Gelsenkirchen. Eine Gelsenkirchener Friseurin hat die Corona-Soforthilfe erhalten und muss nun fast alles zurückzahlen. Wieso sie sich ungerecht behandelt fühlt

Es ging fast schon zu einfach. Im März des Vorjahres, als erstmals pandemiebedingt Läden schließen mussten und Kontaktbeschränkungen galten, bot die nordrhein-westfälische Landesregierung die Corona-Soforthilfe 2020 an. Rosaria Fichera-Lanza, Inhaberin des Salons „Modefriseur Gransch“ in Gelsenkirchen, füllte das entsprechende Online-Formular aus – und ein paar Tage später war das Geld auf ihrem Konto.

Sie erhielt 9000 Euro. Eine Summe, die sie gut gebrauchen konnte, wie auch viele andere Kleinunternehmer, Freiberufler und Soloselbstständige, an die das Paket gerichtet war. Friseure durften im Frühling 2020 für mehrere Wochen nicht zu Kamm und Schere greifen. Fichera-Lanza musste Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und private Ersparnisse in den Salon stecken.

Die Beschränkungen wurden im Mai aufgehoben und für Fichera-Lanza gab es in dem Monat einiges nachzuholen. Die Kunden hatten immerhin wochenlang auf einen neuen Haarschnitt gewartet, weshalb die 43-Jährige Überstunden machte, nicht wenige, und teilweise vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang gearbeitet hat.

Gelsenkirchener Friseurin musste fast die gesamte Soforthilfe zurückzahlen

Der Schock kam für Fichera-Lanza mit dem Rückmeldeverfahren der Landesregierung. Das Land hatte die Hilfssummen pauschal an die Antragssteller überwiesen. Über das Rückmeldeverfahren wollte es den tatsächlichen Förderbedarf ermitteln. Das geschah über den sogenannten Liquiditätsnachweis über einen Zeitraum von drei Monaten. Für Fichera-Lanza kam raus: Sie sollte fast die gesamte Soforthilfe zurückzahlen.

Im Mai hatte sie offenbar so viel verdient, dass es nach der Berechnungsweise keinen Förderbedarf mehr gegeben hatte. Von den 9000 Euro dürfe sie am Ende 300 Euro behalten. „Das war ein Schlag ins Gesicht“, sagt die Friseurin, die sich eine andere Berechnungsweise gewünscht hätte: Es hätte nicht auf den Liquiditätsnachweis geschaut werden sollen, sondern auf die kompletten Umsatzeinbußen.

Wirtschaftsministerium klärt auf: Wozu die Soforthilfe 2020 gedient hat

Allerdings, so das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE) gegenüber der WAZ, sei es eben nicht das Ziel der Soforthilfe gewesen, „Umsatzausfälle während des Lockdowns auszugleichen“. Das Hilfspaket habe den Zweck gehabt, „existenzbedrohende Finanzierungsengpässe zu verhindern und schnell Liquidität zur Verfügung zu stellen“, heißt es vom Ministerium.

Unklar bleibt, wie viele Unternehmen betroffen sind

Unklar ist, wie viele Empfängerinnen und Empfänger davon betroffen sind, dass sie die Soforthilfe zu einem Großteil zurückzahlen mussten. Das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE) berichtet, dass dazu noch keine belastbaren Zahlen vorliegen würden.

Es müsse zunächst das weitere Rückmeldeverfahren abgewartet werden. Hierfür werden alle Soforthilfeempfänger, die noch nicht am Rückmeldeverfahren teilgenommen haben, erneut angeschrieben und müssen vorher auch nicht aktiv werden, so das MWIDE.

Wies ein Unternehmen im Rückmeldeverfahren einen Überschuss statt eines Liquiditätsengpasses vor, dann befand es sich nach Bundesvorgaben nicht in einer existenzbedrohenden Lage und hatte damit kein Förderbedarf. Durch eine „schnelle Auszahlung der Pauschale“, schrieb das MWIDE, habe das Land dennoch kurzfristig Liquidität zur Verfügung stellen können.

Das stimmt durchaus, denn auch Fichera-Lanza hat das Geld schnell erhalten. Jedoch fühlt sie sich von dieser Regelung ungerecht behandelt. „Hätte ich im Mai weniger gearbeitet, dann hätte ich weniger Geld abgeben müssen“, kritisiert sie.

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Sie ist offenbar nicht die einzige Betroffene. In Gelsenkirchen seien von den Rückzahlungsforderungen mehrere Salons überrascht worden, berichtet Holger Augustin, Obermeister der hiesigen Friseurinnung. „Viele Betriebe mussten fast alles zurückzahlen, auch bundesweit.“ In anderen Branchen gebe es ebenfalls Proteste über die Rückmeldung der Soforthilfe, bestätigt Rechtsanwalt Arndt Kempgens.

Gelsenkirchenerin bemängelt: „Für den Lockdown wurde ich überhaupt nicht entschädigt“

Fichera-Lanza stieß beispielsweise im Internet auf die „Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe“. In der entsprechenden Facebook-Gruppe befinden sich über 6000 Mitglieder. Die IG bemängelt, dass das Land die Förderbedingungen zur Soforthilfe mehr als ein dutzendmal verändert haben soll, ohne den Antragsstellern dies mitzuteilen. Aus diesem Grund seien viele Anträge falsch abgegeben worden, woraus sich wiederum Rückzahlungsforderungen ergeben hätten.

Davon berichtet auch Fichera-Lanza. Das Land habe im Voraus nicht ausreichend über das Rückmeldeverfahren informiert, sagt sie. Die Saloninhaberin beteuert, dass es zunächst in ihrem Antrag geheißen habe, dass auf die Hilfszahlung Steuern anfallen sollen. Das MWIDE teilt hingegen mit, dass ein Hinweis zu einem Rückmeldeverfahren zur Höhe des tatsächlichen Förderanspruchs im Antrag sowie auf dem Bewilligungsbescheid gestanden habe.

Das Problem für Fichera-Lanza: Sie kann das im Nachhinein nur schlecht belegen. Das Antragsformular habe sich online ausfüllen, nicht aber ausdrucken lassen, meint sie. So fühle sich die Soforthilfe vielmehr wie ein zinsloser Kredit an. Ein Kredit, den manch ein Antragssteller womöglich gar nicht aufgenommen hätte, wenn er als solcher gegenzeichnet worden wäre.

Und nun, ein Jahr später? Bei Fichera-Lanza überwiegt der Ärger über die Soforthilfe, die für sie keine Hilfe gewesen ist: „Für den Lockdown wurde ich überhaupt nicht entschädigt. Ich wurde quasi dafür bestraft, dass ich Überstunden gemacht habe.“