sodinger SPD erregt. Vor dem Hintergrund von mehreren Bränden in anderen Reifenlagern - zum Beispiel an der A40 mit mehrmonatiger Sperrung der Autobahn - hatte die SPD in der Bezirksvertretung nach der Sicherheit des Betriebs gefragt. Seit einigen Tagen ist der Betrieb verschwunden, das Areal „besenrein“. Der Fall wirft ein wenig ein Schlaglicht auf eine Branche, in der es neben zertifizierten Betrieben offenbar auch verschiedene Grauschattierungen gibt.
Der Grund für die Anfrage der SPD war das damalige Erscheinungsbild: Auf dem Gelände lag geschätzt eine vierstellige Anzahl an gebrauchten Reifen in Stapeln und Haufen, die Sicherung des Geländes schien mangelhaft. Die Stadt hatte damals mitgeteilt, dass der Unteren Abfallbehörde die Situation bekannt sei. Eine Begehung des Standorts sei bereits mehrfach durchgeführt worden. Offenbar verstoße der Betrieb nicht gegen Verordnungen. Grundsätzlich könne laut Bauordnung des Landes NRW in einem Industriegebiet für Feststoffe, die kein Gefahrgut darstellen, ein Lagerplatz von bis zu 300 Quadratmetern genehmigungsfrei eingerichtet werden.
Die Feuerwehr hatte im Dezember 2020 eine Gefahrenbeurteilung durchgeführt und keinen Anhaltspunkt für ein sofortiges Verbot des Lagers festgestellt. Der Betrieb habe erklärt, dass die Reifen größtenteils zum Verkauf bestimmt seien.
Stadt drang auf Bauantrag, danach verschwand der Betrieb
Ob die Reifen tatsächlich verschifft worden sind, ist unbekannt, allerdings ist der Betrieb nun verschwunden. Die Stadt Herne erklärt auf Anfrage der WAZ: Der Fachbereich Bauordnung habe festgestellt, dass die Ablagerungsfläche größer als 300 Quadratmeter gewesen sei und somit ein Bauantrag zu stellen ist. Daraufhin habe der Eigentümer das Gelände aufgeräumt und die Fläche, auf der Reifen gelagert wurden, sei auf weniger als 300 Quadratmeter verkleinert worden. Im Dezember sei die Fläche allerdings wieder soweit ausgeweitet worden, dass die Bauordnung auf einen Bauantrag bestanden habe. Daraufhin habe der Firmeninhaber das gesamte Gelände geräumt. Wo die Reifen derzeit gelagert werden, sei der Stadt nicht bekannt.
Bei Alt- oder Gebrauchtreifen sei es grundsätzlich so, dass sie in Europa nur noch dann verkauft werden können, wenn sie noch eine Mindestprofiltiefe mindestens 1,6 Millimeter aufweisen, so Yorick Lowin, Geschäftsführer des Bundesverbands Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV), im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Ansonsten müssen sie außerhalb Europas exportiert oder anders verwertet werden: Sie können zur Energiegewinnung genutzt oder runderneuert werden. Bei der stofflichen Verwertung werden Altreifen in ihre Bestandteile zerlegt, zu Gummigranulat zerkleinert und zu neuen Produkten wie Bodenbelägen, Dichtungsmaterialien oder als Beigabe zu Straßenasphalt weiterverarbeitet. Das Problem für Entsorger bestehe darin, dass sie quasi noch Geld mitbringen müssten, um Altreifen der Verwertung zuzuführen, so Lowin.
Verbände registrieren zunehmende Zahl an illegalen Altreifenentsorgungen
An dieser Stelle beginnen offenbar die Grauschattierungen in der Branche: Der BRV sowie die Initiative Zertifizierte Altreifenentsorger (ZARE) weisen darauf hin, dass immer mehr abgefahrene Reifen in der Natur abgelegt würden. Allein im Jahr 2021 habe die Initiative ZARE 195 Fälle von illegaler Altreifenentsorgung gezählt. Das seien 31 mehr als im Jahr zuvor. Seit 2016 dokumentiert die Initiative ZARE die gemeldeten illegalen Entsorgungen in ganz Deutschland – jedes Jahr steigen die Zahlen. Da es sich nur um die gemeldeten Fälle handele, liege die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher.
Auch in Herne gab es in den vergangenen Jahren mehrfach Fälle von illegal entsorgten Reifen, unter anderem im Flottmann-Park, in Holthausen oder auf dem Parkplatz am Stennert.
>>> SEIT 2003 DÜRFEN REIFEN NICHT MEHR AUF DEPONIEN GELAGERT WERDEN
■ Seit 2003 ist es in Deutschland verboten, Reifen auf Deponien zu lagern. Aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung aus Gummi, Stahl, Textil und anderen Stoffen, müssen Reifen fachgerecht entsorgt werden.
■ Denn Reifen verrotten nur sehr langsam und gefährden bei nicht ordnungsgemäßer Entsorgung Mensch und Natur: Werden Reifen im Wald oder am Straßenrand abgekippt, können giftige Substanzen in den Boden gelangen, es besteht ein höheres Risiko für Brände.