Herne. Andrea Leyk, Leiterin der Herner Schuldnerberatung, fürchtet, dass als Folge der Coronakrise neue Klienten kommen werden. Das ist der Grund.
Andrea Leyk, Leiterin der Herner Schuldnerberatung, fürchtet, dass als Folge der Coronakrise neue Klienten kommen werden. Das sagte sie im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion.
Der Grund: Zahlreiche Menschen, die bislang ganz normal im Berufsleben standen, müssten plötzlich mit Kurzarbeitergeld auskommen, weil im Zuge der Coronakrise die Auftragslage in ihren Unternehmen zusammengebrochen sei. In Herne haben bereits einige Firmen Kurzarbeit angemeldet. Das heißt, dass die Betroffenen deutlich weniger Geld zu Verfügung haben. Kurzarbeiter ohne Kinder erhalten 60 Prozent des letzten Nettogehalts, mit Kindern sind es 67 Prozent. Allerdings würden die Kosten weiterlaufen, so Leyk. Und wenn der Verdienst sowieso schon nicht so üppig war, kann es sehr schnell knapp werden in der Haushaltskasse. Nicht zuletzt deshalb haben in NRW die IG Metall und die Arbeitgeber vereinbart, dass Unternehmen das Kurzarbeitergeld zeitweise auf 80 Prozent aufstocken können. Andrea Leyk gibt den dringenden Rat, auf jeden Fall Miete und Strom weiterzuzahlen. Betroffene könnten sich vorsichtshalber an die Schuldnerberatung wenden.
Die Beratung wird juristisch immer komplexer
Dabei ist das Beratungsteam an der Overwegstraße schon jetzt mehr als ausgelastet. 2019 seien 677 Personen umfassend betreut worden, heißt es im Jahresbericht, der vor wenigen Tagen veröffentlich worden ist. Mehr ginge kaum, so Leyk. Das liege auch daran, dass die Beratungsarbeit gerade juristisch immer komplexer werde.
Sechs Hauptursachen für Überschuldung
Laut Schuldneratlas Deutschland 2019 gibt es sechs Hauptursachen für eine Überschuldung: Arbeitslosigkeit (20,3 Prozent), Erkrankung, Sucht, Unfall (17 Prozent), Trennung, Scheidung, Tod (13,3 Prozent), unwirtschaftliche Haushaltsführung (13,5 Prozent), gescheiterte Selbstständigkeit (8,6 Prozent), längerfristiges Niedrigeinkommen (8,9 Prozent).
Die Herner Schuldnerberatung hat neben der Betreuung der Ratsuchenden im vergangenen Jahr 23 Informations- und Präventionsveranstaltungen mit insgesamt 600 Teilnehmern durchgeführt. Dabei war die Beratungsstelle sowohl in Unternehmen als auch in Schulen zu Gast.
Bei der alljährlichen Weihnachtsaktion hat die Beratungsstelle wieder gepackte Tüten an 60 bedürftige Herner Familien verteilt.
Auch andere Entwicklungen nimmt Leyk wahr. So hätten immer mehr Ratsuchende mit psychischen Problemen zu kämpfen. Und: „In vielen Fällen müssen wir erstmal existenzsichernde Maßnahmen einleiten, bevor wir uns der eigentlichen Schuldenregulierung widmen können.“ Da gehe es darum, dass Menschen nicht ihre Wohnung verlieren oder ihnen nicht der Strom abgestellt wird. Leyk hofft, dass die Stadtwerke während der Coronakrise auf Stromsperren verzichten, das Unternehmen hat sich zu dieser Frage bislang nicht geäußert.
Herner Aufwärtstrend kommt nicht bei allen Personengruppen an
Was auffällt: Trotz des Aufwärtstrends in Herne bleibt die Zahl der Schuldner hoch. Auch Leyk sieht Herne mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und Unternehmensansiedlungen auf dem aufsteigenden Ast, doch es gebe ein Klientel, bei der diese Erfolge eben nicht ankommen. Es gebe Menschen, die keine Chancen hätten, ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen, außerdem existiere immer noch das Vorurteil, dass jemand, der Schulden hat, nicht leistungsfähig ist. Außerdem würden einige hartnäckige Fälle jahrelang in der Statistik auftauchen. Auf der anderen Seite gebe es auch Erfolge bei der Entschuldung.
Ein Blick auf Statistiken: Die größte Gruppe der Klienten ist - wie im Vorjahr - mit unter 10.000 Euro verschuldet: 113 Männer und 117 Frauen; bei 10.000 bis 25.000 Euro sind es 115 Männer und 68 Frauen; knapp ein Drittel der Schuldner hatte zwischen einem und fünf Gläubiger. Das entspricht dem Verhältnis des Vorjahres. Anders als im Vorjahr bilden die Ratsuchenden der 30- bis unter 40-Jährigen mit 30,10 Prozent die größte Gruppe der Klienten. 2018 bildeten die 40- bis unter 50-Jährigen die größte Gruppe der Ratsuchenden. Ledige Ratsuchende waren mit 41,97 Prozent am stärksten vertreten. Hier gab es keine Veränderungen zum Vorjahr.
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Die meisten Ratsuchenden sind auf Arbeitslosengeld II angewiesen
Wie im Vorjahr ist die Mehrheit der Ratsuchenden auf den Bezug von Arbeitslosengeld II - ausschließlich oder ergänzend - angewiesen. In 598 Betreuungsfällen kontaktierte die Schuldnerberatungsstelle mit 8026 Gläubigern. Wie im Vorjahr stammt die größte Gläubigergruppe aus dem Bereich Telekommunikationsunternehmen. Es folgen Inkassounternehmen, Dienstleister, sowie Banken und Sparkassen; die meisten Ratsuchenden kommen aus Herne-Mitte (Postleitzahlenbereich 44623) und Wanne (Postleitzahlenbereich 44649).