Herne. Am Dienstag fuhren auch in Herne weder Busse noch Straßen- und U-Bahn. Doch die meisten Herner hatten sich auf den Warnstreik vorbereitet.

„Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will.“ Diese Zeilen sind über 150 Jahre alt, doch manchmal bekommen sie frische Aktualität. Am Dienstag zum Beispiel. Alle Räder von Bussen und Bahnen im ÖPNV standen still -Warnstreik. Ein Situationsbericht.

In manchen Momenten fragt man sich dann doch, welche Informationskanäle Menschen für ihr tägliches Leben - oder eben nicht. So sitzt ein junger Mann am Morgen gegen 9.35 Uhr am Herner Busbahnhof auf einer Bank. Auf die Frage, ob er auf den Bus wartet, antwortet er mit Ja. Dass gar keine fahren und Warnstreik ist, überrascht ihn. Seine Ahnungslosigkeit will der junge Mann damit erklären, dass er aus Essen komme… Dass keine Busse fahren, bedeutet für ihn, dass er zu Fuß zu seinem Arbeitgeber im Gewerbegebiet Friedrich der Große laufen muss. Sauer ist er deshalb nicht, der Warnstreik sei okay. Jeder solle die Chance haben, sich für seine eigenen Interessen einzusetzen.

Die Busbahnhöfe in Wanne-Eickel und Herne sind meist menschenleer

Der junge Mann - der wohl angesichts seiner offensichtlichen Uninformiertheit seinen Namen nicht preisgeben möchte - ist an diesem Morgen eine der ganz wenigen Ausnahmen. Die Busbahnhöfe in Wanne-Eickel und Herne sind menschenleer. Die allermeisten Fahrgäste haben sich darauf eingestellt, dass weder Bus, noch Straßen- und U-Bahn fahren und sie andere Mittel finden müssen, um von A nach B zu kommen.

Alle HCR-Busse blieben am Dienstag im HCR-Depot in Börnig.
Alle HCR-Busse blieben am Dienstag im HCR-Depot in Börnig. © Tobias Bolsmann

Wie Peter Wehde. Er steht an der Straßenbahnhaltestelle vor dem Hauptbahnhof Wanne-Eickel. Allerdings wartet er nicht auf die 306, sondern auf einen ehemaligen Arbeitskollegen, der ihn zu seinem Job bringt. Wehde kommt aus Gelsenkirchen und muss nach Herten. Der Schnellbus 27 fährt nicht. Ohne seinen Arbeitskollegen müsste er einen Tag frei nehmen, erzählt Wehde. Und Homeoffice als Alternative? Kommt für ihn nicht in Frage, er arbeitet im pädagogischen Bereich mit Menschen. Wie er am Abend nach Hause kommt, weiß Wehde noch nicht, aber ein Kollege werde ihn wohl mitnehmen.

Alle Fahrer der HCR sind im Warnstreik

Am Bahnhofseingang steht Olaf Inhetveen. Er kommt von der Nachtschicht beim Logistiker Duvenbeck in Unser Fritz. Er sei die Strecke zum Hauptbahnhof gelaufen, eine halbe Stunde habe er benötigt. Wenn er mit dem Zug in Duisburg angekommen sei, werde er auch nach Hause laufen. Er betrachtet das als kleine Fitness-Einheit. Und es sei ja nur ein Tag.

Wer es sich leisten kann oder dringend einen Termin wahrnehmen muss, nimmt ein Taxi. Ein Fahrer in Wanne berichtet, dass mehr zu tun sei als sonst in den Morgenstunden. Nachdem er zur nächsten Tour aufgebrochen ist, ist der Taxiparkplatz vor dem Hauptbahnhof komplett leer.

Private Busunternehmen sind keine Alternative

Aber müssen überhaupt alle Räder still stehen? Es fährt nämlich auch - neben den 69 HCR-Bussen - ein privates Unternehmen im Auftrag der HCR. Allerdings nur mit fünf Bussen. Diese am Streiktag auf eine oder zwei Strecken zu schicken, sei nicht praktikabel, heißt es bei der HCR.

Ebenso unpraktikabel ist es, kurzfristig private Busunternehmen anzufragen. Die Fahrer kennen die Strecken der Linien nicht, die Busse sind technisch gar nicht für einen Linienbetrieb ausgestattet.

Komplett voll ist dagegen die Fahrzeughalle der HCR am Betriebshof in Börnig. Vor dem Tor haben sich einige der Streikenden versammelt. Die Streikbeteiligung liege bei 100 Prozent, sagt der HCR-Betriebsratsvorsitzende Özcan Günay im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Er hat selbstverständlich die Diskussion um die Notwenigkeit des Warnstreiks verfolgt. Die sei der aktuellen Situation rund um die Coronakrise geschuldet, doch den Fahrern gehe es um Entwicklungen, die sich in den vergangenen 20 Jahren vollzogen hätten, sagt er.

Die Arbeit sei deutlich verdichtet worden, die Fahrer hätten kaum noch Zeit, einmal durchzuatmen und zu entspannen. Viele Dinge hätten sich zum Schlechteren gewandelt. Dazu gehöre auch die Tatsache, dass die Fahrer in insgesamt drei verschiedene Lohngruppen einsortiert seien, obwohl sie die gleiche Arbeit machten. All dies seien Gründe für den Arbeitskampf.

Auch interessant

Weitere Warnstreikmaßnahmen schon am 1. Oktober

Bereits am Donnerstag, 1. Oktober, wird die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ihre Warnstreik fortsetzen.

Sollte der Dienstbetrieb aufgrund des Streiks nicht aufrechterhalten werden können, seien Schließungen von städtischen Dienststellen möglich, teilt die Stadt mit. Betroffen sind auch alle 19 Kindertageseinrichtungen der Stadt. Da eine Notbetreuung erst bei mehrtägigen Streiks eingerichtet wird, sollten sich Eltern und Erziehungsberechtigte daher darauf einstellen, dass an diesem Tag die Türen geschlossen bleiben.

Geplante Behördenbesuche verlegen

Die Stadt Herne bittet die Bürgerinnen und Bürger darum, geplante Behördenbesuche auf andere Tage zu verlegen. Auch bereits mit der Stadt Herne vereinbarte Termine könnten von den Einschränkungen betroffen sein.

Aufgrund des Warnstreiks kommt es auch im Rathaus Wanne zu erheblichen Einschränkungen. Diese führen dazu, dass ein Dienstbetrieb im Bürgeramt/Einwohnerwesen an diesem Tag nicht möglich ist. Alle für das Einwohnerwesen Wanne gebuchten Termine können zur gleichen Zeit im Bürgeramt an der Bahnhofstraße 38 in Herne-Mitte wahrgenommen werden. Bürgerinnen und Bürger, die lediglich eine Meldebescheinigung, die Steuer-ID oder eine Lebensbescheinigung benötigen, sollten auf das Online-Formular auf der Internetseite des Einwohnerwesens (https://www.herne.de/Rathaus/Buergerservice/Dienstleistungen/Dienstleistungen-Detailansicht_13701.html) zurückgreifen und von einer persönlichen Vorsprache absehen.

Auch das Straßenverkehrsamt muss am 1. Oktober wegen des Warnstreiks geschlossen werden. Bereits vereinbarte Termine konnten weitestgehend verschoben werden. Leider konnten allerdings wegen fehlender Kontaktdaten nicht alle Bürger vorab informiert werden.

Ausstellungseröffnung zu 30 Jahren Wiedervereinigung fällt aus

Auswirkungen hat der Warnstreik auch auf die Volkshochschule der Stadt Herne. Am 1. Oktober können keine Veranstaltungen der VHS im Kulturzentrum stattfinden. Damit fällt auch die große Eröffnung der Ausstellung zu 30 Jahren Wiedervereinigung Deutschlands aus. Die Ausstellung selbst ist im Foyer des Kulturzentrums ab Freitag, 2. Oktober, zu den üblichen Öffnungszeiten bis in den Dezember hinein zu sehen. Die VHS-Kurse im Haus am Grünen Ring in Wanne finden am 1. Oktober statt. Auch die Stadtbibliothek Herne-Mitte hat am Donnerstag geschlossen. Die Junior-Fahrbibliothek wird nicht in Sodingen Station machen.