Herne. . Ein Jahr nach Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung ärgern sich Herner Betriebe über den hohen Aufwand, um die Richtlinien zu erfüllen.

Der Ärger war vor einem Jahr groß - kurz bevor die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft trat. Viele Unternehmen, Organisationen oder Vereine waren nicht vorbereitet, andere befürchteten unnötigen finanziellen und bürokratischen Aufwand. Die WAZ hat nach einem Jahr nachgefragt, wie die Erfahrungen mit den neuen gesetzlichen Regelungen sind.

Christian Stiebling, Chef des Herner Reifenhändlers, hatte vor einem Jahr sein Urteil gefällt. „Das ist eins der Gesetze, die gerade Mittelständler Geld kosten, ihnen aber nichts bringen.“ Dieses Urteil bekräftigt er und verdeutlicht es mit einem Beispiel:

Christian Stiebling: „Die Abläufe sind bei etlichen Kunden deutlich länger geworden.“
Christian Stiebling: „Die Abläufe sind bei etlichen Kunden deutlich länger geworden.“ © Ralph Bodemer / WAZ FotoPool

Ein Kunde habe seine Sommer- oder Winterreifen bei Stiebling liegen. Die Mitarbeiter stellten vor der Saison fest, dass der Kunde zwei neue Reifen benötige. Stiebling: „Früher hätten wir ihn angerufen oder angemailt. Dies dürfen wir heute nicht mehr. Es sei denn, eine schriftliche Einverständniserklärung des Kunden liegt vor. Nun müssen wir warten, bis der Kunde kommt und den beiden neuen Reifen zustimmt. Dann erst beginnen wir die Reifen zu besorgen und zu montieren.“ Die Prozesse seien bei etlichen Kunden deutlich länger als in der Zeit vor der DSGVO. Die Kosten der Umsetzung beziffert Stiebling auf rund 10 000 Euro, er beschäftigt jetzt einen externen Datenschutzbeauftragten.

Widerspruch zum Ziel der Entbürokratisierung

Wie Stiebling ist Jörg Pieper, Geschäftsführer von Metallbau Pieper, der Meinung, dass die Gesetzgebung für die großen Konzerne gut durchdacht sein mag, die sich aber gar nicht daran hielten. Er selber, so Pieper, habe bei vielen Dingen immer die Frage im Hinterkopf: „Darf ich das?“ Er habe es selbst erlebt, dass eine simple Verwechslung bei einer Mailadresse Ärger auslösen kann. Pieper ärgert sich über den ständigen Aufwand - der seiner Meinung nach in krassem Widerspruch zum viel beschworenen Ziel der Entbürokratisierung steht. Und Pieper hat - wie viele andere - die Erfahrung gemacht, dass die Datenschutzgrundverordnung viele Endkunden gar nicht interessiere. Die entsprechenden Formulare würden oft ungelesen unterschrieben.

Martin Klinger berichtet von Unverständnis bei der Kundschaft.
Martin Klinger berichtet von Unverständnis bei der Kundschaft. © Ralph Bodemer

Martin Klinger, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, berichtet ebenfalls von Unverständnis bei der Kundschaft. Die Betriebe müssten jedesmal erklären, was mit der Datenschutzgrundverordnung gemeint ist. Vieles sei an der Praxis vorbei geregelt.

Auch Norbert Assen, Vorstand der Isap AG, stellt Übertreibungen bei dem Bestimmungen fest, aber er vergleicht die Befürchtungen, die es vor Inkrafttreten gab, mit der Panik vor der Jahrtausendwende, als man sicht nicht sicher was, ob Softwareprogramme den Sprung ins Jahr 2000 schaffen. Assen hatte aus einer internen Isap-Abteilung heraus die Intalogy GmbH gegründet, die unter anderem Hilfe bei der Anpassung an das neue Datenschutzrecht bietet. Der Datenschutzbeauftragte betreue zurzeit 20 Unternehmen und sorge für die korrekte Umsetzung der DSGVO. Deren Einhaltung sei ein fortlaufender Prozess. Das heißt: Unternehmen, Organisationen und Vereine werden auch in Zukunft Aufwand haben.

Norbert Assen: Die Einhaltung der DSGVO ist ein fortlaufender Prozess.
Norbert Assen: Die Einhaltung der DSGVO ist ein fortlaufender Prozess. © Jürgen Theobald

In einer Hinsicht habe er sich allerdings getäuscht, so Assen: Die vorhergesagte Abmahnwelle von findigen Anwälten sei ausgeblieben. Möglicher Grund: Die Juristen müssen sich selbst erst in die Materie einarbeiten, zudem gibt es noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen.

Stadt: Der Aufwand ist erheblich gestiegen

Bernd Schulz ist selbst Datenschutzbeauftragter und hat vor Inkrafttreten der DSGVO im Auftrag der Herner Wirtschaftsförderung lokale Firmen vorbereitet. Sein Fazit nach einem Jahr: Der Dokumentationsaufwand ist noch höher als gedacht. „Man hätte nicht alle Bestimmungen bis auf kleine Betriebe herunterbrechen müssen“, so Schulz. Gerade im Handwerk sei es so, dass die Kunden froh seien, dass eine Dachdecker oder Installateur überhaupt komme. Er glaubt, dass es beim Thema Datenschutz ganz neue Entwicklungen geben werde: „Spannend wird es, wenn die Künstliche Intelligenz ins Spiel kommt.“

Die Stadt weist darauf hin, dass für Behörden durch die Datenschutzgesetze und die besonderen Schweigepflichten im öffentlichen Bereich schon immer ein verschärftes Datenschutzrecht galt. Insgesamt sei der Arbeitsaufwand in den einzelnen Fachbereichen durch das Inkrafttreten der DSGVO aber erheblich gestiegen. „Diese Ausweitung der Transparenzpflichten hat aber nur in geringem Maße dazu geführt, dass die zur Verfügung gestellten Informationen von den Bürgern stärker hinterfragt wurden oder Betroffenenrechte (z.B. auf Auskunft zu den verarbeiteten Daten) stärker in Anspruch genommen wurden“, so die Stadt.

>> WFG BIETET KOSTENLOSES SEMINAR

Die Wirtschaftsförderung Herne bietet am Donnerstag, 23. Mai, von 17 bis 21 Uhr im Innovationszentrum, Westring 303, eine kostenlose Infoveranstaltung zur DSVGO.

Bernd Schulz gibt einen Überblick über die Themen, die aktuell besonders im Fokus stehen, z.B. Prüfungen durch die Aufsichtsbehörden. Anmeldung unter HER 925 100.