Herne. Als Selbstständige durch Corona in Not gerieten, gewährte NRW Soforthilfe. Nun will das Land das Geld zurück. Zwei Hernerinnen wehren sich.
Als im vergangenen Frühjahr die erste Coronawelle über das Land und damit auch über Herne hinweg schwappte, spülte sie mit dem Lockdown viele Geschäftsmodelle weg. Besonders betroffen waren die Solo-Selbstständigen. Ihnen gewährte das Land NRW die sogenannte Soforthilfe. Doch darum hat sich zwischen den Empfängern und dem Land ein Streit entwickelt, der die Gerichte beschäftigen wird. Auch zwei Hernerinnen werden klagen.
Die beiden Klägerinnen, das sind Andrea Darwiche und Andrea Wörmann. Sie wehren sich dagegen, dass sie die Soforthilfe zurückzahlen sollen. Davon sei bei der Auszahlung im vergangenen Frühjahr nie die Rede gewesen.
Andrea Wörmann bietet Dienstleistungen im Bereich der Buchhaltung und der Abrechnung an. Als ihre Auftragslage eingebrochen war, sei sie eine der ersten gewesen, die einen Antrag auf Soforthilfe gestellt hatten. Die Auszahlung der 9000 Euro sei auch postwendend erfolgt. Zum damaligen Zeitpunkt habe es in den Bedingungen keinerlei Hinweise gegeben, dass das Geld zurückgezahlt werden muss. Eine andere Rahmenbedingung bei der Auszahlung sei gewesen, dass der Betrag auch für den Lebensunterhalt verwendet werden dürfe.
Andrea Wörmann: Der Umgang mit Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, geht gegen mein Gerechtigkeitsempfinden
Was Wörmann ärgert - und dazu veranlasst hat, Klage am Verwaltungsgericht einzureichen -, ist die Tatsache, dass das Land im Nachhinein einseitig die Bedingungen verändert habe. Die Verwendung der Soforthilfe für den Lebensunterhalt sei herausgefallen, außerdem habe man plötzlich die Verwendung des Geldes nachweisen müssen. Sie sei davon ausgegangen, dass die Soforthilfe dafür gedacht gewesen sei, dass man als Selbstständige den Einnahme-Ausfall kompensieren kann. Was sie besonders ärgere: „Dass Menschen in einer Sicherheit gewiegt werden, dass man nicht hängen gelassen wird. Und am Ende wird es immer weniger. Dann muss man plötzlich zurückzahlen, dann werden Fristen gesetzt. Der Umgang mit den Menschen, die auf die Hilfe angewiesen sind und sich nicht bereichern wollen, geht gegen mein Gerechtigkeitsempfinden.“ Dass sie von dem Geld, das sie sich in den vergangenen Monaten hart erarbeitet habe, jetzt wieder etwas abgeben müsse, sei nicht in Ordnung.
Die Eickelerin Andrea Darwiche steckt in der gleichen Situation. Mit ihrer Agentur Cliniqo bietet sie vor allem im Gesundheitsbereich Projektleitung, Veranstaltungsorganisation oder die Konzeptionierung von Webseiten an. Auch ihr Umsatz sei in kürzester Zeit auf Null gerauscht, weshalb sie ebenfalls sehr früh Ende März 2020 die Soforthilfe in Höhe von 9000 Euro beantragt habe. Diese habe sie auch schnell erhalten - für Darwiche unter der Voraussetzung, dass sie auch davon ihre Lebenshaltungskosten bestreiten dürfe und keine Rückzahlung geplant sei. Damit sei der Fall für sie erledigt gewesen. Deshalb habe sie auch nicht mitbekommen, dass das Land rückwirkend die Bedingungen geändert habe. Das habe sie erst im Juli vergangenen Jahres realisiert, als eine Mail vom Bund gekommen sei - mit der Ankündigung, das Geld zurückzufordern.
„IG Soforthilfe NRW“ hat über 7000 Selbstständige versammelt, die sich wehren wollen
Wörmann und Darwiche wagen sich längst nicht allein und ohne Unterstützung auf das juristische Terrain, sie haben sich der Interessengemeinschaft „IG NRW-Soforthilfe“ angeschlossen. Initiator Reiner Hermann hat inzwischen über 7000 Selbstständige in Nordrhein-Westfalen gesammelt, die sich alle gegen die vom Land geplante Rückzahlung wehren.
Hermann hat sich mit anwaltlicher Hilfe in die Materie vertieft. Ein Angriffspunkt unter anderen ist laut Hermann: Das Land habe beim Start des Verfahrens am 27. März 2020 sogenannte FAQs aufgestellt - deutsch: oft gestellte Fragen. Sofern dies die einzige öffentliche Informationsquelle einer Behörde sei, hätten diese FAQs den Rechtscharakter von Förderbedingungen. Diese seien die Grundlage der korrekten Antragsstellung gewesen. Aber das Land habe diese Förderbedingungen mindestens 15 mal „heimlich, still und leise“ geändert. „Und stets zum Nachteil der Empfänger“, so Hermann. Da herrsche ein riesiges Durcheinander. Von einigen Punkten, die im Bewilligungsbescheid genannt seien, wolle das Land heute nichts mehr wissen. Die Interessengemeinschaft will jetzt gerichtlich klären lassen, ob die erste E-Mail des Landes von Juli 2020 an 100.000 Soforthilfe-Empfänger ein verdeckter Änderungsbescheid ist.
Doch nicht nur dort, sondern auch in den jüngsten E-Mails, die nun alle 426.000 Empfängern erhalten hätten, seien verdeckte Änderungsbescheide. Heißt: Das Land ändere wieder einseitig die Bedingungen. Hermann: „Auf diesen Vertragsgrundlagen ist nicht beantragt worden.“ Deshalb habe eine Düsseldorfer Kanzlei das gesamte Verfahren analysiert und Hinweise auf das juristische Vorgehen gegeben. Das Land könne sich in den kommenden Tagen auf eine Klagewelle gefasst machen.
>>> WEITERE INFORMATIONEN
■ Weitere Informationen zur Interessengemeinschaft gibt es unter ig-nrw-soforthilfe.de
■ Die Herner WAZ hat auch das zuständige NRW-Wirtschaftsministerium um seine Sicht der Dinge gebeten, doch die Anfrage blieb zunächst unbeantwortet.