Essen/Düsseldorf/Dortmund. . In NRW gibt es 28 Gedenkstätten , die an Schrecken und Verfolgung während der NS-Zeit erinnern. 2018 kamen so viele Besucher wie nie.

Nie zuvor haben so viele Menschen die NS-Gedenkstätten in NRW besucht wie im vergangenen Jahr. Fast 400.000 Gäste zählten die 28 Einrichtungen zuletzt. „Eine stolze Zahl“, freut sich Werner Jung vom Landes-Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 kamen 278.000 Besucher, 2017 waren es 356.000.

„Diese Gedenkstätten sind heute wichtiger denn je, denn die Generation der Zeitzeugen und Überlebenden wird immer kleiner“, sagt Kultur-Staatssekretär Klaus Kaiser (CDU) zehn Tage vor dem 74. Gedenktag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. NRW habe keine Orte wie Auschwitz, Buchenwald oder Dachau, dennoch wurden auch hier Bürger, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter von den Nazis gedemütigt, verfolgt und ermordet.

22.000 Menschen besuchten die Steinwache

Das aufwändig ausgestattete NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln zählt jährlich etwa 90.000 Besucher und gehört zu den Attraktionen der Domstadt. Mit fast 22.000 Besuchern gehört auch die Steinwache in Dortmund zu den meistbesuchten NS-Gedenkstätten des Landes.

Das ehemalige Gestapo-Gefängnis ist zudem das eindringlichste erhaltene Zeugnis der NS-Schreckensherrschaft im Ruhrgebiet. Allein 400 Schulklassen schieben sich hier Jahr für Jahr durch die gut erhaltenen Gefängnisflure, zwängen sich in eine der bedrückend engen 40 Zellen.

66.000 Menschen waren in Dortmund inhaftiert

66.000 Menschen wurden in dieser von Zeitgenossen so genannten „Hölle Westdeutschlands“ in zwölf Jahren NS-Diktatur eingekerkert. Zumeist Zwangsarbeiter, zusammengetrieben aus den Rüstungsschmieden des Ruhrgebiets, weil ihnen das NS-Regime „Verbrechen“ vorwarf wie Arbeitsverschleppung oder „Rassevergehen“. Auch politisch Verfolgte, Gewerkschafter, Kirchenmänner verschwanden in dem unauffälligen Gebäude direkt am Dortmunder Hauptbahnhof.

Viele der meist namenlosen Häftlinge verschleppten die NS-Schergen später in Konzentrationslager. Niemand kennt die Zahl derjenigen, die Haft, Verhöre und Deportation in die Vernichtungslager nicht überlebten.

Synagoge erinnert an ermordete Juden aus Essen

Ein bedeutendes Kulturdenkmal und Erinnerungsort zugleich ist die viel besuchte Alte Synagoge in Essen. In diesem größten Synagogengebäude Deutschlands ist unter anderem die Geschichte der Essener Juden und das Schicksal von 2500 ermordeten Juden aus Essen dokumentiert. Weitere NS-Gedenkstätten im Ruhrgebiet sind etwa die Gedenkhalle Schloss Oberhausen und die Dauerausstellung „Nationalsozialismus in Gelsenkirchen“.

Kleine Ausstellungen wie das Humberghaus in Dingden am Niederrhein haben im Jahr weniger als 1000 Gäste. Wichtig seien sie alle, unterstreicht Staatssekretär Kaiser. Denn Antisemitismus und rechte Gewalt nähmen wieder zu.

Hauptgeldgeber der Gedenkstätten sind die Städte

Der Künstler Anatol Herzfeld – ein Schüler von Joseph Beuys – hat 2008 mit einem Ölgemälde das Grauen der NS-Zeit beschrieben: Ein Polizist hält einem Zivilisten eine Pistole an den Kopf und ermordet ihn. Andere Beamte sehen ungerührt hin, einer dreht sich weg. Das Bild erinnert an die Ermordung von 33.000 Juden in der Schlucht von Babij Jar bei Kiew 1941 und hängt in der Gedenkstätte Villa ten Hompel in Münster.

Land erhöht Förderung

Das Land NRW hat seine Förderung der NS-Gedenkstättenarbeit im laufenden Haushalt um 20 Prozent auf 1,8 Millionen Euro erhöht. Vor zehn Jahren lag der Landesanteil nur bei 118.000 Euro für damals 22 Gedenkstätten, rechnet Werner Jung vom Landes-Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten. Die Ausstellung in der Dortmund Steinwache soll auch mit Bundesmitteln für 2,7 Millionen Euro komplett überarbeitet werden.

Etwa ein Drittel der Besucher in den 28 Einrichtungen sind Jugendliche. Bei den Seminaren und Führungen liegt der Anteil der Schüler sogar bei 70 Prozent. Warum das Interesse an diesen düsteren Jahren nach wie vor groß ist und nun sogar ein Besucherrekord erreicht wird, dürfte nicht zuletzt mit dem Engagement der ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter in den Gedenkstätten zusammenhängen. Sie zeigen, dass jedes Opfer ein eigenes Gesicht und eine eigene Geschichte hat. Hauptgeldgeber der Erinnerungsorte sind die Kommunen.

Viele Privatleute kämen spontan in die Ausstellungen, Polizisten und Soldaten informierten sich, auch Besucher aus Ländern mit Diktaturerfahrung, zum Beispiel aus Spanien und Lateinamerika, interessierten sich für die deutsche Erinnerungskultur, berichtet Jung.

Provokationen während der Führungen

Bundesweit sorgten vor einigen Wochen Medienberichte für Aufsehen über Rechtsextreme, die bei Besuchen ehemaliger Konzentrationslager massiv provozierten. Alfons Kenkmann, der Vorsitzende des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW, machte darauf hin bei den Mitgliedern eine Abfrage, ob sich auch bei ihnen solche Vorfälle gab. Von den Gedenkstätten Vogelsang in der Eifel und Wewelsburg bei Paderborn wurde die Frage bejaht: „Aber das waren einzelne Vorfälle“, betonte Kenkmannam Donnerstag auf Anfrage dieser Zeitung.

Wie geht man damit um? In einigen Fällen seien Strafanzeigen selbstverständlich – etwa wenn es um das Zeigen verbotener Symbole gehe. Bei Provokationen, etwa während einer Führung, müssten einer Mitarbeiter aus der Situation heraus entscheiden: „Ist der betreffende Besucher bereit, Fakten zu akzeptieren und eine Diskussion anzunehmen?“, fragt Kenkmann. Gehe es aber nur darum, weiter „Fake-News“ über die Geschichte zu verbreiten und den Gedenkstätten-Mitarbeiter vorzuführen, helfe nur eines: „Abbruch der Führung.“

Die NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen

28 Gedenkorte

Zum Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW gehören 28 Gedenkorte im Land. (Das Foto zeigt die NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel)

Die bekanntesten Gedenkstätten

Zu den bekanntesten Gedenkstätten zählen die Wewelsburg im Kreis Paderborn, die NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel und die Villa ten Hompel im westfälischen Münster.

 

In unserer Region befinden sich das Zentrum für Erinnerungskultur in Duisburg, der Geschichtsort Humberghaus in Dingden, die Mahn- und Gedenkstätte und der Erinnerungsort Alter Schlachthof in Düsseldorf, die Alte Synagoge in Essen, sowie die Gedenkhalle im Schloss Oberhausen.

31.875 Besucher in Düsseldorf

Die meisten Gäste in unserer Region zählte die Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf mit 31.875. Dahinter folgen die Alte Synagoge in Essen (28.400) und die Gedenkhalle in Oberhausen (8149).

Die meisten Besucher zählte Köln

Das NS-Dokumentationszentrum in Köln zählte mit 100.000 Besuchern die meisten Gäste im vergangenen Jahr.

Im Internet zu finden

Der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten ist im Internet zu finden unter: www.ns-gedenkstaetten.de

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