Herne. Andreas Merkendorf ist neuer Dezernent für Bildung, Jugend und Kultur in Herne. Ein Interview über Schule am Samstag, Kitapflicht und die Kultur.

Eine Übernahme in stürmischen Corona-Zeiten: Andreas Merkendorf (44) ist neuer Dezernent für Bildung, Jugend und Kultur. Der ehemalige Schulamtsleiter spricht im Interview über Unterricht am Samstag, die Vorteile einer Kitapflicht und wie er die Kultur in Herne sichtbarer machen möchte.

Herr Merkendorf, Sie beginnen Ihr Amt als Dezernent in einer Phase, in der es heißt, die Folgen von fast eineinhalb Jahren Corona-Lockdown zu bewältigen. Wie blicken Sie auf das kommende Schuljahr?

Andreas Merkendorf: Ich bin ein optimistischer Mensch und war bis Juni auch sehr optimistisch, dass wir das Schuljahr gut starten und in Volllast genießen können. Ich bin selbst Vater und habe mich schon auf Klassenfahrten und eine Schulfeier gefreut, bei der man die anderen Eltern und Lehrer kennenlernen kann. Angesichts der Nachrichtenlage habe ich diesen Optimismus aber zu 20 Prozent verloren. Ich befürchte, dass wir im Oktober/November mit einem alten Blick auf die Inzidenzen vielleicht wieder schließen müssen.

Was Sie aber für den falschen Weg hielten?

Es darf weder in Schulen noch in Kitas erneut zu längerfristigen Schließungen kommen. Schwere Corona-Erkrankungen existieren bei Kindern und Jugendlichen fast nicht. Ich hoffe, dass auch wenn die Inzidenzen bei den Erwachsenen steigen, Gruppen, die weniger gefährdet sind, aus den Einschränkungen rausgenommen werden.

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Und was soll im Bereich Schule getan werden, um die bisherigen Lernrückstände aufzuholen?

Die Schülerinnen und Schüler sollen Lernhilfen bekommen, Hilfen im sozialen und im sportlichen Bereich. Wie genau das aussehen wird, weiß ich noch nicht. Wir warten immer noch auf die Landesrichtlinien. Der Stadtsportbund ist aber mit aufgesprungen, damit die Kinder wieder in Bewegung kommen. Vielleicht müssen wir Kernlehrpläne ändern oder die Stundentafel pro Woche um zwei oder drei Stunden ergänzen.

Dezernent ist für zusätzlichen Unterricht am Samstag

Das hieße zusätzlicher Unterricht am Nachmittag?

Wir können uns nicht leisten, im Fünf-Tages-Rhythmus zu denken. Am Nachmittag oder auch am Wochenende, da darf man keine Grenzen setzen. Wenn alle von der größten Bildungskatastrophe sprechen: Warum dann nicht auch am Samstag zusätzliche Lernangebote schaffen? Nach den Ferien möchten wir uns erstmal mit Erhebungen an den Schulen ein Bild von dem psychischen wie physischen Zustand der Kinder machen.

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Sie haben als Schulamtsleiter die Digitalisierung sehr vorangetrieben. Welche Rolle wird sie spielen, wenn Schüler wieder im Präsenzunterricht sein können?

Sie muss natürlich weitergehen. Wir haben bereits mehr als 6000 Endgeräte bereitgestellt, haben eine eigene Stabsstelle eingerichtet. Ich glaube, dass wir in vier Jahren ganz andere Schulen haben werden, die vollumfänglich ausgestattet sind. Allerdings kann das eine Kommune allein finanziell nicht schaffen, die Ausstattung ist Landessache.

Sie deuteten zuletzt an, auch die Kitas bei der Digitalisierung in den Blick nehmen zu wollen. Wie kann man sich das vorstellen?

Ich fordere keine pädagogischen Konzepte in Kitas zur Digitalisierung. Die Kinder sollen weiter draußen spielen und buddeln. Es wäre aber sicher klug, die Gebäude komplett zu verkabeln, dass ein WLAN-Anschluss vorhanden ist.

Die Versorgungsquote in Kitas in Herne liegt mit 35,1 Prozent im U3-Bereich und 89,6 Prozent im Bereich der über Dreijährigen deutlich hinter den eigenen Zielen. Wo liegt Ihrer Ansicht das Problem?

Das ist ein Bereich, den viele Kommunen jahrelang sträflich vernachlässigt haben. Es sind unheimlich viele Kitas im Bau. Dafür heißt es dann auch erstmal, Personal zu finden. Ich denke aber, dass wir das Ziel in drei bis vier Jahren erreicht haben werden. Ein Kernproblem ist in Deutschland, dass wir keine Kita-Pflicht haben. Dann müsste der Staat, wie bei der Schulpflicht, jedem Kind einen Platz anbieten. Solange der Besuch freiwillig ist, ist die Argumentation für neue Plätze um einiges schwieriger und die Planung für uns, wie viele Eltern tatsächlich einen Platz suchen.

Sportvereine müssen unbedingt geöffnet bleiben

Die Kinder werden als Verlierer der Krise bezeichnet, was möchten Sie als Dezernent tun, damit es ihnen wieder besser geht?

Es muss das Ziel der Gesellschaft sein, den Kindern wieder Normalität zu geben. Ein Jahr waren alle Sportvereine geschlossen. Diese müssen nun unbedingt geöffnet bleiben – für Sport drinnen und draußen. Ein erneuter Lockdown im Kinder- und Jugendbereich muss unbedingt so gut wie möglich verhindert werden. Dann vergessen Kinder auch schneller als Erwachsene und kehren in die Normalität zurück.

Wie möchten Sie die Jugendlichen erreichen?

Als Anlaufpunkt für Jugendliche möchten wir mit Stadtteilzentren vor Ort aktiv sein. Neben dem H2Ö in Herne-Mitte, das Ende August eröffnet, dem Pluto in Wanne und Heisterkamp, das in Eickel geplant ist, möchten wir auch in Sodingen noch ein Stadtteilzentrum eröffnen. Damit wir in allen vier Stadtgebieten im Bereich der Jugendförderung niederschwellig Angebote haben.

Kulturelle Angebote stärker an die Schulen bringen

Wie soll es im Bereich der Kultur weitergehen, der auch zu Ihrem neuen Dezernat gehört?

Kulturelle Angebote haben zuletzt häufig hybrid, also auch online, stattgefunden. Es fehlt etwas, wenn Kultur nur online erlebt wird. Ich muss die Atmosphäre spüren. Wir müssen Wege finden, dass Kultur wieder vor Ort erlebt werden kann.

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Wie soll das gehen, auf was müssen sich Kulturschaffende in Herne für den Herbst/Winter einstellen. Wird dann wieder alles geschlossen?

Wir gehen davon aus, dass die Kultur wieder im Normalbetrieb stattfindet. Wenn genug Impfstoff da ist, muss man die Möglichkeit haben, die Zugänge für Geimpfte, negativ Getestete und Genesene offen zu halten. Kultur ist für die Leute zum Entspannen und zur Zerstreuung wichtig. Es darf auch im kulturellen Bereich keine Schließungen mehr geben.

Schule und Kultur näher verknüpfen, wie hier beim Schultheaterfestival in der Realschule Crange im Jahr 2018, möchte Andreas Merkendorf.
Schule und Kultur näher verknüpfen, wie hier beim Schultheaterfestival in der Realschule Crange im Jahr 2018, möchte Andreas Merkendorf. © Barbara Zabka / FUNKE Foto Services

An den Schulen kennt man Sie, aber wo sind Sie in der Kultur gerne zu Gast?

Ich mag unheimlich gerne Konzerte und war früher mit meinem Vater bei U2 und den Rolling Stones. Das hat mich sehr geprägt. Ich mag aber auch Bilder und war zuletzt in der Ausstellung im Folkwang Museum in Essen. Mit meiner Tochter bin ich Dauergast im Archäologischen Museum. Kino finde ich auch toll. Ich bin ein großer James-Bond-Fan und hoffe, dass der Film im Oktober startet, dann bin ich der Erste, der hingeht. Ich bin aber auch studierter Literaturwissenschaftler und liebe das Lesen.

Wie möchten Sie Kultur in Herne weiter etablieren?

Kultur und Bildung sind beides wichtige Faktoren für die Stadtentwicklung. Diese Bereiche, gerade auch die Kultur, möchte ich stärker in den Fokus rücken. Wir haben 19.000 Schülerinnen und Schüler. Sie sind der Hebel für eine gute Stadtentwicklung. Mein Ziel ist es, kulturelle Angebote stärker in die Schulen zu bekommen und sie ihnen schmackhaft zu machen. Herne hat tolle kulturelle Angebote, wir müssen sie künftig nur sichtbarer machen.

>>>WEITERE INFO: Nachfolge im Schulamt offen

Andreas Merkendorf (44) ist Vater einer Tochter und lebt in Herne. Er war 2019 vom Philologenverband NRW an die Spitze des städtischen Fachbereichs Schule und Weiterbildung gewechselt.

Sein bisheriger Stellvertreter, Detlef Rüter, ist seit dem 1. August kommissarischer Leiter des Schulamtes. Er geht aber nächstes Jahr in den Ruhestand. Die Stelle des Fachbereichsleiters wird verwaltungsintern neu besetzt.