Herne. . Die Hernerin Klaudia Scholz arbeitete bei der RAG an einer wichtigen Stelle: in der Telefonzentrale. Ihr Job konnte lebensrettend sein.
Kommunikation – das ist heute die Whatsapp-Gruppe, die in wenigen Minuten auf dem Smartphone eingerichtet ist. Das speichert auch Hunderte Telefonnummern. Wer mag, kann mitten auf der Bahnhofstraße mal eben mit Freunden im nahen und entfernten Ausland telefonieren.
Da lesen sich die Zeilen aus dem Ruhrkohle-Magazin wie aus einem anderen Jahrhundert: „Der Gebrauch des Telefons schließt bei einem eigenen Gespräch das Wählen von Ziffern ein, die zum Erreichen des Gesprächspartners notwendig sind.“ Und wenig später heißt es: „In Herne befindet sich nun eine zentrale Einrichtung für die Wegeschaltung, die auf Grund der Steuerbefehle die gewünschten Zielräume einstellt und das Gespräch dorthin leitet.
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Die Fachleute sprechen von einem zentralen Knotenamt.“ Tatsächlich stammen diese Zeilen aus einem anderen Jahrhundert. Es ist die Beschreibung der zentralen Vermittlungseinrichtung des Ruhrkohle-Telefonnetzes aus dem Jahr 1978. Zu jenen, die vermittelt haben, gehörte Klaudia Scholz.
Die Arbeit lief rund um die Uhr
Dass die Hernerin zur Ruhrkohle kam, war vorbestimmt. Die ganze Familie sei im Bergbau gewesen, erzählt sie. Sie habe sich 1968 mit ihrer Zwillingsschwester bei der Ruhrkohle beworben – und beide hätten sofort anfangen können. In der Lehre habe sie viele Bereiche und Zechen kennengelernt, nach Abschluss der Ausbildung zur Industriekauffrau sei sie gefragt worden, ob sie in der Telefonzentrale aushelfen könne. Man suche jemanden, der sich gut ausdrückt, Englisch spricht und den Fernschreiber bedient. Diese Aushilfe dauerte dann 38 Jahre.
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Sie habe sofort gerne telefoniert, erzählt die 64-Jährige – was vielleicht auch daran lag, dass das Telefonieren in jener Zeit noch den Hauch des Außergewöhnlichen hatte. Die Arbeit in der Telefonzentrale lief rund um die Uhr in der sogenannten Contischicht: sieben Tage Frühschicht, drei Tage frei, sieben Tage Mittagsschicht, drei Tage frei, sieben Tage Nachtschicht. Der Grund: Die Telefonzentrale konnte Leben retten, wenn etwas unter Tage passiert.
Scholz erzählt, dass sie selbst bei Grubenunglücken weinende Frauen am Telefon hatte, als auf Consol fünf Bergleute nicht mehr rausgekommen sind. Doch die Frage, ob der Ehemann unter den Verschütteten ist, habe sie gar nicht beantworten können, sie habe nur weitervermitteln können. Dennoch seien die Gespräche mit den Ehefrauen auch ein wenig Telefonseelsorge gewesen. Grubenunglücke seien echte Bewährungsproben für alle in der Telefonzentrale gewesen. Manchmal seien alle wie versteinert gewesen, und man habe tagelang nicht miteinander gesprochen.
Viele Nummern auswendig gelernt
Jeden Morgen um 6 Uhr mussten sich alle Schachtanlagen per Funk in der Telefonzentrale melden, die in einem historischen Gebäude am Shamrockring untergebracht war. Funk deshalb, weil beim Grubenunglück die Telefone auch kaputt sind. Aus heutiger Sicht könne man sich gar nicht vorstellen, wie wichtig damals eine Telefonzentrale und Funk war.
Deshalb sei der Vorstand sehr darauf bedacht gewesen, dass Scholz und ihre Kollegen gut arbeiten und dass sie in der Nähe des Vorstands waren. Hinzu kam: Da es noch keine Durchwahlen gab, musste aus der Zentrale verbunden werden. Deshalb habe es nie lange läuten dürfen, es hätte ja für den Vorstand sein können. An die Zentralnummer erinnert sich Scholz noch bestens: 02323-150.
Geschah ein Unglück, hatte die Telefonzentrale die Aufgabe, alle möglichen Abteilungen und Bereitschaftsdienste zu alarmieren. Umgekehrt seien unheimlich viele Anrufe in der Zentrale eingegangen.
Aber es ging bei den vielen Anrufen auch um ganz banale Dinge: Ärger bei den Bergmannswohnungen, Schwarzverkäufe von Kohle, die Einkaufsabteilung rief an, Handwerker – das Team der Telefonzentrale stellte alle zu den richtigen Ansprechpartnern durch.
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Und alles noch mit eigenen Telefonbüchern, jede Schachtanlage hatte ihre eigene Farbe. Wenn man bedenkt, wie viele tausend Mitarbeiter die Ruhrkohle in früheren Jahren hatte, kann man sich vorstellen, dass die Telefone nie still standen. Sie habe viele Nummern auswendig gelernt, damit es schnell ging, so Scholz.
Scholz hat in der Zentrale die Entwicklung der Technik mitgemacht. In ihrer Anfangszeit musste sie noch „stecken“, um zu verbinden, Jahre später lernte sie das erste Computersystem kennen.
Wenn Klaudia Scholz an das Ende des Steinkohlebergbaus denkt, wird sie schwermütig. Kohle sei eigentlich zu schade zum Verfeuern, Karbon sei ein wertvoller Stoff, aus dem man viele Dinge herstellen kann. Kohle sei nicht nur das schwarze Gold, sie sei ein Diamant.