Herne. . Das ist einmalig: In einem gemeinsamen Positionspapier wendet sich der zuständige Herner Ausschuss ans Land – mit deutlicher Kritik am KiBiz.

Das ist ein in Herne bislang einmaliger Schritt: In einem einstimmig verabschiedeten Positionspapier wenden sich die im Ausschuss für Kinder, Jugend, Familie vertretenen Fraktionen, die Arbeitsgemeinschaften der Wohlfahrtsverbände der Stadt Herne und der Kindertageseinrichtungen, der Jugendamtselternbeirat und die Herner Tageseltern an das NRW-Ministerium für Kinder, Jugend, Familie und die Fraktionen des Landtages. Die Herner wollen damit ihre Sicht auf die Reform des Kinderbildungsgesetzes (KiBiZ) klar machen.

950 neue Kita-Plätze bis 2021

Das kommt nicht von ungefähr: In Herne müssen nach derzeitigem Stand bis 2021 insgesamt 950 neue Kita-Plätze für Kinder unter und über drei Jahren geschaffen werden – was mit großen finanziellen Anstrengungen aller Träger verbunden ist. Laut Berechnung der Stadt belaufen sich die Zusatzbelastungen alleine für die Kommune auf 33,3 Millionen Euro (14,1 Millionen investiv, 19,2 Millionen konsumtiv). Sowohl die Stadt als auch die Freien Träger befürchten allein vor diesem Hintergrund, dass die vom Land angekündigten zusätzlichen 750 Millionen Euro für ganz NRW bei weitem nicht ausreichen. Die angekündigte „Reform“ des Kibiz bleibe weit hinter den Erwartungen an eine grundlegende Reform zurück, heißt es in dem Positionspapier. Es handele sich nicht um eine umfassende Reform, die verbesserte Strukturen und damit Qualitätsverbesserungen schaffe.

Träger sind enttäuscht

Dezernentin Gudrun Thierhoff fand klare Worte: „Die Auskömmlichkeit der Finanzierung und die Qualitätssicherung sind absolut nicht gewährleistet“, betonte sie. Dies sei einhellige Meinung aller Akteure, die in Herne im Kita-Bereich unterwegs sind.

Noch deutlicher wurden Elisabeth Weyen, Geschäftsführerin der Kindergartengemeinschaft des evangelischen Kirchenkreises Herne, und Dekanatsreferent Heinz Otlips im Gespräch mit der WAZ. Neben der Stadt mit 19 Kitas sind die evangelische Kirche mit 18 und die katholische Kirche mit 17 Kitas die größten Träger von Kindertagesstätten in Herne. „Wir hatten wirklich auf die im Wahlkampf und auch danach noch groß angekündigte Kibiz-Reform gebaut“, sagen Weyen und Otlips, „und jetzt kommt wieder nichts“, verhehlen sie ihre Enttäuschung nicht.

17 verschiedene Pauschalen

Es gebe 17 verschiedene Kibiz-Pauschalen, aus denen die Kitas finanziert werden müssen. Dazu zählten allein die neun verschiedenen Betreuungsdauern, Pauschalen für Sprachförderung, für Kinder mit Behinderungen und vieles mehr, listet Elisabeth Weyen auf. Das alles müsse entsprechend abgerechnet werden. Hinzu kämen die deutlich gestiegenen Personalkosten (die Kirchen zahlen Tarife, die an den öffentlichen Dienst angelehnt sind). „In den vergangenen beiden Jahren sind wir nur durch zwei Rettungspakete mit dem Geld ausgekommen“, sagt sie.

Kosten enorm gestiegen

Ein weiteres Problem seien die enorm gestiegenen Sachkosten (wie für Reinigung, Fortbildung, Spielmaterial, PC, Strom, Wasser, Heizung, Versicherungen) und die Verwaltungskosten: „Wir dürfen nur zwei Prozent davon abrechnen, liegen aber bei fünf bis sechs Prozent“, sagt Elisabeth Weyen. Das sei bei der katholischen Kirche nicht anders, bestätigt Otlips. Unter dem Strich, so Elisabeth Weyen, zahle der evangelische Kirchenkreis jährlich für die Kitas einen Trägeranteil von einer Million Euro – plus 500.000 Euro für die zusätzlich anfallenden Kosten.

Wegen der anderen Organisationsstruktur bei der katholischen Kirche kann Heinz Otlips keine konkreten Zahlen nennen. „Bei uns wird sich das aber nicht großartig unterscheiden“, ist er sicher. Zurzeit zahle die Stadt auch noch als freiwillige Leistung rund 1,6 Millionen Euro an die Freien Träger. Als Stärkungspaktkommune dürfe sie das künftig wohl nicht mehr: „Dann wird es noch schwieriger.“ Wenn sich die finanzielle Lage auf Dauer weiter so darstelle, „müssen wir über Schließungen nachdenken“, macht Otlips klar.

Awo gilt als „armer Träger“

Im Gegensatz zu katholischer und evangelischer Kirche gelten Elterninitiative und Vereine als „Arme Träger“ – sie verfügen über keine Einnahmen wie die Kirchen mit der Kirchensteuer. Das gilt beispielsweise auch für die Arbeiterwohlfahrt (Awo), die in Herne und Bochum 30 Kitas unterhält – und aktuell zwei neue in Herne plant: Am Katzenbuckel in Sodingen und an der Karlstraße in Wanne. Wie passt das zusammen?

Probleme ähneln sich

Auf dem Gelände der ehemaligen Jugendverkehrsschule an der Karlstraße soll eine neue Kita entstehen, die die Awo betreibt.
Auf dem Gelände der ehemaligen Jugendverkehrsschule an der Karlstraße soll eine neue Kita entstehen, die die Awo betreibt. © Hänisch, Archiv

„Das geht nur durch Quersubventionierungen aus anderen Bereichen, insbesondere über unseren gewerblichen Bereich“, sagt Ernst Steinbach, Geschäftsführer der Awo Unterbezirk Ruhr-Mitte. Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände in der Stadt Herne hat er für die Awo das vom Ausschuss für Kinder, Jugend, Familie verabschiedete Positionspapier zum neuen KiBiz ebenfalls unterschrieben. „Wir haben der Stadt Herne zugesichert, uns an der Aufgabe, die Kita-Betreuung auszubauen, zu beteiligen“, sagte er auf Anfrage der WAZ. „Wir planen also erst mal weiter.“ Sollte sich jedoch zeigen, dass die finanziellen Kapazitäten nicht ausreichen, müsse man irgendwann die Reißleine ziehen und die Planungen einstellen.

Land soll mit Trägern reden

Grundsätzlich seien auch bei der Awo die Probleme keinen anderen als bei den kirchlichen Trägern: Sach-, Personal- und Verwaltungskosten stiegen erheblich und erforderten mittlere sechsstellige Summen an Eigenmitteln. Steinbach kritisiert, dass weder die Träger der Freien Wohlfahrtpflege noch die öffentlichen Träger in die Planung für die KiBiz-Reform eingebunden waren: „Der Dialog ist abgebrochen, da gibt es keine Diskussion auf Augenhöhe“. Er hält es deshalb für unbedingt erforderlich, dass Vertreter der Träger und des Landes sich zusammensetzen und ins Gespräch kommen. „Insbesondere für die klammen Ruhrgebietskommunen ist das nötig.“