Herne. In Herne gibt es immer mehr Problemhäuser. Was erleben Nachbarn solcher Immobilien? Ein Ehepaar sagt: Es versteht die Welt nicht mehr.
In Herne gibt es 55 so genannte Problemhäuser, Tendenz: steigend. Im Mittelpunkt der Öffentlichkeit steht aktuell das Haus an der Corneliusstraße, Ecke Heerstraße in Crange. Im Umfeld beschweren sich Anwohner seit langem über Müll, Dreck, Lärm und falsch geparkte Fahrzeuge. Direkte Anwohner sind das Ehepaar Andrea Jaworski und Wolfgang Hoffmeister. Sie sagen: Es reicht. Und fragen: Warum tut keiner was?
Die Eheleute leben auf dem Nachbargrundstück auf der Heerstraße, haben sich dort ein Eigenheim großzügig um- und ausgebaut, dahinter auf dem Hof führen sie den metallverarbeitenden Betrieb IRS Montagen mit 20 Mitarbeitern. In den 1990er Jahren, sagt Andrea Jaworski (58), die Chefin von IRS, hätten sie beide noch selbst in dem heutigen Problemhaus gewohnt, oben im Penthouse. Als dann der Besitzer gewechselt habe, sei es abwärts gegangen mit dem Haus, und sie seien schließlich ausgezogen. Heute sei das Haus eine einzige Katastrophe.
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Herne: Schrott wird auf Hof geschmissen und bis in den Abend bearbeitet
Die Bewohner des Problemhauses, erzählt Wolfgang Hoffmeister, besäßen rund 20 Transporter, die die Straßen im Umfeld zuparkten. Morgens rückten die Fahrzeuge aus, am Nachmittag kämen sie, beladen mit Fahrrädern und Schrott, zurück. Auch an den Wochenenden. Anschließend werde der Schrott auf den Hof geschmissen und dort bis in die späten Abendstunden bearbeitet: „Die kloppen lautstark drauf rum und zerlegen alles.“ Anschließend würden Fahrrad- und Metallteile wieder in die Fahrzeuge geworfen, und die Bewohner führen wieder weg – offensichtlich zu Schrotthändlern, um alles zu verkaufen. „Am nächsten Morgen geht das Spiel wieder von vorne los“, so der 74-Jährige.
Bei dem Paar liegen die Nerven blank. Bei diesem „Theater“ hätten sie keine ruhige Minute mehr, „man kann sich draußen ja nicht mal mehr in Ruhe unterhalten“, klagt die Frau. Auch an Schlaf sei oft nicht zu denken. Hinzu komme der viele Müll, den die Bewohner überall hin schmissen, auch auf ihr Grundstück. Folge seien auch Ratten. Das Ehepaar hat nun eine hohe, schwere Begrenzung mit Sichtschutz zum Nachbarhaus aufbauen lassen, um das ganze Treiben nicht mehr mitansehen zu müssen. Gegenstände flögen aber noch immer auf ihren Hof: Bierflaschen, Lattenroste, Metallteile. „Wir schmeißen alles zurück“, sagt Jaworski.
Rathaus: Keine aktuellen Beschwerden
Beschwert haben sie sich noch und nöcher. Bei der Stadt, in der Bezirksvertretung Wanne, bei Politikern, bei der Polizei. „Sogar Oberbürgermeister Dudda war mal zum Kaffee hier und hat sich alles angehört“, sagt Hoffmeister. Getan habe sich – nichts. Im Gegenteil, es sei alles „immer schlimmer geworden“. Schaue jemand vorbei, etwa die Polizei, dann sei es kurz ruhig auf dem Hof – hinterher gehe es dann munter weiter. Dass sich nichts an der Lage ändere, kann das Paar nicht verstehen: Wofür gibt es denn Gesetze?, fragen sie.
Im Rathaus, sagt Stadtsprecher Michael Paternoga, lägen „aktuell keine Beschwerden“ über das Haus vor: „Seit längerer Zeit sind keine Auffälligkeiten bekannt geworden, die eine Kontrolle notwendig machen könnten.“ Der Kommunale Ordnungsdienst habe „aufgrund der multiplen Problemanzeigen der Vergangenheit“ aber einen Blick auf die Immobilie, fügt er an. Mitarbeitende der Koordinierungsstelle Südosteuropa seien zuletzt am 27. Juli „beratend vor Ort“ tätig gewesen.
Politik: Die Situation hat sich nicht gebessert
Bezirksbürgermeister Uwe Purwin (SPD) schätzt die Lage völlig anders ein. Gebessert habe sich die Lage am und rund ums Problemhaus „auf gar keinen Fall“, sagt er zur WAZ. Im Gegenteil: Es gebe immer mehr Transporter, die zum Schrott sammeln ausrückten. Der Kommunale Ordnungsdienst müsse deshalb dringend am Ball bleiben: „Da müsste eigentlich jeden Tag einer vorbei schauen“, betont der SPD-Politiker. Es sei Zeit, in der Bezirksvertretung Wanne wieder über das Thema zu sprechen.
Auch die Politik ist weiter alarmiert. Schon zuletzt war sie nicht amüsiert über das Vorgehen der Stadt. Torsten Becker, Wanner SPD-Bezirksfraktionschef, beklagte im April gegenüber der WAZ ein „Wischiwaschi“ der Verwaltung im Kampf gegen Problem- und Schrotthäuser. Jetzt zeigt er sich „verwundert“ über die Aussage der Stadt, dass es „keine Auffälligkeiten“ gebe. An der Situation vor Ort habe sich nichts verändert, sagt auch er. Es müsse dringend eine Lösung her.
>> WEITERE INFORMATIONEN: Problemhäuser
In Herne ist die Zahl der Problemhäuser zuletzt deutlich gestiegen. Ende 2020 gab es nach Angaben der Stadt 55 so genannte Problemimmobilien in Herne. Vor fünf Jahren waren es mit 22 nicht mal halb so viele, so die Stadt Anfang des Jahres. Grund für den Anstieg sei der anhaltende Zuzug von Menschen aus Südosteuropa. So sei die Zahl der gemeldeten Bürger aus Rumänien und Bulgarien zwischen März 2016 und November 2020 von rund 2450 auf 3800 Menschen angestiegen. Ein Drittel dieser Zugewanderten lebe in den 55 Problemimmobilien.
„Wiederkehrende Auffälligkeiten“ machten laut Stadt die Problemhäuser aus. In den Gebäuden und auf den Grundstücken gebe es reichlich Müll, außerdem viele Besucher und oft Lärm, nicht zuletzt seien viele Häuser in einem schlechten Zustand. Immer wieder mussten in der Vergangenheit Wohnungen für unbewohnbar erklärt werden. Bis zu 40 Prozent der Problemhäuser in Herne sind laut Stadt in der Hand von Gesellschaften, die ihren Sitz in anderen Kommunen, aber auch im Ausland hätten. Sie wollten vor allem eins: abkassieren.