Herne. . Zu Jahresbeginn ist der soziale Arbeitsmarkt in Kraft getreten, der Langzeitarbeitslosen neue Chancen eröffnet soll. Vom Glück des neuen Jobs.
„Super, super.“ Silke Corso reichen genau zwei Worte, um ihre berufliche Situation zu beschreiben. Die 47-Jährige gehört zum Team im DRK-Haus am Flottmannpark in Herne-Süd. Sie begrüßt nicht nur Besucher, sie organisiert den Eingang der Post und von Fax-Nachrichten, verteilt Post an die Bewohner oder deren Angehörige oder schreibt Protokolle nach Teamsitzungen. Um Corsos Glücksgefühl richtig einordnen zu können, muss man wissen, dass es auch andere Zeiten gab. Dass es jetzt bei ihr „super“ läuft, dafür ist das Programm „sozialer Arbeitsmarkt“ der Bundesregierung verantwortlich, das zu Jahresbeginn gestartet ist.
Corso ist ausgebildete Zahnarzthelferin, doch sie sei seit 20 Jahren aus dem Beruf erzählt sie im Gespräch mit der WAZ-Redaktion. Stattdessen hat sie in den vergangenen Jahren immer wieder sogenannte Mini-Jobs gemacht, zum Beispiel als Telefonistin, und hat „aufgestockt“. Doch die Mini-Jobs waren selbstverständlich nicht ihr Ziel - allerdings zählt Silke Corso auf dem Arbeitsmarkt zu den Problemgruppen, denn sie ist mit zwei Kindern alleinerziehend. Von 2014 bis 2017 war sie arbeitslos. „Doch ich wollte nicht nur zu Hause sitzen, ich wollte immer einen Job haben“, erzählt sie. Allerdings sah sie mit der Zeit ihre Chancen schwinden. Sie fühlte sich wertlos, spricht von den Anfängen einer Depression.
Arbeitgeber zweifeln an Leistungsfähigkeit
Miriam Hettenkofer vom Herner Jobcenter kennt den Grund für Corsos Zweifel: Arbeitgeber bekämen bei Bewerbern, die die 50 Jahre überschritten haben Zweifel an deren Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Hinzu kämen - je nach Qualifikation eines Bewerbers - völlig neue Anforderungen.
Silke Corso hatte Glück, ihre Zweifel zerstreuten sich, als sie über das Programm „soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zum DRK kam. Dort hatte man sofort ein Gespür für die Bedürfnisse der neuen Mitarbeiterin. Man müsse Geduld haben und bei der Einarbeitung behutsam vorgehen, so Sabine Bonk vom DRK. „Es soll kein Druck aufgebaut werden, wo kein Druck hingehört.“
Über die Einarbeitungsphase ist Silke Corso längst hinaus, jetzt richtet sich der Blick in die Zukunft - auf jenen Punkt, wenn die Förderung durch das Jobcenter endet. Da muss ihr nicht bange werden. DRK-Chef Martin Krause sieht sie als Musterbeispiel einer guten Entwicklung, die Chancen auf eine Weiterbeschäftigung stünden sehr gut.
Drei Lebensläufe, die in der Sackgasse endeten
Der soziale Arbeitsmarkt hat auch Sebastian Block (30), Anke Vandersee (44) und Ulrike Sommer (54) eine Tür zu neuer Beschäftigung geöffnet. Man kann diese Tür sogar genau lokalisieren. Sie befindet sich am Westring - der Eingang von kauf.net, dem Sozialkaufhaus der Diakonie.
Alle drei blicken auf berufliche Lebensläufe, die irgendwann in der Sackgasse endeten und mit Hilfe des sozialen Arbeitsmarkt in die Spur zurückfinden könnten. Dabei fragt man sich bei Sebastian Block, warum er Anschub vom sozialen Arbeitsmarkt benötigt. Er hat eine Ausbildung als Zimmermann und den Gesellenbrief in der Tasche. Das Handwerk sucht doch dringend Fachkräfte, aber um Block machen die Betriebe einen Bogen? Die Antwort ist simpel. Er besitzt keinen Führerschein - für Betriebe bei der Auswahl ein K.o.-Kriterium. Im Kaufnet baut er Möbel auf und ab und liefert sie zu Kunden aus. Die Arbeitslosigkeit hatte offenbar erste Spuren hinterlassen. „Er habe die Arbeit nicht vermisst“, gesteht er, doch seit er bei Kaufnet ist, möchte er nicht mehr aufhören.
Langzeitarbeitslose sollen Sozialkaufhäuser führen
Für Anke Vandersee war es dagegen „nicht schön zu Hause“, aber es habe keine andere Möglichkeit gegeben. 24 Jahre war die Fleischfachverkäuferin in ihrem Beruf tätig, doch wegen des behinderten Kindes musste sei irgendwann aufhören. Dass sie bald 30 Stunden in der Woche bei Kaufnet, Kunden beraten kann, sei für sie ein Glücksfall.
Auch Ulrike Sommer hat eine Ausbildung - als Malerin und Lackiererin. Doch weil die Lehre bereits 1984 war und sie lange nicht in ihrem Beruf gearbeitet hat, gilt sie inzwischen als ungelernt. Es folgten Jobs in verschiedenen Bereichen, doch irgendwann blieben auch diese Jobs aus. „Man sitzt zu Hause und kann sich nichts leisten“, sagt sie. Daraus spricht Bitterkeit und Desillusion. Doch mit dem Job bei Kaufnet hat sie neuen Mut geschöpft.
Zumal auch die Diakonie-Prokurist Christoph Schmidt Hoffnung auf Weiterbeschäftigung nach Auslaufen der Förderung durch das Jobcenter macht. Ziel sei, alle Sozialkaufhäuser mit ehemals Langzeitarbeitslosen zu führen.
>> DER SOZIALE ARBEITSMARKT
Der soziale Arbeitsmarkt ist eingeführt worden, weil immer noch knapp 800.000 Menschen in Deutschland langzeitarbeitslos sind. Je länger die Suche nach Arbeit erfolglos bleibt, desto schwieriger wird der Weg zurück in Arbeit.
Der Bund fördert Arbeitgeber durch Lohnkostenzuschüsse. Es profitieren Menschen, die älter als 25 sind, mindestens sechs Jahre in den letzten sieben Jahren Arbeitslosengeld II bezogen haben und in dieser Zeit nicht oder nur kurz beschäftigt waren.