Herne. Der Sprung war groß: Andreas Merkendorf wechselte im März vom Philologenverband an die Spitze des Herner Schulamtes. Warum er dies nicht bereut.

Die Verwaltung war für Andreas Merkendorf Neuland, als der 42-Jährige im März 2019 vom NRW-Philologenverband an die Spitze des städtischen Fachbereichs Schule wechselte. Pünktlich zu den Sommerferien zog WAZ-Redakteur Lars-Oliver Christoph mit dem gebürtigen Herner eine erste Bilanz, sprach mit ihm über Schulbaustellen und Schuluniformen, Tennis und Radiosendungen sowie über die „irische Stufe“.

Sie sind seit 132 Tagen Leiter des Fachbereichs Schule. Ist die Lern- und Eingewöhnungsphase für Sie als Quereinsteiger schon abgeschlossen?

Andreas Merkendorf: Im ersten Monat habe ich mir immer gesagt: Oh je, was kommt denn jetzt? Für mich war ja alles komplett neu: die Verwaltung, die Kollegen, die Schulen. Ich habe mich aber schon nach kurzer Zeit wohl- und sicher gefühlt. Und bisher hat auch alles gut funktioniert.

Familienvater, Radiomann, SPD-Mitglied

Andreas Merkendorf arbeitete lange in Düsseldorf für den NRW-Philologenverband - zuletzt als Geschäftsführer -, doch sein Mittelpunkt lag und liegt in Herne.

In Herne-Mitte lebt er mit seiner Frau und seiner zehnjährigen Tochter.

Seit 2017 ist er Vorsitzender der Veranstaltergemeinschaft von Radio Herne. Außerdem ist er Mitglied der SPD - allerdings nur passiv.

Was ist denn der größte Unterschied zwischen Philologenverband und Schulamt?

Mich hat an dieser Stelle gereizt, dass alles so wunderbar konkret ist. In Düsseldorf hatte ich den Blick auf ganz NRW, es ging eher um die Meta-Themen. Der größte Unterschied ist: Wenn es ein Problem gibt, kann ich zum Hörer greifen, mit Kollegen im eigenen Haus reden oder einfach direkt in die Schule fahren. Es gefällt mir sehr gut, dass man hinter Themen sofort einen Haken machen kann. Ich empfinde alles als positiv.

Wenn Ihnen jemand vor zehn Jahren prophezeit hätte: In zehn Jahren bist du Schulamtsleiter in Herne – was hätten Sie ihm entgegnet?

Daran habe ich damals keinen Gedanken verschwendet. Der Wunsch, mal zu wechseln, kam vor etwa drei, vier Jahren auf.

Wie kam der Kontakt zustande? Sind Sie auf die Stadt zugegangen oder haben Sie einen Anruf bekommen?

Ich habe seit zwei Jahren bei Interamt, dem Stellenportal des öffentlichen Dienstes, immer mal wieder geschaut. Meine Frau hat über dieses Portal ihre Stelle bei der Uni Dortmund gefunden; sie war früher in der Privatwirtschaft. Im vergangenen Jahr bin ich aus dem Urlaub gekommen und bin erstmal auf Interamt gegangen. Und dort tauchte dann eine Stelle auf mit dem Hinweis „Entfernung zum Wohnort: null Kilometer“. Da habe ich mir gesagt: Da wirfst du jetzt einfach mal deine Bewerbung ein.

Kannten Sie Akteure der Herner Bildungslandschaft persönlich?

Andreas Merkendorf nennt das Talentkolleg Ruhr in Herne-Mitte „super“.
Andreas Merkendorf nennt das Talentkolleg Ruhr in Herne-Mitte „super“. © Dietmar Wäsche / FUNKE Foto Services

Ich kannte Frau Thierhoff schon sehr lange vom Talentkolleg Ruhr, weil wir dort beide im Beirat aktiv waren. Und ich bin ja in Herne aufgewachsen und kenne deshalb natürlich viele Lehrer und Schulleiter.

Wo sehen Sie in der Herner Schullandschaft die größten Baustellen?

Sicherlich in der Gebäudesubstanz, das ist ja klassische Schulträgeraufgabe. Ich bin ein Verfechter von Ganztagssystemen und finde es wunderbar, wenn die Kinder in der Schule ihren Lebensmittelpunkt haben. Ich würde mich aber persönlich auch nicht acht Stunden in irgendwelchen abgerockten Systemen aufhalten wollen. Deshalb finde ich es toll, dass Herne mit der Schulmodernisierungsgesellschaft eine Menge Geld in die Hand nimmt. Eine weitere Herausforderung sehe ich in der Frage: Wie sehen Schulmensen aus? Oder: Wie sieht die Nachmittagsbetreuung aus? Für das Lehrerpersonal sind wir ja leider als Kommune nicht zuständig.

Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass ein wohlhabendes Land wie Deutschland so wenig in seine Schulen investiert?

Das ist ein krasses Armutszeugnis. Es finde es auch verrückt, wie schlecht sich NRW aufstellt. Jeden Euro, den wir nicht in Bildung stecken, müssen wir anschließend als Staat trotzdem ausgeben, weil wir die Kinder nicht dazu ertüchtigt haben, im Leben zu bestehen.

Was läuft gut in der Herner Bildungspolitik?

Ich finde die Vernetzung super, es läuft sehr viel. Ich finde zum Beispiel eine Institution wie das Talentkolleg Ruhr super. Diese Einrichtung kümmert sich um Kinder, die zu Hause nicht so eine große Unterstützung haben. Ich hatte im Philologenverband ja den Blick auf ganz NRW. Es gibt Kommunen, in denen der Schulträger längst nicht so aktiv ist wie in Herne. Ich sehe bei vielen Kommunen auch aber nicht so ein großes Interesse wie in Herne.

Was meinen Sie damit?

Die Einstellung ist dort: Schule ist das Land und die Bezirksregierung - lass die mal machen. In Herne gibt es dagegen eine Vertrauenskultur. Es vergeht kein Tag, an dem nicht ein oder zwei Schulleiter anrufen. Mal mit kleinen Problemen, aber auch bei größeren Dingen.

Sind Sie nach Ihrem Dienstantritt auf Tour gegangen, um alle Schulen und Schulleiter persönlich kennenzulernen?

Ja. Ich hatte jetzt am Montag im Otto-Hahn-Gymnasium meinen letzten Schultermin. Das Tolle war: Alle haben sich zwei, drei Stunden Zeit genommen – zum Teil sogar mit den Lehrerkollegien. Das waren sehr intensive Runden und hat großen Spaß gemacht. Und was ich grundsätzlich gut finde: In Herne ziehen alle an einem Strang.

Welche persönlichen Schulerfahrungen haben Sie in Herne gemacht?

Man nannte uns am Pestalozzi-Gymnasium „die irische Stufe“ - schweigsam und trinkfest. Der Mathelehrer hatte diesen Begriff geprägt. Eingeschult worden bin ich an der katholischen Grundschule, damals noch an der Flottmannstraße. Wir haben am Hölkeskampring in den Hochhäusern gewohnt. Meine Schulerfahrungen in Herne waren positiv und entspannt.

Richtig oder falsch?

Richtig oder falsch: Die Rückkehr der Gymnasien zu G9 war eine gute Entscheidung.

Richtig. Bildung braucht Zeit. Wenn die Schüler beim Abitur 17 Jahre alt sind, fehlt einfach ein Jahr. Und ein Jahr in diesem Alter ist irre viel.

In Deutschland sollte ein für alle Bundesländer einheitliches Zentralabitur eingeführt werden.

Das fände ich super. Föderalismus ist eine gute Sache. Und wir wissen ja alle, warum dies geschichtlich so entstanden ist. Aber man kann es doch keinem erklären, warum wir 16 verschiedene Bildungssysteme haben.

Alle Schülerinnen und Schüler sollten eine einheitliche Schuluniform tragen.

Spannendes Thema. Grundsätzlich: ja. Ich finde, man nimmt Kindern Druck.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte in der Bildungspolitik, dann würde ich sofort …

… mehr Geld in Schulen stecken. Man sagt ja immer: Mehr Geld hilft nicht. Ich finde aber: Mehr Geld hilft sehr wohl. Ich könnte kleinere Klassen bilden, mehr Geld in die Schulgebäude und Mensen investieren und mehr Schulsozialarbeiter einstellen. In einer idealen Welt könnte man in der Schulen etwas planen – und zack, würde es bezahlt.

Faible für Nadal, Herz Jesu und den „MonTalk“

Roger Federer oder Rafael Nadal?

Federer oder Nadal? Für Hobby-Tennisspieler Andreas Merkendorf keine Frage: Er bevorzugt den spanischen Abwehrspezialisten Rafael Nadal.
Federer oder Nadal? Für Hobby-Tennisspieler Andreas Merkendorf keine Frage: Er bevorzugt den spanischen Abwehrspezialisten Rafael Nadal. © dpa | Steve Paston

Nadal. Ich bin ja selbst Hobby-Tennisspieler. Ich bin im Verein, bestreite aber keine Wettkämpfe.

Ich bin der in katholischen Kirche aktiv, weil ich …

… Menschen mag. Ich versuche, so aktiv wie möglich zu sein, weil Gesellschaft meiner Meinung nach nur so funktioniert. Ich bin schon lange in Herz Jesu; der Großteil meines Freundeskreises kommt aus der Gemeinde.

Radio oder Fernsehen?

Radio! Mein erstes Fernsehgerät habe ich mit 26 Jahren gekauft. Ich habe nie Fernsehen geguckt. Es gibt nichts, was mich richtig interessiert - früher vielleicht mal die US-Serie „Remington Steele“.

Meine liebste Radiosendung – jenseits von Radio Herne?

Den „MonTalk“ auf WDR 2. Was ich besonders gut finde: Man nimmt sich dort sehr viel Zeit, es geht auch in die Tiefe.