Herne. Birgt das neue Pflaster auf dem Herner Europaplatz durch den Einsatz eines krebserregenden Stoffes Gesundheitsrisiken? Worum es geht.

Ende Juli hat die Stadt den Umbau des Europaplatzes in Herne-Mitte abgeschlossen und voller Stolz die neue Pflasterung hervorgehoben: Die Steine bauen durch den chemischen Zusatz Titandioxid an der Oberfläche schädliche Stickoxide in der Luft ab bzw. wandeln sie um; Photokatalyse nennt sich dieses Verfahren. Nun sieht sich die Verwaltung allerdings mit der Frage konfrontiert, ob von diesem Pflaster gesundheitliche Gefahren ausgehen könnten und ob es wieder entfernt werden müsste.

Anfrage für den Umweltausschuss

Gerhard Kalus, Mitglied der Grünen im Umweltausschuss.
Gerhard Kalus, Mitglied der Grünen im Umweltausschuss. © Grüne

Die Grünen haben eine entsprechende Anfrage für die nächste Sitzung des Umweltausschusses am 23. September gestellt. Die Fraktion weist darauf hin, dass Titandioxid in Pulverform von der Europäischen Union bereits 2019 als potenziell krebserregend eingestuft worden sei. „Dies hat auch Folgen für die Verwendung von photokatalytischen Steinen, weil der Abrieb das potenzielle Krebsrisiko darstellt“, so Gerhard Kalus, Mitglied der Grünen im Umweltausschuss.

Betroffene Wirtschaftsverbände - Titandioxid wird unter anderem in Farben und Lacken sowie in löslicher Form auch in Lebensmitteln und in der Zahnpasta eingesetzt - protestierten zunächst gegen den EU-Beschluss. Die Steag bzw. deren Tochter Power Minerals, die den selbst entwickelten, mit Titandioxid versetzten Betonzusatz Photoment auch für die Steine auf dem Europaplatz lieferte, hat jedoch inzwischen reagiert: Die Produktion in diesem Bereich soll komplett eingestellt werden.

Stadt: Keine Freisetzung von Partikeln

Was sagt die Stadt? Eine gesundheitliche Gefahr sei durch dieses Pflaster nicht zu befürchten, erklärt Stadtsprecherin Anja Gladisch auf Anfrage. Titandioxid sei von der EU zwar als vermutlich krebserregend beim Einatmen eingestuft worden. Diese vermutete Gefahr könne aber nur auftreten, wenn Stäube - wie Titandioxidpulver - in extrem hoher Konzentrationen über einen längeren Zeitraum eingeatmet würden. Aus Sicht der Verwaltung sei aber nicht zu befürchten, dass es auf dem Europaplatz „zu einer Freisetzung von einatembaren Partikeln kommt“.

Auch bei weiteren Baumaßnahmen in Herne habe die Stad Titandioxid zur Senkung von Stickoxidwerten eingesetzt, so Gladisch. So sei beispielsweise bei Straßenerneuerungen an der Rottbruch-, Bismarck-, Haupt- und Bahnhofstraße Abstreugranulat mit diesem chemischen Stoff verwendet worden. Hier bestünden aber ebenfalls keine gesundheitlichen Risiken. Auch bei anstehenden Arbeiten zum Beispiel auf der Rathausstraße und der Bochumer Straße solle dieses Granulat zum Einsatz kommen. Pflasterarbeiten mit Titandioxid seien derzeit nicht geplant, so Gladisch.

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Von Lars-Oliver Christoph und Ulf Meinke

Die Steag ist ebenfalls davon überzeugt, dass ihr Produkt Photoment keine gesundheitlichen Gefahren birgt und begründet dies ähnlich wie die Stadt. Die Produktion werde deshalb eingestellt, weil sie das Produkt beim Verkauf mit einem Warnhinweis hätten versehen müssen, um auf potenzielle Gefahren hinzuweisen, so ein Konzern-Sprecher. Damit wäre eine Vermarktung kaum möglich gewesen.

Diskussion in Mainz bereits 2018

Zurück zum Europaplatz: Dort sowie auf angrenzenden Straßen seien insgesamt etwa 5500 Quadratmeter Pflastersteine mit Titandioxid verlegt worden, berichtet Stadtsprecherin Gladisch. Zum Zeitpunkt der Beauftragung der Baufirma im Sommer 2018 sei der Stadt der Stand des Verfahrens auf EU-Ebene nicht bekannt gewesen. Und: Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung sei damals nicht eingeholt worden.

Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz hat sich übrigens bereits 2018 aufgrund der Signale aus Brüssel mit Titandioxid in Pflastersteinen auseinandergesetzt. Der Tenor war damals ähnlich wie heute in Herne: Wer über den mit den entsprechenden Steinen gepflasterten Platz gehe oder dort wohne, habe nichts zu befürchten, so beschrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Position der Mainzer Verwaltung.

Keine Verbrennung im Kraftwerk

Die Steag-Tochter Power Minerals hat das schadstoffvernichtende Pflaster u.a. mit Kronos Titan aus Leverkusen entwickelt. Dieses Unternehmen hat in Herne vor Jahren Schlagzeilen gemacht - auch damals spielte Titandioxid eine Rolle.

Die Stadt, die Herner Politik und vor allem der BUND hatten 2009 gegen die Verbrennung des Stoffes Kronocarb im Eon-Kraftwerk Shamrock in Wanne-Eickel protestiert. Kronocarb war ein „Nebenprodukt” aus der Titandioxid-Herstellung durch Kronos Titan; es enthielt unter anderem auch Petrolkoks.

Wegen seiner feinsten Stäube galt das Material für die beteiligten Bezirksregierungen als „Fall für die Abfallverbrennungsanlage”. Für Shamrock hingegen lag eine Genehmigung für die Verfeuerung als Brennstoff in dem Kraftwerk vor. Dem schob aber das Verwaltungsgericht in Köln einen Riegel vor, indem es eine Klage von Kronos Titan gegen die Bezirksregierung abwies.