Herne. Plötzlich Politiker: Nach 40 Jahren bei der Polizei wurde Quereinsteiger Adi Plickert Bezirksbürgermeister in Eickel. Seine erste Bilanz.

Nach rund 40 Jahren im Polizeidienst hat sich Arnold „Adi“ Plickert der Kommunalpolitik zugewandt: Auf Bitte der SPD kandidierte der Pensionär im September bei der Kommunalwahl und wurde im November zum Bezirksbürgermeister gewählt. WAZ-Redakteur Lars-Oliver Christoph sprach mit dem 64-Jährigen (nicht nur) über seinen Start.

Sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister, warum wollen Sie in der Bezirksvertretung nicht mehr - wie in allen Bezirken üblich - als „sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister“ angesprochen werden?

Arnold Plickert: Ich war schon ein Jahr vor meiner Wahl als Besucher in der Bezirksvertretung und habe diese Ansprache bei jeder Frage und Antwort als merkwürdig und nicht mehr zeitgemäß empfunden. Ich habe mich gefühlt wie in einem oberbayrischen Amtsgericht im Jahre 1900. Deshalb habe ich das in meiner ersten Sitzung geändert. Und ich habe noch etwas geändert.

Und zwar?

Wenn ich mehr Bürgernähe haben möchte, ist 16 Uhr keine gute Anfangszeit für die Bezirksvertretung. Die beste Zeit wäre 18 Uhr, damit würde man aber den Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung keinen Gefallen tun. Deshalb habe ich mich für 17 Uhr entschieden.

Blumen für den Neuen: Am 5. November wurde Adi Plickert (SPD) in der konstituierenden Sitzung der Bezirksvertretung Eickel zum neuen Bezirksbürgermeister gewählt. Er ist Nachfolger von Martin Kortmann.
Blumen für den Neuen: Am 5. November wurde Adi Plickert (SPD) in der konstituierenden Sitzung der Bezirksvertretung Eickel zum neuen Bezirksbürgermeister gewählt. Er ist Nachfolger von Martin Kortmann. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Hat sich das bewährt?

Die ersten drei Sitzungen waren „ausverkauft“, der Saal war voll. Das freut mich, denn die Bezirksvertretung ist der Ort, wo Demokratie wirklich gelebt werden kann. Was ebenfalls positiv ist: Wir werden zwar das Sud- und Treberhaus als Hauptsitz beibehalten, den Sitzungsort aber auch mal wechseln. Durch die Pandemie haben wir bereits im größeren Volkshaus Röhlinghausen getagt. Ich schließe aber nicht aus, dass wir bei einem spannenden Thema aus Wanne-Süd mal in der Sporthalle oder in anderen Räumlichkeiten tagen.

Auch interessant

Haben Sie sich in Ihren ersten vier Monaten an irgendetwas die Zähne ausgebissen?

Nein, aber dafür wäre es auch noch zu früh. Ich gehöre ja in der Herner SPD zu einem Experiment. Die Partei hat vor der Kommunalwahl mit Hotte Schröder, Petra Hermann-Kopp und mir drei Personen angesprochen, die parteipolitisch bisher nicht aktiv waren, aber für Themen stehen. Hotte für Soziales, Petra für Sport und ich für Sicherheit. Dieses Thema hatte sich die SPD bisher nicht unbedingt auf die Fahnen geschrieben. Wir haben es in Wahlkämpfen in sechs Rundgängen in Herne besetzt, das hat der SPD bei der Kommunalwahl nicht geschadet.

Hannelore Kraft überreichte Parteibuch

Der gebürtige Wanne-Eickeler trat 1978 in den Polizeidienst. Nach seinem Studium an der FH Dortmund zum Polizeikommissar und Diplomverwaltungswirt war Adi Plickert von 1987 bis 2004 Wachdienstführer im Einzeldienst im auch für Herne zuständigen Polizeipräsidium Bochum, dann Zug- und Hundertschaftsführer.

2004 wurde er in den Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gewählt, 2012 wurde er Landesvorsitzender. Seit 2018 ist er im Ruhestand.

Der SPD gehört er seit 2010 an. Das Parteibuch wurde ihm von Hannelore Kraft persönlich überreicht - mit Widmung: „Ich habe ihr damals vor der Landtagswahl versprochen, in die SPD einzutreten, wenn sie als Ministerpräsidentin das Landespersonalvertretungsgesetz ändert.“ Das habe sie nach dem Wahlsieg über die CDU auch getan.

Plickert ist verheiratet; er hat zwei Kinder und ein Enkelkind.

Hatten Sie keine Manschetten, ohne kommunalpolitische Erfahrung als Bezirksbürgermeister ins kalte Wasser zu springen?

Ich hatte in meinem beruflichen Leben bei der Polizei schon viele Funktionen. Wenn man etwas neu beginnt, hat man immer Respekt vor der neuen Aufgabe. Ja, es war für mich in Teilen Neuland. Das bedeutet für mich: Ich muss mich schnell mit den neuen Themen auseinandersetzen und intensiv auf Sitzungen vorbereiten. Hierzu gehört insbesondere intensives Lesen.

Haben Sie die den Schritt in die Politik schon mal bereut?

Nein, doch auch dafür wäre es noch zu früh. Aktuell versuche ich ein Netzwerk von Ansprechpartner und Kommunikationswege aufzubauen. Da gibt es gute Erfahrungen, doch es gibt auch den einen oder anderen Punkt, wo ich sage: Adi Plickert und Verwaltung müssen sich noch aneinander gewöhnen.

Ein Beispiel?

Auf der Heinrich-Kämpchen-Straße in Röhlinghausen gibt es ein Halteverbotsschild mit dem Zusatz „Donnerstag von 10 bis 13 Uhr“, weil zu dieser Zeit die Müllabfuhr kommt. Nun hat uns ein Bürger angesprochen und mit einer Liste der vergangenen eineinhalb Jahre dokumentiert, dass die Müllabfuhr nicht zwischen 10 und 13, sondern zwischen 7 und 10 Uhr kommt. Heißt: Das Schild ist unsinnig. Das haben wir an die Verwaltung gegeben. Es hat dann mehr als acht Wochen gedauert, bis dieses Schild ausgetauscht worden ist. Bei der Polizei hätten wir einen Schraubenzieher genommen und es abgeschraubt (lacht). Vielleicht bin ich einfach noch zu euphorisch, wenn ich glaube, dass man etwas auf den Weg bringt und es drei Tage später erledigt ist.

Bezirksbürgermeister Adi Plickert hat Verständnis für den Protest von Röhlinghauser Anwohnerinnen und Anwohnern gegen den Standort eines Kita-Neubaus.
Bezirksbürgermeister Adi Plickert hat Verständnis für den Protest von Röhlinghauser Anwohnerinnen und Anwohnern gegen den Standort eines Kita-Neubaus. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Bei der Diskussion um den Kita-Neubau an der Barbarastraße in Röhlinghausen gab es deutliche Kritik aus der SPD am Vorgehen der Verwaltung.

Das ist das beste Beispiel, wie es nicht laufen sollte. Die Bürgerinnen und Bürger wurden von der Verwaltung vor vollendete Tatsachen gestellt und nicht frühzeitig beteiligt. Die Verärgerung darüber haben der Genosse Hendrik Bollmann und ich vor Ort zu spüren bekommen. Danach haben wir zu diesem Thema mehrere Zoom-Konferenzen und Treffen vor Ort durchgeführt. Am Ende bleibt zu hoffen, dass die Bürgerinnen und Bürger auch erkennen, dass wir uns als Politik nicht weggeduckt haben und weiter in der Angelegenheit aktiv sind.

Wie ist im Bezirk der Austausch mit den anderen Parteien und Bezirksverordneten?

Den kann ich in Eickel als hervorragend bezeichnen. Vor der ersten Sitzung habe ich mich mit Ausnahme der AfH, der Alternative für Herne, mit allen Bezirksverordneten getroffen. Wir hatten tolle Gespräche und kommen gut miteinander aus.

Welches Thema wird denn in den nächsten Jahren den Bezirk Eickel besonders beschäftigen?

Das wird natürlich General Blumenthal sein. Es gibt ja Bürgerinnen und Bürgern, die sich etwas anderes auf der Fläche vorstellen können. Ich habe schon bei ein, zwei Veranstaltungen erlebt, dass es sehr emotional und laut zugeht. Ich wünsche mir einen vernünftigen und konfliktfreien Dialog. Ich kann nur dazu aufrufen, sich nicht schon jetzt mit Maximalforderungen festzulegen, sondern offen zu sein für konstruktive Gespräche.

Im Kommunalwahlkampf führte der langjährige Polizist und Polizeigewerkschafter Adi Plickert mit der SPD „Sicherheitsrundgänge“ durch.
Im Kommunalwahlkampf führte der langjährige Polizist und Polizeigewerkschafter Adi Plickert mit der SPD „Sicherheitsrundgänge“ durch. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Sie sind im Kommunalwahlkampf als Sicherheitsexperte der SPD aufgetreten. Ist dieses Kapitel mit der Wahl beendet oder sind Sie hier nach wie vor eingebunden?

Ich bin Mitglied im SPD-Arbeitskreis „Sicherheit und Ordnung“ und werde meine Meinung weiterhin einbringen. Wir haben zwei Brennpunkte in Herne: das Feldherrenviertel in Horsthausen und der Buschmannshof in Wanne. An beiden Orten entwickeln sich gute Ansätze. In Wanne gibt es einen Streetworker, an zwei Tagen in der Woche können vor Ort benutzte Spritzen getauscht werden und man versucht eine feste Anlaufstelle zu finden. Auch in Horsthausen geht es voran. Wir haben dort eine Bürgerinitiative mit sehr engagierten Bürgerinnen und Bürgern, denen das Feldherrenviertel sehr am Herzen liegt. Neben einer angedachten Quartiersanalyse, gibt es auch dort Überlegungen ein Bürgerlokal als feste Anlaufstelle einzurichten. Man darf aber nicht glauben, dass die Probleme in drei Monaten gelöst werden. In beiden Bereichen ist ein langer Atem erforderlich.

Der neue Polizeipräsident hat kurz nach seinem Amtsantritt gesagt: Herne ist eine sichere Stadt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Herne ist nicht sicherer oder unsicherer als viele andere Städte. Mich stört aber, dass man das immer dann sagt, wenn die Kriminalstatistik vorgestellt wird. Alle Experten wissen, dass die Kriminalstatistik kein Instrument ist, um die Sicherheit in einer Stadt zu messen.

Warum nicht?

Die Kriminalstatistik stellt das Hellfeld dar, also alle Anzeigen, die von der Polizei im Jahr abschließend bearbeitet worden sind. Sie stellt zum Beispiel keinen einzigen Fall aus dem Bereich Extremismus - 2020 gab es etwa 44.000 Straftaten -, Wirtschaftskriminalität oder Verkehrsdelikte dar. Die Statistik ist geeignet Tendenzen festzustellen und polizeiliche Arbeit neu darauf auszurichten, so wie vor fünf Jahren, als die Wohnungseinbrüche völlig aus dem Ruder liefen. Damals hat man umgesteuert und die Zahl der Einbrüche um 50 Prozent reduzieren können. Das ist ein toller Erfolg, zeigt aber auch, was Polizei leisten kann, wenn sie konzentriert Personal einsetzen kann. Das geschieht übrigens gerade auch im besonders widerlichen Deliktfeld der Kinderpornographie.

Wenn Sie für einen Tag Polizeipräsident in Herne wären: Was würden Sie sofort ändern?

Ich würde einen kriminalpräventiven Rat ins Leben rufen, in dem sich viele örtliche Netzwerker mit den unterschiedlichsten Problemen und Fragestellungen auseinandersetzen und nach Lösungen suchen sollten. Anderswo hat das gut funktioniert. Man muss kurze Wege schaffen – das ist die Kernbotschaft.

„Herbert Reul macht viele gute Dinge“: Der Herner Sozialdemokrat Adi Plickert lobt den NRW-Innenminister der CDU (hier bei der Vorstellung der neuen „Distanzelektroimpulsgeräte“, besser bekannt als Taser).
„Herbert Reul macht viele gute Dinge“: Der Herner Sozialdemokrat Adi Plickert lobt den NRW-Innenminister der CDU (hier bei der Vorstellung der neuen „Distanzelektroimpulsgeräte“, besser bekannt als Taser). © AFP | Ina Fassbender

Und wenn Sie für einen Tag NRW-Innenminister wären: Welche Reform würden Sie im Bereich Polizei/Sicherheit durchsetzen wollen?

NRW-Innenminister Herbert Reul macht viele gute Dinge, das kann man nicht bestreiten. Was die Polizei NRW jedoch braucht, ist eine Aufgabenanalyse, das heißt es muss klar definiert werden, welche Aufgaben die Polizei zukünftig übernehmen soll und für welche Aufgaben andere wie zum Beispiel die Kommunen zuständig sind. Genauso wichtig ist jedoch, wie die Polizei in NRW im inneren und äußeren Bereich organisiert wird. Wir sind das einzige Bundesland mit 47 Kreispolizeibehörden. Aber an diese Frage der Aufbau- und Ablauforganisation traut sich niemand heran - auch nicht Herr Reul.

Das Thema „Rechtsextremismus in der Polizei“ treibt Politik und Gesellschaft um. Wie groß ist das Problem aus Ihrer Sicht?

Aktuell sprechen wir in NRW noch von 25 Ermittlungsverfahren. Sollten hierbei fremdenfeindliche, antisemitische oder rechtsradikale Tendenzen/Straftaten festgestellt werden, haben diese Personen nichts in der Polizei NRW zu suchen. Ich glaube aber nicht, dass sich Innenminister Reul mit seiner Darstellung in der ersten Pressekonferenz einen Gefallen getan hat. Er muss jetzt ja auch zurückrudern. Einen behördlichen beziehungsweise institutionellen Rechtsruck habe ich in 41 Dienstjahren bei der Polizei NRW nicht wahrgenommen. Man sollte trotzdem überlegen, ob man dieses Thema nicht präventiv intensiver in der Aus- und Fortbildung beschult.

Faible für den Münster-Tatort und den VfL Bochum

Mein Lieblings-Tatort ...

Münster.

Mit wem leiden Sie als Fan des VfL Bochum stärker: mit Dortmund oder Schalke?

Schalke, auch wenn mich die Entwicklung fassungslos macht. Dort spielen im Moment völlig überbezahlte seelenlose Spieler.

Steigt der VfL Bochum endlich in die Bundesliga auf?

Ja. Der VfL hat es bisher immer geschafft, nach einem verlorenen Spiel zurückzukommen.

Liverpools Trainer Jürgen Klopp als neuer Bundestrainer? Der frühere Dortmunder Meistertrainer ist Adi Plickerts Favorit auf die Löw-Nachfolge.
Liverpools Trainer Jürgen Klopp als neuer Bundestrainer? Der frühere Dortmunder Meistertrainer ist Adi Plickerts Favorit auf die Löw-Nachfolge. © dpa | Marton Monus

Und wer wäre nach Einschätzung des frühere Fußballtrainers Adi Plickert der beste Bundestrainer?

Jürgen Klopp.

Nach der Bundestagswahl 2021 wird die SPD …

… durchaus Chancen auf eine Regierungsbeteiligung haben.