Herne. Reiner Rimkus blickt auf seine Zeit als Superintendent des Herner Kirchenkreises zurück: Ein Gespräch über Wandel und Werte in schwieriger Zeit.
16 Jahre lang war er Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Herne, am 1. Dezember gibt Reiner Rimkus sein Amt ab . Wie der heute 62-Jährige diese Zeit erlebt hat und was ihm in der Kirche wichtig ist, erzählte er im Gespräch mit WAZ-Redakteurin Ute Eickenbusch.
Herr Rimkus, mit Corona konnte niemand rechnen, als Sie 2004 ihr Amt angetreten haben. Welche Herausforderungen haben Sie damals erwartet?
Im September 2004 sah eigentlich alles noch ganz gut aus. Dann kam im November der Brandbrief des „Finanzministers“ der Westfälischen Landeskirche. Der sagte uns einen deutlichen Einbruch der Kirchensteuern an. Wir hatten gleich im ersten Haushalt ein Defizit und es war klar, dass wir dringend in umfangreiche Strukturentwicklungen müssen und die Finanzen uns bedrängen.
„Strukturentwicklungen“ könnte man auch Sparzwang nennen ...
Ja, wir haben in den ersten drei Jahren ein Sparprogramm auf den Weg gebracht, das uns dazu geholfen hat, dass wir seitdem nicht wieder einen Haushalt im Defizit hatten.
Hauptsächlich durch die Zusammenlegung von Gemeinden?
Es wurden Gemeinden zusammengelegt, wir haben auch Gemeindepfarrstellen abbauen müssen, und wir haben einige Dienstbereiche eingespart und deutlich auch beim Diakonischen Werk gespart.
Wie kommen die Gemeinden mit der Zusammenlegung klar?
Grundsätzlich bereiten Veränderung in Kirche immer Angst und rufen Widerstände hervor. 2006 haben wir nach umfangreicher Vorarbeit unsere Struktursynode gemacht, da wurde den neuen Strukturentwicklungen sehr zurückhaltend begegnet. Wir erleben es jetzt zum zweiten Mal. Die letzten vier Jahre sind wir in einem weiteren Strukturprozess, der dazu geführt hat, dass Wanne-Eickel jetzt eine Gemeinde ist, die die Zukunft aktiv angeht. Das waren vorher fünf Gemeinden. Herne und Castrop-Rauxel sind noch auf dem Weg. Da die Kirchensteuer nicht so dramatisch eingebrochen ist wie erwartet, haben wir die Zeit gehabt, gut zu planen. Das wird aber auch benötigt. Die akuten Schritte zu gehen, ist ganz schwierig vor Ort.
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Welche Schritte sind das?
Der erste Schritt ist es, in eine Teamsituation zu gehen. Dass nicht mehr alle alles machen, dass man kooperiert und guckt, was können wir gut und was können die anderen gut. Der zweite ist, dass wir über weitere Gebäudereduzierungen entscheiden müssen. Das sind konkrete Schritte, vor denen man sich vor Ort scheut.
Das Dilemma ist ja wohl, einerseits diese unangenehmen Schritte zu gehen, und andererseits die Gemeindeglieder, die ohnehin immer weniger werden, nicht zu verlieren.
Der Spagat kann gelingen, wenn man größer denkt. Wenn man sich verändert, gibt es auch neue Möglichkeiten und neue Chancen. Die werden oft nicht so gesehen. Ich entdecke das jetzt in Wanne-Eickel, die sagen jetzt: Es ist hilfreich. Wir schaffen jetzt eine gewisse Angebotsvielfalt, die vorher gar nicht so da gewesen wäre, wenn jeder nur auf sich geschaut hätte.
Welche Rolle spielen junge Leute dabei?
Ich bin immer froh und dankbar, wenn es junge Pfarrkolleginnen und -kollegen gibt, weil die doch anders in die Zukunft von Kirche schauen. Die haben schon vor Augen, dass Kirche sich in den nächsten Jahren anders konzipieren und darstellen muss. Und da ist die jüngere Generation, die in den Gemeinden aufwächst. Wir brauchen die Jugend, denen Kirche wichtig ist, um weiter an der Generation dran zu bleiben.
Und die Älteren?
Wir wollen denen, die sich an Kirche gewöhnt haben, das natürlich lassen. Frauenhilfen etwa sollen nicht einfach aufgehoben werden. Aber das ist etwas, was sich in den kommenden Jahren verändern muss.
Stichwort „Junge Pfarrer“: Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die „Besorgten Bürger“ haben Kornelius Heering, Melanie Jansen und Katja Lueg von der Kreuzkirche zusammen mit der katholischen Kirche vor Ort viel Resonanz gefunden mit ihrem Engagement. Wie stehen Sie dazu?
Viele sagen heute, Kirche ist irgendwie von gestern. Viele treten aus oder kommen gar nicht erst rein. Aber da, wo wir uns auf die Menschen zubewegen und ihnen zuhören, da kommt Kirche weiter vor. Wo es um die „Besorgten Bürger“ geht, haben wir deutlich etwas zu sagen. Dass es nämlich aufgrund der Menschenwürde nicht sein kann, wie rechtes Gedankengut propagiert wird. Da war ich dankbar für das Pfarrteam, das direkt reagiert hat mit den Friedensgebeten. Es waren Menschen da, manchmal 200. Da, wo wir das Thema erfühlen und wahrnehmen, ist Kirche gefragt. Da hat Kirche eine deutliche Botschaft, die mitten in der Stadt zu Gehör gebracht wurde.
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Gesellschaftliches Engagement in der Kirche mit Schuldnerberatung , Flüchtlingsberatung und vielem mehr: Wird das in schwieriger Finanzlage als erstes geopfert?
Ich fange mal mit Jesus an. Jesus hat den Menschen Hoffnung und Perspektive aufgezeigt in seiner Botschaft, und er hat all denen, die ihm nachfolgen, mitgegeben, auch für andere da zu sein und sich um die zu kümmern und auch denen Hoffnung und Perspektive zu geben. Wichtig sind mir die Gottesdienste, aber auch, dass sich das, was Jesus gesagt hat, darstellt in der Weise, wie wir uns um Menschen kümmern. Gerade im Beratungsbereich - Schuldnerberatung, Arbeitslosenberatung, Flüchtlingsberatung ... Das ist die andere Seite der Münze, die ich für unabdingbar halte.
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Und wenn die Kirchensteuern weiter zurückgehen?
Da muss man gucken, wo man wie verantwortungsvoll kürzen kann. Mein Anliegen ist es, dass sich dieses Engagement für die Menschen, die sich nicht mehr selbst helfen können, die verzweifeln und hoffnungslos geworden sind, durchhalten lässt. Da ist eine große Bereitschaft innerhalb unseres Kirchenkreises und unserer Synode da. Das ist eine sehr verantwortliche Sache, miteinander zu ringen, was sich durchhalten lässt und was nicht. Das ist sicherlich für meine Nachfolgerin eine große Aufgabe.
Entpflichtung am 5. Dezember
Reiner Rimkus’ Entpflichtung und die Amtseinführung seiner Nachfolgerin finden im Gottesdienst mit Präses Annette Kurschus am 5. Dezember in der Dreifaltigkeitskirche statt, wegen Corona nur mit geladenen Gästen.
Reiner Rimkus wird bis zu dem Eintritt in den Vorruhestand im Sommer 2021 noch für das Institut für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste der evangelischen Kirche in Dortmund tätig sein.
Die Familie lebt weiter in Herne-Horsthausen .
Anknüpfend an die knapper werdenden Finanzen: Es gibt ja Stimmen, die sagen, die Trägeranteile der kirchlichen Kitas sind zu hoch …
Die Kirchen haben, als das neue Kinderbildungsgesetz (Kibiz) in die Diskussion ging, deutlich angemerkt, dass wir eine Systemveränderung brauchen, damit das für kirchliche Träger bezahlbar bleibt. Diese ist nicht gekommen. Wir sind in finanzieller Bredouille, weil das Jahr um Jahr teurer geworden ist und auch für das neue Haushaltsjahr noch mal zusätzliche 300.000 Euro kosten wird. Eigentlich haben wir eine Deckelung verabredet. Da liegen wir schon deutlich drüber. Wir sind gerade mit der Stadt Herne in konstruktiven Gesprächen, wie man die Situation gut lösen kann, damit die kirchlichen Träger das, was ihnen eine Herzensangelegenheit ist, die Arbeit mit Kindern, weiter in Trägervielfalt voran bringen können.
Zum Abschluss noch einmal Corona. Die Pandemie hat vieles verändert. Wird davon etwas hängen bleiben?
Absolut. Wir haben einen gewissen digitalen Schub innerhalb unserer Landeskirche erlebt, hervorgerufen durch diese notvolle Pandemie. Einige Erfahrungen waren sehr hilfreich, so dass ich mir gut vorstellen kann, dass manche Angebote bleiben werden. Wir wollen natürlich wieder dringend zurück zu großen und vollen Gottesdiensten mit Gesang und Chor, davon lebt Kirche. Viele andere Dinge aber, wie Videokonferenzen, werden sicher bleiben. Und manche Streaming-Angebote, die von Menschen aufgerufen worden sind, die sonst selten in die Kirche gehen, wollen wir natürlich auch lebendig erhalten.