Herne. Angela Sulkowski hat ihre Firma „Pralinen meiner Stadt“ zu einer bekannten Marke aufgebaut. Die Pandemie bringt sie an den Rand der Existenz.

„Vorgetäuschte Realität“ – so bezeichnet Angela Sulkowski ihre aktuelle Situation. Die Inhaberin von „Pralinen meiner Stadt“ in Wanne hat wieder Aufträge und alle Hände voll zu tun. Eine Reihe von Unternehmen bestellen Pralinen, um diese zu Weihnachten zu verschenken. Doch was kommt nach Weihnachten? Da beginnt für Sulkowski die große Ungewissheit.

Dass sie diese Ungewissheit und Existenzängste einmal bedrücken könnten, hat sie vor einem Jahr nicht im Entferntesten geahnt. Ja, sie habe die Berichte aus China über diese neuartige Lungenkrankheit registriert. Aber China? Eben, weit entfernt. „Ich habe mir keine weiteren Gedanken gemacht. Extreme kennt man doch immer aus anderen Ländern, hier ist das Leben ja relativ sicher“, erinnert sich Sulkowski im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Auch als die ersten Fälle in Deutschland auftraten - unter anderem beim Unternehmen Webasto in Bayern - hat sie nicht gedacht, dass dieses Virus sie eines Tages an den Rand ihrer Existenz bringen würde.

„Ich komme nicht damit zurecht, nichts zu machen“

Zum ersten Mal ein mulmiges Gefühl habe sie bekommen, als ein Unternehmen Pralinen, die es für Messebesucher in Auftrag gegeben hatte, wieder abbestellte. Das war zu jener Zeit, als man dachte, man könnte das Virus eindämmen, indem man die Zahl der Teilnehmer an Veranstaltungen auf 1000 begrenzt.

Angela Sulkowski vor einer Pinnwand mit Danksagungen von Hochzeitspaaren.
Angela Sulkowski vor einer Pinnwand mit Danksagungen von Hochzeitspaaren. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Ab dann ereilte die 39-Jährige das Unheil immer schneller und heftiger. Zuerst brachen die Hochzeitsmessen weg, bei denen sie Aufträge an Land zieht. Mit den zunehmenden Beschränkungen sagten auch Hochzeitspaare, die bereits eine Torte bestellt hatten, ab. Nur zur Einordnung: Eine Hochzeitstorte bei „Pralinen meiner Stadt“ kostet rund 500 Euro. Auch die Kommunion- und Konfirmationssaison wurde weggerissen. „Jeder Anruf damals war eine Stornierung.“ Und ins kleine Ladenlokal an der Rathausstraße verirrte sich auch niemand mehr. „Ich hab mich gefühlt wie in einer Blase.“

Ihre Meisterin musste Sulkowski in „Kurzarbeit Null“ schicken. Sie selbst hatte ja auch nichts mehr zu tun. Irgendwann ist alles geputzt, jedes Fach und jedes Regal aufgeräumt. Sie habe immer auf Hochtouren gearbeitet, sagt Sulkowski. Von 7.30 bis um 20 Uhr im Laden zu stehen und Schokolade anzurühren, Torten zu verzieren, am Wochenende die Torten an die glücklichen Brautpaare auszuliefern und dann noch Workshops zu leiten - all das ist Sulkowskis Normalität. Doch ihre neue Normalität war plötzlich Untätigkeit. Dabei komme sie gar nicht damit zurecht, nichts zu tun zu haben. „Ich stand im Laden, keiner war da, es gab keinen Auftrag, und ich habe die Uhr ticken hören.“ Sie sei zu nichts zu gebrauchen gewesen, habe keinen klaren Gedanken fassen können. Ob es eine Nebenwirkung der Untätigkeit war, dass sie ausgerechnet in dieser Zeit eine Grippe bekam?

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Die andere, weitaus gravierendere Nebenwirkung: Sulkowski ging das Geld aus. Obwohl sie seit dem Start 2009 immer voll gearbeitet habe, habe sie nie Rücklagen bilden können. Aber das sei okay gewesen. Wenn sie alle Rechnungen bezahlen konnte, sei das in Ordnung gewesen. Doch nun konnte sie nicht mehr alles bezahlen. Immerhin: Die Soforthilfe in Höhe von 9000 Euro landete innerhalb kürzester Zeit auf ihrem Konto.

Angela Sulkowski kann Pralinen mit individuellen Motiven anbieten.
Angela Sulkowski kann Pralinen mit individuellen Motiven anbieten. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Angela Sulkowski braucht die nächste Hochzeitssaison

Doch der Grund, warum das Geschäft immer noch existiere, sei die Grundsicherung. Im Klartext: Angela Sulkowski bekommt Hartz IV. Das Jobcenter sei für sie gedanklich immer ganz weit weg gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dort mal hin muss.“ Es sei ein ganz blödes Gefühl gewesen, sie habe nicht gewusst, was sie machen musste.

Als die Infektionszahlen im Sommer deutlich sanken und Hochzeiten wieder möglich waren, keimte bei Sulkowski wieder Hoffnung auf, doch die schwand mit den ansteigenden Zahlen. Ihr Blick ins kommende Jahr? Nicht sehr optimistisch. Sie weiß: Sie braucht die nächste Hochzeitssaison, um überleben zu können. Viele Brautpaare hätten zwar auch neue Termine für 2021 und Torten bestellt. Die bange Frage sei, ob die Feiern stattfinden können. Und wenn nicht? „So lange ich stehen und kämpfen kann, werde ich das tun.“

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