Herne. Der Herner Arbeitsmarkt ist robust durch die Corona-Krise gekommen. Doch die Ausbildung hat im zweiten Jahr der Pandemie deutlich gelitten.

Der Herner Arbeitsmarkt ist halbwegs robust durch die Corona-Krise gekommen. Doch die Ausbildung hat im zweiten Jahr der Pandemie deutlich gelitten. Das offenbarte sich bei der Vorstellung der Bilanz.

Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit, verkündete wenig erfreuliche Zahlen. Seit Beginn des Ausbildungsjahres im Oktober 2020 hätten sich 1357 Bewerberinnen und Bewerber auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Agentur gemeldet. 230 (oder 14,5 Prozentpunkte) weniger als im Jahr davor. Über die gesamte Coronazeit gesehen, läge das Minus sogar bei rund 21 Prozentpunkten. Den Bewerbern stehen 734 gemeldete Lehrstellen gegenüber. Das sind zwar zwei mehr als im Jahr davor, doch zuvor gab es bereits ein Minus von 18,9 Prozentpunkten. Rein rechnerisch kämen derzeit 100 Bewerber auf 54 Ausbildungsstellen - wobei das Bild etwas durch den Fakt aufgehellt wird, dass schulische Ausbildungen (zum Beispiel in der Pflege) bei dieser Auswertung nicht mitgezählt werden.

Frank Neukirchen-Füsers geht mit dem Team der Herner Arbeitsagentur nun ins sogenannte 5. Quartal: die Vermittlung von Ausbildungsplätzen läuft weiter.
Frank Neukirchen-Füsers geht mit dem Team der Herner Arbeitsagentur nun ins sogenannte 5. Quartal: die Vermittlung von Ausbildungsplätzen läuft weiter. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Auch Michael Bergmann, kommissarischer Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet, hatte für die IHK-relevanten Ausbildungsberufe keine guten Nachrichten. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge sei von 435 auf 382 gesunken. Nach ein paar starken Jahren ein Minus von zwölf Prozentpunkten.

Betriebe streichen wegen Infektionszahlen wieder Praktika

Ähnliches berichtete Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath. Das Handwerk sei bis Corona im Aufschwung gewesen, doch es sei durch Corona zurückgeworfen worden, weil speziell die Praktika gefehlt hätten. Drath machte anhand eines Beispiels auf ein Problem in der Zukunft aufmerksam. Im Ausbildungsjahr habe es im Bereich der Handwerkskammer genau einen Bauauszubildenden gegeben. Draht: „Wer soll später Häuser bauen?“

Die Frage, ob kurz- oder mittelfristig Besserung auf dem Ausbildungsmarkt in Sicht ist, bleibt zunächst offen. Denn mit dem rasanten Ansteigen der Infektionszahlen überlegen offenbar Betriebe zunehmend, ob sie Praktikumsplätze anbieten sollen. Genau diese Möglichkeit war ja im vergangenen Jahr wegen des Lockdowns weggefallen. Bewerber und Unternehmen hatten so gut wie keine Chance, sich kennenzulernen, Arbeitsagentur und Verbände konnten in Schulen kaum bis gar nicht über den Einstieg ins Berufsleben informieren.

Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath fragt: „Wer soll später Häuser bauen?“
Kreishandwerksmeister Hans-Joachim Drath fragt: „Wer soll später Häuser bauen?“ © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Auch wenn viele Ausbildungen gestartet sind: Die Vermittlung von Agentur und IHK, aber auch Handwerk läuft weiter, um Jugendliche Chancen zu eröffnen und Unternehmen mit den Fachkräften von morgen zu versorgen. Immerhin: Bei den Top 10 der gewünschten und angebotenen Ausbildungen gebe es eine Übereinstimmung von rund 60 Prozent, so Neukirchen-Füsers.

Arbeitgeberverband: Bewerberrückgang kann bedrohlich für Unternehmen werden

Oberbürgermeister Frank Dudda macht auf folgende Tatsache aufmerksam: Herne verzeichne einen überdurchschnittlichen Beschäftigungszuwachs, deshalb gebe es weiter gute Chancen auf dem Herner Arbeitsmarkt. Doch der sei kein Hochschularbeitsmarkt, man sei mehr denn je auf die duale Ausbildung angewiesen - und damit darauf, Veranstaltungen durchführen zu können, etwa Speeddatings. Dudda sieht zudem viele Potenziale an den Berufskollegs. Die Schüler dort hätten eigentlich gute Chancen auf eine Ausbildung.

Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, denen auch Herner Unternehmen angehören, wies ebenfalls auf die Wichtigkeit der dualen Ausbildung hin. Der Trend hin zu Abitur und Studium sei gefährlich, der Rückgang bei den Lehrstellenbewerbern könne für manche Unternehmen bedrohlich werden.

>>> KONTAKTE FÜR BEWERBER UND ARBEITGEBER

■ Jugendliche, die noch eine Lehrstelle suchen, können sich hier informieren: www.ihk-lehrstellenboerse.de. Sämtliche Ausbildungsberufe der IHK Mittleres Ruhrgebiet werden im Ausbildungsatlas aufgelistet: https://ausbildungsatlas.netzn.de

■ Berufsberater der Agentur für Arbeit stehen unter0800 4555500 zur Verfügung. Weitere Informationen unter www.arbeitsagentur.de/beratungswunsch.

Auch Betriebe können sich noch melden, wenn sie einen Azubi suchen. Bei der IHK ist Alexandra Brnicanin zuständig, 0234-9113182 oder per Mail: brnicanin@netzn.ihk.de

■ Bei der Agentur für Arbeit richten Arbeitgeber ihre Anfrage an 0800 4555520 oder per Mail an bochum.arbeitgeber@arbeitsagentur.de