Herne. Nach 15 Jahren geht Hernes einzige grüne Dezernentin Gudrun Thierhoff Ende März in den Ruhestand. Ein Gespräch zum Abschied in Corona-Zeiten.

Es ist ein Abschied ohne Feier: Gudrun Thierhoff (65) verlässt nach 15 Jahren als grüne Dezernentin für Bildung, Kultur und Jugend am Dienstag ihr Büro im Herner Rathaus. Einladen kann sie in Corona-Zeiten niemanden, das wird nachgeholt. WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch erreichte sie in ihrer letzten Dienstwoche per Telefon.

Frau Thierhoff, Sie gehen in einer Zeit, in der alle Ihre Bereiche heruntergefahren sind, von der Schule bis zu den Kulturveranstaltungen. Wie erleben Sie das?

Das hatte ich mir völlig anders vorgestellt. Ich habe gut aufgestellte Fachbereiche, die gut funktionieren und die jetzt in besonderer Weise gefordert sind. Man fühlt sich, als ob man mitten in der Krise geht und die Verantwortung abgibt. Das ist ein ziemlich frustrierendes Gefühl.

Freuen Sie sich auf den neuen Abschnitt?

Eigentlich habe ich mich auf die neue Zeit gefreut, immer mit einem weinenden Auge. Ich hab gerne gearbeitet und unter vollem Einsatz. Meine Planungen sind jetzt pulverisiert. Ich kann erstmal vieles nicht machen: wegfahren, Freunde besuchen, reisen ... Das ist etwas schade, aber ich kann mich beschäftigen - mit Sport, mit Garten, mit Streichen, Lesen, Filme gucken.

Abgesehen von der aktuellen Krise: Wie zufrieden sind Sie mit der Bildungslandschaft, die Sie hinterlassen haben?

Ich bin sehr zufrieden mit den Strukturen und der Kooperation in dieser Bildungslandschaft. Als ich hierher gekommen bin, gab es zum ersten Mal Jugend und Schule in einem Dezernat. Ich glaube, dass ein gutes gemeinsames Verständnis entwickelt worden ist von Bildung entlang des gesamten Lebensverlaufes. Da arbeiten beide Fachbereiche gut zusammen, auch mit der Kultur. Auch durch das ,Regionale Bildungsnetzwerk' haben wir eine gute Bildungslandschaft entwickeln können.

Was waren für Sie Meilensteine?

Wir hatten unheimliches Glück, dass wir an dem Bundesprogramm "Lernen vor Ort" teilhaben durften, als eine von nur 35 Kommunen in Deutschland. Schwierig ist nach wie vor der Ausbau des Offenen Ganztags. Meines Erachtens müsste es sehr viel mehr geregelten Ganztag geben, vor allem auch in Grundschulen. Das andere ist, dass ich immer sehr gekämpft habe für die Gesamtschule bzw. für Schulen, die integriert arbeiten. Durch den "Schulkonsens" auf Landesebene ist leider ein Stück Stillstand entstanden. Da hätte ich mehr Dynamik erwartet. Bitter sind natürlich auch die Rahmenbedingungen für die Inklusion. Das sind Punkte, wo man dann auch an Grenzen stößt im kommunalen Handeln.

Was waren Herausforderungen in der Kultur?

Bitter ist, dass wir nach wie vor einen sehr begrenzten Kulturetat haben. Wir haben Gott sei dank die Kulturinitiative, die in vielen Bereichen mit einspringt. Ansonsten bin ich überzeugt davon, dass wir ein breites, vielfältiges Kulturangebot haben, für alle Zielgruppen, das man so gar nicht erwartet.

An was denken Sie besonders?

Mir macht es Freude, dass wir den gesamten Bereich der kulturellen Bildung in den letzten Jahren breit entwickeln konnten. Dabei sind vielfältige Formate entstanden und auch neue Orte für Jugendkultur, die Aula und der Wartesaal oder das "O" als Ort, den Kulturanbieter gemeinsam nutzen. Wir haben den Jugendkulturpreis "Herbert", den "Hin- und Herbert" ... Da hat Herne viel gewonnen in den letzten Jahren. Kinder kommen von Anfang an mit Kunst und Kultur in Berührung. Das ist ein richtig toller Schatz! Da sind auch viele engagierte Leute unterwegs.

Sie haben als grüne Dezernentin mit Rot-Grün in Herne angefangen, später haben sich SPD und CDU zusammen getan. War das ein unterschiedliches Arbeiten?

In Nuancen sicherlich. Die Haltung zu integrierten Schulsystemen oder Inklusion. Aber ich habe mich immer bemüht, die Arbeit so zu machen, dass es um inhaltliche und fachliche Aspekte ging und bin da auch auf eine gute Resonanz bei den Fachpolitikern gestoßen. Wir haben lange den interfraktionellen Arbeitskreis "Schulentwicklung" gehabt, der ist nahtlos weiter gelaufen unter Rot-Schwarz. Ähnlich war es im Kulturbereich, da war immer ein übergeordneter Konsens, auch im Jugendhilfebereich. Ich habe zumindest für meinen Bereich den Eindruck, dass es nicht die Grabenkämpfe gab wie anderswo.

Sie erleben den zweiten Oberbürgermeister, nach Horst Schiereck jetzt Frank Dudda. Was unterscheidet sie?

Ich bin mit beiden Oberbürgermeistern gut ausgekommen. Beide haben ein hohes Interesse an den Themen aus meinem Bereich. Von daher bin ich immer auf eine gute Resonanz gestoßen mit meinen Anliegen.

Sollte Ihr Dezernat so zugeschnitten bleiben ?

Ich würde mir sehr wünschen, dass zumindest Jugend und Schule in einer Hand bleiben. Manches in Schule funktioniert nicht ohne Jugendhilfe und umgekehrt. Man denke an Schulsozialarbeit, Prävention, Familienbildung oder Integration. Hier arbeiten alle Hand in Hand, vom Familienbüro über Kitas und Schulen bis zum Kommunalen Integrationszentrum und dem Bildungsbüro.

Können Sie sich vorstellen, in der Partei aktiv zu werden, wenn Sie jetzt ausscheiden?

Ich werde keine Funktionen und Aufgaben bei den Grünen übernehmen. Ich kann mir vorstellen, an dem einen oder anderen Facharbeitskreis teilzunehmen, mehr im Moment nicht. Ich habe seit über 30 Jahren immer Fraktionssitzung montags. Montags abends frei zu haben, finde ich eine super Vorstellung.

Und außerhalb der Partei?

Ich bin ja noch im Verein "Lernen in Herne", da kann ich mir vorstellen, Projekte zu unterstützen. Und ich habe gerade einen Förderverein für die Stadtbibliothek gegründet, den wir demnächst vorstellen werden. Da kann ich mich gut engagieren.

Als Hobbys haben Sie vor 15 Jahren genannt: Lesen, Kino, Theater, Radfahren und Laufen. Ist das so geblieben?

Ja, und dafür werde ich wieder mehr Zeit haben. Gerade der Sport ist auf der Strecke geblieben. Ich habe viele Filme verpasst, weil ich Abendtermine hatte. Ich bedaure, dass die Ruhrfestspiele abgesagt wurden. Die wollte ich im Mai richtig intensiv nutzen. Aber das wird ja alles wiederkommen, darauf freue ich mich. Etwas Ruhe und Gelassenheit tut ja auch gut.

Zur Person

>>> Gudrun Thierhoff (Jahrgang 1954) wuchs ab dem Alter von neun Jahren in Herne auf. Ihr Abitur machte sie 1973 am heutigen Haranni-Gymnasium. Danach studierte sie in Marburg Erziehungswissenschaften.

>>> Vor ihrer Wahl zur Dezernentin in Herne war sie Fachbereichsleiterin für Kitas im Jugendamt Düsseldorf.

>>> Von 1984 bis 1988 saß Gudrun Thierhoff in Herne für die Grünen im Rat.

>>> Bündnis90/Grüne und SPD wählten sie im Juni 2005 als Nachfolgerin von Dagmar Goch (SPD), die als Bürgermeisterin nach Hattingen gewechselt war.