Herne. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Herner Jugendliche? Die WAZ hat mit Schülerinnen und Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule gesprochen.

Und auf einmal sickert die Erkenntnis durch, dass in den andauernden Diskussionen um die Bekämpfung der Corona-Pandemie eine Bevölkerungsgruppe bislang weitgehend vergessen worden ist: die Kinder und Jugendlichen. Das sogenannte Aufholpaket für sie stellte die Bundesregierung nach mehr als einem Jahr Pandemie vor. In den allermeisten Fällen wurde über sie geredet, nur in Ausnahmefällen mit ihnen. Die Herner WAZ hat nun genau das getan - sie hat Schülerinnen und Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule zu Wort kommen lassen. Das sind ihre Gedanken.

„Wir sollen Leistung bringen, haben aber kein Mitspracherecht.“

Wenn die Jugendlichen über die Pandemie sprechen und darüber, was sie mit ihnen macht, dann schwingt seit einiger Zeit immer eine bittere Frage mit: „Und was ist mit uns?“ Spätestens als die Bundesregierung beschlossen habe, für vollständig Geimpfte und Genesene die Kontaktbeschränkungen zu lockern, habe sie sich gefragt, „wann wir an die Reihe kommen“, so Maja (17). So sehen es auch Esma (17) und Luzia (17). Immer hätten andere Gruppen Vorrang gehabt, seien die Jugendlichen zur Seite gedrückt worden. Sie selbst hätten auch immer Verständnis gezeigt, doch nun sei es wichtig, dass sie gehört würden mit ihren Problemen. Gideon (18) glaubt nicht, dass er bis Ende August geimpft wird, wenn ab 7. Juni die Impfpriorisierung aufgehoben werde. Die Schüler fühlen sich in wie in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Sie seien „fassungslos“ gewesen sei, als gesagt worden sei, dass Corona die Jüngeren nicht treffe. Die Schüler plage auch ein Gefühl der Schuld, wenn sie - vermutlich aus der Schule - das Virus in die Familie getragen hätten.

Alle Schüler beschäftigt die Hürden und Auswirkungen des Distanzunterrichts. Es werde kaum thematisiert, wie schwer es sei, zu Hause zu lernen. Der Stoff werde nicht einfacher, und sie seien nicht in der Lage, sich alles selbst beizubringen, lautet der Tenor. Hinzu komme, dass manche Lehrer nicht da seien, in der Vergangenheit seien einige Schüler mehrfach in Quarantäne gewesen. „Wir müssen viel mehr leisten bei weniger Ressourcen.“ Gerade die Tatsache, dass sie nach der jüngsten Phase der Klausuren keine Pause haben, sondern seit Anfang der Woche wieder voll im Präsenzunterricht gefordert seien, löst offenbar ein Gefühl der Bitterkeit aus. „Wir sollen Leistung zeigen, haben aber sonst kein Mitspracherecht.“

Das eigene Zimmer ist vor lauter Distanzunterricht kein Ort zum Abschalten mehr

Der Distanzunterricht hat offenbar noch eine andere - negative - Wirkung mit sich gebracht. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Schule und Zuhause. Eigentlich sei das eigene Kinderzimmer ein Rückzugsort gewesen, ein Ort zum Abschalten. Doch nun? Lägen überall Schulsachen herum, die Schule hat sich im Kinderzimmer eingenistet. Manche berichten von einer großen Erschöpfung, nach acht Stunden am Computer würden die Augen zufallen. Was bei einigen bedeutet, dass der gewohnte Schlafrhythmus verloren gegangen ist.

„Wir sind so erschöpft“, sagen die Schülerinnen und Schüler. Es gebe kaum mehr einen Moment zum Auf und Durchatmen. Das zurückliegende Schuljahr sei komplett gleich abgelaufen - sprich eintönig. Zumal mit dem Lockdown die Kontakte zu den Freunden weggebrochen seien. Gesehen habe man sich nur in der Schule, doch dort drehe sich alles ins Lernen.

Mit dem Gefühl, die Vergessenen zu sein, hat sich bei den 17- und 18-Jährigen auch ein Gefühl eingestellt, dass ihnen etwas gestohlen worden ist. „Wir haben mit 16 mehr gelebt als mit 18.“ Und natürlich breitet sich die Unsicherheit aus, wie es weitergeht. Reicht es für das Studium, für die Ausbildung? Früher hätten sie nie Zukunftsängste gehabt, doch nun sei es schwer, den richtigen Weg zu finden. Ein Satz klingt wie ein Appell an die Gesellschaft und die Politik: „Unsere Zukunft steht auf dem Spiel.“

>> FORDERUNGEN DER SCHÜLERVERTRETUNG

Die Schüler der Erich-Fried-Gesamtschule haben einen Forderungskatalog auf der Internetseite der Schule veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem:

Wir fordern eine geordnete, schnelle Impfkampagne für Kinder und Jugendliche.

Unserer Meinung nach sollte auf keinen Fall in der bereits laufenden Impfkampagne für die Erwachsenen die Priorisierung aufgehoben werden. Stattdessen sollte erst an Jugendliche und Kinder gedacht werden, um diesen möglichst schnell wieder mehr Normalität zu ermöglichen / Kinder und Jugendliche sollten priorisiert werden.

Wir fordern, dass die Situation der Kinder, Jugendlichen und jungen Menschen in der öffentlichen Diskussion eine stärkere Beachtung findet. Wir möchten ernst genommen und gesehen werden. Wir wünschen und erwarten, dass uns die Gesellschaft und die Politiker und Politikerinnen in ihren Äußerungen und Entscheidungen die Solidarität zukommen lassen, mit der wir uns in den vergangenen Monaten eingeschränkt haben, um das Leben und die Gesundheit der Risikogruppen zu schützen. Wir sind jetzt die Schutzbedürftigen!

Unterstützt werden die Schülerinnen und Schüler von Lehrern mit der symbolische Solidaritätsaktion „Wir stehen hinter Euch“. Sie zeigt Fotos, auf denen Lehrer sich hinter die Schüler gestellt haben.

>>> BEIM CORONA-CHECK ÄUßERTEN ELTERN ANGST UM IHRE KINDER

■ Bei der Umfrage zum Corona-Check zeigte sich in vielen Mitteilungen von Eltern, dass sie sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machen.

■ So schrieb eine Frau: „Kinder, Lehrer und Erzieher werden nicht ausreichend geschützt, obwohl man ein halbes Jahr Zeit hatte, sich um technische Möglichkeiten zu kümmern.“