Herne. Mit 19 Jahren ist Justus Lichau in den Rat der Stadt gewählt worden. Wie der Grüne politisch tickt und welche Herner Orte ihm wichtig sind.
Den inoffiziellen Titel „jüngster Herner Stadtverordneter aller Zeiten“ hat der 19-jährige Justus Lichau bei der Kommunalwahl knapp verpasst - war Maximilian Krupp von der Alternativen Liste bei seiner Wahl 2004 doch erst 18 Jahre jung. Der künftige Grünen-Stadtverordnete könnte aber auch ohne diesen Status in den nächsten fünf Jahren im Rat der Stadt von sich reden machen und vielleicht sogar für einen neuen Superlativ sorgen. Zunächst hat der Polit-Neuling aber mal mit der WAZ vier Herner Orte besucht, die ihm besonders wichtig sind.
Das Grünen-Zentrum
Bingo! Als 100. Mitglied ist Lichau nach dem Triumph der Grünen bei der Europawahl im Frühjahr 2019 in die Partei eingetreten. „Ich weiß selbst nicht, warum das so lange gedauert hat“, sagt der Holsterhauser. An den Inhalten könne es nicht gelegen haben, denn: der Partei habe er schon lange nahe gestanden.
Danach ging alles - keine Seltenheit bei den Grünen - sehr schnell. Zunächst war er an der Wiederbelegung der Grünen Jugend beteiligt. Kein Jahr später war er für den Rat nominiert. Und am 13. September schaffte er über Listenplatz 8 locker den Sprung ins städtische Parlament. Und wenn ihm vor eineinhalb Jahren jemand diese Blitzkarriere prophezeit hätte? „Dann hätte ich gesagt: Leg dich wieder hin und träum weiter.“
Der Robert-Brauner-Platz
Positive Erinnerungen und auch ein wenig Stolz verbindet Justus Lichau mit dem Ort, an dem das „Bündnis Herne“ im vergangenen Jahr zahlreiche Kundgebungen gegen Rechtsextremisten, Hooligans und Wutbürger - auch berüchtigt als „besorgte Bürger“ - durchgeführt hat. Stolz deshalb, weil es Herne dank des breiten gesellschaftlichen Bündnisses im Gegensatz zu anderen Städten schließlich gelungen sei, die Marschierer zurückzudrängen, sagt Lichau.
Der rechten AfD will er im Rat mit seiner Fraktion ebenfalls die Stirn bieten. Und ein Thema platzieren, das ihm schon länger am Herzen liegt: Herne soll - wie bereits 193 andere Kommunen in Deutschland - ein „sicherer Hafen“ werden. Bei der Unterstützung dieser Aktion gehe es nicht nur um die Aufnahme von Flüchtlingen, betont er, sondern auch um eine Verbesserung der Integrations- und Bleibeperspektiven vor Ort sowie um ein Zeichen gegenüber Bund und Land. Weil ihm dieses und andere soziale Themen wie zum Beispiel Kinderarmut besonders am Herzen liegen, will er für die Grünen-Fraktion künftig im Sozialausschuss seine politischen Schwerpunkte setzen.
Das Pestalozzi-Gymnasium
Auch am Pestalozzi-Gymnasium („ich bin hier gerne zur Schule gegangen“) begegnete ihm das Thema „Flucht“, und zwar auf eine sehr unmittelbare Art und Weise. In Freistunden engagierte sich Justus Lichau in den sogenannten Willkommensklassen, in denen junge Geflüchtete bis zu zwei Jahre lang auf den Wechsel in reguläre Klassen vorbereitet werden.
Nach dem (glatten Einser-)Abitur am Pestalozzi nahm er 2018 an der Bochum Ruhr-Uni ein Jura-Studium auf. „Gerechtigkeit ist mir wichtig“, sagt Lichau. Er könne sich vorstellen, nach dem Abschluss als Jurist zum Beispiel für eine Nicht-Regierungsorganisation (NGO) wie beispielsweise Greenpeace zu arbeiten. Politik als Beruf will er für sich - Stand heute - aber zumindest nicht komplett ausschließen: „Das macht mir superviel Spaß.“
Die Flottmann-Hallen
Mit dem Kulturzentrum im Herner Süden verbinden ihn vor allem zwei Auftritte beim Jugendkulturwettbewerb „Herbert“. In der Sparte „Poetry Slam“ lief sich Justus Lichau 2017 zunächst noch warm, um dann 2018 in dem Dichterwettstreit mit „Amir“, einem Gedicht über einen Flüchtlingsjungen und die Seuche des Rassismus, einen zweiten Platz zu erreichen.
Nein, gedruckt oder online gebe es den Text nicht, sagt er auf Nachfrage und macht ein Angebot, dass man nicht ablehnen kann. Vor den Flottmann-Hallen trägt Justus Lichau für den WAZ-Redakteur mal eben die 124 Verse seines fulminanten Polit-Poems ohne Manuskript und aus dem Gedächtnis vor: von „Mit sieben Jahren war Amir ein Kind wie du und ich ...“ bis zu „… dann hat der Text sein Werk getan“. Applaus, Applaus.
Epilog
Und wie war das mit dem Superlativ? So: Vielleicht geht Justus Lichau als jener Stadtverordneter in die Geschichte Hernes ein, der Elemente des Poetry Slams in den Rat eingeführt hat. Grünen-Fraktions-Chef Thomas Reinke habe ihm gesagt, erzählt er, dass er für den Fall seiner Wahl eigentlich eine Rede als Gedicht vortragen müsse.Weitere Berichte aus Herne und Wanne-Eickel finden Sie hier.