Herne. An den Schulen in Herne gibt es seit dem 11. Januar keinen Präsenzunterricht. Mit welchen Problemen Kinder und Eltern zu kämpfen haben.

Seit mehr als einer Woche sind die Schulen in Herne geschlossen – Schülerinnen und Schüler müssen sich zuhause durch den Unterrichtsstoff kämpfen. Doch wie sieht ein Schultag in Pandemie-Zeiten aus? Welche Probleme bringt das Lernen auf Distanz mit sich? Und findet überhaupt an allen Schulen digitaler Unterricht statt?

"Die Schulschließungen haben uns kalt erwischt", gibt Çağıl Koyuncu, Schulpflegschaftsvorsitzende des Pestalozzi-Gymnasiums in Herne zu. "Viele Eltern haben nicht damit gerechnet, dass uns das Thema noch so lange beschäftigen wird." Die Mutter ist daher froh, dass das Gymnasium bereits nach den Sommerferien mit dem Schulnetzwerk MNS Pro die Voraussetzungen für den digitalen Unterricht geschaffen hat.

So haben die Schüler auch im Homeoffice Unterricht nach Stundenplan. Über das Schulnetzwerk können sie ihre bearbeiteten Aufgaben hochladen und mit Mitschülern an gemeinsamen Projekten arbeiten. Über die Video- und Chat-Plattform Microsoft Teams können Lehrer den Unterricht digital stattfinden lassen. Aber nicht alle Lehrkräfte machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, weiß Çağıl Koyuncu. In einigen Fächern bekommen Schüler nur Aufgaben, die sie bearbeiten müssen.

Laptops für Herner Schüler sind noch immer nicht da

Auch die Lehrer des Gymnasiums Eickel wollen ihre Schüler regelmäßig in Video-Konferenzen sehen, sagt Schulpflegschaftsvorsitzender Rahman İşçi. Doch nicht alle Familien in Herne haben gleich mehrere Laptops oder Tablets zuhause. Die Kinder müssten sich dann häufig mit ihren Eltern, die unter Umständen ebenfalls im Homeoffice arbeiten, ein Gerät teilen. "Wir haben bereits vor den Sommerferien den Bedarf in den Familien abgefragt", so der 45-Jährige. Die von der Stadt bestellten Laptops seien jedoch bisher nicht angekommen.

Seine Tochter Dilara İşçi besucht derzeit die Q1, also die 11. Klasse des Gymnasiums an der Gabelsbergerstraße. "Der Unterricht wird immer eine Woche im Voraus geplant", erzählt sie. Die 17-Jährige hat zwar Unterricht nach Stundenplan, aber nicht in allen Fächern gibt es Video-Konferenzen. "In Mathe hatten wir zum Beispiel erst eine Online-Unterrichtsstunde" – und das, obwohl im nächsten Jahr die Abiturprüfungen anstehen. "Ein bisschen Sorge habe ich schon", gibt die Schülerin zu. Denn es sei unklar, wie lange die Krise noch andauert.

"Meine Hochachtung vor dem Lehrerberuf ist deutlich gestiegen"

Für viele Eltern ist das Homeschooling eine enorme Belastung. "Sie müssen, neben ihrem eigentlichen Job, nun auch noch die Lehrerrolle übernehmen", sagt Rahman İşçi. "Das belastet unheimlich." Jüngeren Schülern falle es außerdem oft schwer, sich zuhause zu konzentrieren. Sie neigten dazu, sich während des Unterrichts durch Spiele oder Videos ablenken zu lassen.

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Auch Henrich Kleyboldt, Schulpflegschaftsvorsitzender der Schillerschule in Herne, weiß um die Doppelbelastung vieler Eltern: "Meine Hochachtung vor dem Lehrerberuf ist deutlich gestiegen." Die Grundschule arbeitet "analog", es gibt also keine digitalen Unterrichtsstunden. Stattdessen bekommen die Schüler Aufgaben, die die Eltern ausdrucken oder, wenn sie keinen Drucker haben, an der Schule abholen können.

"Gerade bei kleineren Kindern ist der Betreuungsaufwand relativ hoch", sagt 51-Jährige, der fünf Kinder im Alter von sieben bis 15 Jahren hat. Viele Eltern könnten ihre Kinder außerdem aus zeitlichen Gründen, aufgrund von Sprachbarrieren oder weil ihnen das fachliche Wissen fehle, überhaupt nicht beim Lernen unterstützen. "Da bleiben echt viele Kinder gerade auf der Strecke."

"Den Kindern fehlt wirklich etwas"

Der Schulpflegschaftsvorsitzende habe sich daher immer sehr stark für den Präsenzunterricht eingesetzt. Denn neben der Wissensvermittlung würden die Grundschullehrer auch viel Erziehungsarbeit übernehmen. "Das geht nicht auf Distanz." Kompetenzen wie der soziale Umgang, Eigenverantwortung und Entscheidungsfähigkeit würden Kinder in der Schule, auf dem Pausenhof und beim Spielen am Nachmittag lernen – und nicht zuhause.

Auch Rahman İşçi ist der Meinung, dass es sich viele Schulen mit dem Verzicht auf das Sitzenbleiben zu einfach gemacht haben. Die Probleme vieler Schüler hätten sich im neuen Schuljahr nur verschlimmert. "Den Kindern fehlt wirklich etwas", so der zweifache Vater. "Es ist aber nicht nur der Unterrichtsstoff, sondern vor allem der Austausch untereinander, der soziale Kontakt."

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>>> INFO: Laut Angaben der Stadt Herne werden die 868 bestellten Laptops des Modells Lenovo Think Pad bereits seit Freitag (15. Januar) an die Schule ausgeliefert. Viele Schüler und Lehrer warten jedoch noch immer auf ihre Geräte. Bereits im Juni hatte der Rat beschlossen, 500.000 Euro zur Verfügung zustellen, damit sich Schulen Laptops anschaffen können. Lieferengpässe sorgten dafür, dass die Geräte bisher nicht ausgeliefert werden konnten.