Herne. August und Mimi Schuster aus Herne waren in der KPD. Als die Nazis an die Macht kamen, begann für sie ein Martyrium. Ihre Enkelin erzählt.

„August Schuster und Wilhelmine, von allen Mimi genannt, waren meine Großeltern. Ich habe beide leider nicht mehr kennenlernen dürfen, da ich erst 1946 geboren bin. Meine Mutter, einzige Tochter von Opa und Oma, hat ihre letzten 20 Lebensjahre hier bei mir verbracht. In der Familie wurde überliefert, dass die beiden sehr liebevoll und herzlich waren.“ Das berichtet Monika Kronert (74) von der Eschstraße in Baukau. Durch einen WAZ-Bericht vom 20. April 2020 über das Schicksal des Nazi-Opfers Leo Justmann aufmerksam geworden, meldete sie sich bei der DGB-Geschichtswerkstatt und erzählt über das Leben ihrer Großeltern.

August Schuster wird demnach am 1. April 1887 auf der Vödestraße in Herne-Süd geboren und legt später als Bergmann auf der Zeche Constantin an. 1924 tritt er der KPD bei und wird ins Herner Stadtparlament gewählt. Schuster, erzählt Kronert, ist ein begeisterter Hobby-Vogelkundler, der es zur Freude der Tochter und anderer Kinder versteht, Vogelstimmen nachzuahmen und ihnen die Vogelarten nahe zu bringen. Am 28. Juni 1912 heiratet er Wilhelmine Klopoteck. Mimi Schuster wird am 11. Januar 1893 auf der Stammstraße in Herne-Mitte geboren.

Auch interessant

Herne: Vögel wurden bei Hausdurchsuchung getötet

Monika Kronert (74) erzählte der DGB-Geschichtswerkstatt vom Schicksal ihrer Großeltern August und Wilhelmine Schuster. Mit im Bild: Udo Jakat von der DGB-Geschichtswerkstatt.
Monika Kronert (74) erzählte der DGB-Geschichtswerkstatt vom Schicksal ihrer Großeltern August und Wilhelmine Schuster. Mit im Bild: Udo Jakat von der DGB-Geschichtswerkstatt. © DGB-Geschichtswerkstatt

1912 und 1917 versterben zwei Kinder im Säuglingsalter, Klara und Friedrich. Tochter Erna, so Monika Kronert weiter, kommt am 19. Oktober 1914 in Herne zur Welt. Die kleine Familie wohnt auf der Altenhöfener Straße 47. 1925 wird auch Mimi, gelernte Schneiderin, Mitglied der KPD und rückt im Sommer 1932 in den Rat der Stadt Herne nach. Sie kümmert sich um den Haushalt, schneidert für Nachbarn und Freunde, nebenher trägt sie die Frauenzeitung „Die Kämpferin“ aus. „Die Großeltern waren sehr naturverbunden und meine Mutter vor 1933 auch Mitglied der Naturfreundejugend“, sagt Monika Kronert. Und: „Von meiner Mutter weiß ich, dass ihre Eltern gemeinsam mit Nachbarsfamilien und gleichgesinnten Freunden öfter einen Pferdewagen gemietet haben und dann mit Kind und Kegel Ausflüge in die Haardt unternommen haben.“

Nach der Machtübertragung auf die Faschisten im Januar 1933 setzen August und Mimi, der drohenden Gefahr bewusst, den Kampf für ihre politische Überzeugung fort. Monika Kronert: „Bei einer rabiaten Haussuchung in ihrer Wohnung schlug die Gestapo alles kurz und klein und tötete wahllos einige der Buchfinken, die mein Opa auf dem kleinen Balkon in einer Voliere züchtete.“ Im September 1933 wird der umtriebige August von der Bezirksleitung Ruhrgebiet als Leiter des illegalen KPD-Unterbezirks Herne eingesetzt. Er knüpft ein illegales Netz, das weit über Herne und Wanne-Eickel hinausreicht, organisiert geheime Versammlungen und Treffs, kassiert Mitgliedsbeiträge, kümmert sich um Herstellung und Vertrieb von Kleinzeitungen und hält Kontakt zur KP Bezirksleitung.

Odyssee durch verschiedene Haftanstalten der Nazis

August und Mimi Schuster bei einem Waldausflug. Dabei macht August Schuster Vogelstimmen nach.
August und Mimi Schuster bei einem Waldausflug. Dabei macht August Schuster Vogelstimmen nach. © Familie Kronert

Nachdem die Widerstandsgruppe Ende 1934 aufgeflogen ist wird gegen August und Mimi Schuster sowie anderen Angehörigen der Widerstandsgruppe Anklage erhoben. In der Anklageschrift heißt es: „Als der Angeschuldigte August Schuster im Frühjahr sowohl wie im Sommer 1934 einmal von Herne abwesend war, hat ausschließlich seine Ehefrau die Funktionen des UB-Pol-Instrukteurs,UB-Kasseninstrukteurs und UB-Literatur-Obmanns wahrgenommen. Die Ehefrau Schuster hat ihre hochverräterische Tätigkeit ununterbrochen bis zu ihrer Festnahme am 4.11.1934 ausgeübt.“ Von den 85 Angeklagten werden im Mai 1935 insgesamt 41 Widerständler durch das Oberlandesgericht in Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu teils hohen Haftstrafen verurteilt. August soll 15, Mimi sechs Jahre ins Zuchthaus.

Für beide beginnt, getrennt voneinander, eine Odyssee durch verschiedene Haftanstalten der Nazis. Tochter Erna kommt beim Milchbauer Holl auf der Altenhöfener Straße unter, wo die 20-Jährige eingestellt ist. Mimi Schuster wird am 11. Mai 1941 aus dem Zuchthaus Dreibergen-Bützow entlassen und muss sich wöchentlich im Polizeipräsidium am Rathaus melden. Monika Kronert: „Die Oma hatte nichts, die haben aus der ganzen Verwandtschaft und dem Kreis der Genossen „zusammengeschmissen“, damit sie zunächst über die Runden kam.“ Mimi bezieht eine kleine Wohnstube auf der Werderstraße 68, direkt neben dem trockengelegten Stichkanal in Horsthausen reichte und muss fortan in der Kohlenwäsche der benachbarten Zeche Friedrich-der-Große 1/2 schwerste körperliche Arbeit verrichten. Sie lebt in ständiger Angst vor den Nazi-Schergen und in Sorge um ihren weiterhin inhaftierten August, zu dem jede Verbindung fehlt.

Mimi und August Schuster sterben 1944

Erna Fiedler geb. Schuster, nach 1945 bei der Einweihung des ehemaligen Denkmals für die Herner Opfer des Faschismus auf dem Neumarkt (Schaefer-/Heinrichstraße). Neben ihr Milli Baum und Gertrud Reuter.
Erna Fiedler geb. Schuster, nach 1945 bei der Einweihung des ehemaligen Denkmals für die Herner Opfer des Faschismus auf dem Neumarkt (Schaefer-/Heinrichstraße). Neben ihr Milli Baum und Gertrud Reuter. © Stadtarchiv Herne

Die Angst ist nicht unbegründet: Am 12. September 1944 wird Mimi Schuster im Rahmen der „Aktion Gewitter“ erneut von der Gestapo verhaftet, ins Polizeigefängnis Steinwache nach Dortmund verschleppt und am 15. September ins Konzentrationslager Ravensbrück eingewiesen. August Schuster kommt nach neunjähriger Haftzeit am 22. Dezember 1944 im Zuchthaus Butzbach unter ungeklärten Umständen zu Tode. Mimi, die Flora, Fauna und ausgedehnte Ausflüge in die freie Natur so liebte, stirbt am 13. Februar 1945, von Hunger und Typhus gezeichnet, einen elenden Tod. Acht Wochen später ist Herne von den Faschisten befreit.

Die Tochter Erna Fiedler, geborene Schuster, stirbt im Juni 2004, kurz vor ihrem 90. Geburtstag.

>> WEITERE INFORMATIONEN:

Zum Autor: Norbert Arndt, ehemaliger Verdi-Sekretär in Herne, ist Mitglied der DGB-Geschichtswerkstatt in Herne.

Die Geschichtswerkstatt will weiter über Nazi-Opfer in Herne zwischen 1933 und 1945 recherchieren und freut sich über Kontakt mit Angehörigen: Norbert Arndt: Telefon 02323/82089.

Auch interessant