Herne. . Unter Tage haben nicht nur Kumpel hart gearbeitet, es war auch der Lebensraum einiger Tierarten. „Mehr als Kohle“ erzählt von Mäusen.

Der 23. Juni 1966 ist ein besonderes Datum in der Geschichte des deutschen Steinkohlebergbaus: An jenem Tag absolvierte das Grubenpferd Tobias seine letzte Schicht auf der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen. Sogar der Bergwerksdirektor kam zum Abschied.

Dieses Beispiel offenbart: Nicht nur Menschen wagten sich in den Schlund der Erde, um das schwarze Gold zu fördern, sie nahmen auch Tiere mit, die beim Kohleabbau in der einen oder anderen Art Hilfe leisteten. Grubenpferde wie Tobias zogen die Wagen mit der Kohle, und Kanarienvögel nutzten die Bergleute als lebende Alarmanlage.

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Wenn sie tot von der Stange fielen, wussten die Kumpel, dass die Gaskonzentration anstieg und es höchste Zeit wurde, eine belüftete Strecke aufzusuchen.

Was machten Mäuse in der Tiefe?

Was aber machten Mäuse unter Tage? Und wie kamen sie überhaupt dorthin? Auf diese Frage kann der Herner Heinrich Wortmann Antworten geben.

Einige Miniaturen gehören zu Heinrich Wortmanns Andenken.
Einige Miniaturen gehören zu Heinrich Wortmanns Andenken. © Ingo Otto

Wobei ihm diese Fragen als Kind selbst Kopfzerbrechen bereitet hätten, erzählt er. 1939 in Dortmund-Mengede geboren, verbrachte er seine Kindheit gegenüber der Hauptverwaltung der Zeche Erin in Castrop-Rauxel und hörte von seinem Vater diverse Geschichten aus dem Bergbau, auf die er sich zunächst keinen Reim habe machen können. Inzwischen kann er sich diesen Reim machen.

Wortmann, der auf der Zeche Erin seine Lehre absolvierte, hat als Elektrospezialingenieur Jahrzehnte lang unter anderem Fördermaschinen repariert, seit 20 Jahren ist er Rentner und beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der Geschichte des Bergbaus. Unter anderem mit den kleinen Nagern.

Diese Geschichte gibt's hier als Multimedia-Reportage

Mäuse seien quasi als „blinde Passagiere“ eingefahren, weiß Wortmann. Sie hätten sich unter anderem zwischen Stroh und Hafer versteckt, das als Futter für die Grubenpferde unter Tage transportiert wurde. Dort angekommen, seien sie treue Begleiter der Kumpels gewesen. Manchmal auch unangenehme, wie Wortmann selbst zu spüren bekommen sollte...

Heinrich Wortmann hat mit seiner langjährigen Erfahrung ein ganzes Buch zusammengestellt, in demer Begriffe des Bergbaus erklärt.
Heinrich Wortmann hat mit seiner langjährigen Erfahrung ein ganzes Buch zusammengestellt, in demer Begriffe des Bergbaus erklärt. © Ingo Otto

Betriebsstillstand nach Gummifraß

So hatte er einmal die Aufgabe, die 5. Sohle auf Erin zu elektrifizieren. Routine für Wortmann und seinen Kollegen - doch sie machten einen Fehler: Sie legten die Zeichnungen mit den Schaltplänen in einen Hochspannungsschalter. „Danach mussten wir stramm stehen, weil Mäuse durch eine winzige Öffnung gekrochen waren und die Zeichnungen angefressen hatten. Wir fanden nur noch Schnipsel.“ Die Zeichnungen mussten neu angefertigt werden.

Auf Zeche Ewald hätten die Mäuse einen Betriebsstillstand verursacht, der eine Woche gedauert habe. Des Rätsels Lösung: Die Nager konnten nicht genug von der Gummi-Ummantelung der Steuerkabel bekommen. „Da fanden wahre Fressorgien statt“, so Wortmann. Eine umfangreiche Untersuchung habe schließlich ans Licht gebracht, dass das Gummi einen wurstähnlichen Geschmack hatte.

Heinrich Wortmann mit einem Kunstwerk der Zeche Erin.
Heinrich Wortmann mit einem Kunstwerk der Zeche Erin. © Ingo Otto

Waren die Mäuse deshalb Feinde der Kumpels? Machten sie Jagd auf die Tierchen? Nein, im Gegenteil. In manchen Fällen wurden sie zu treuen Begleitern und Artisten...

Wortmann schildert die Geschichte eines Pumpenwärters auf Erin, der auf einer Werkbank saß und einen Draht mit einem Stückchen Wurst in der Hand hielt. Immer wieder zog er den Draht hoch - und die Mäuse, die zu Füßen des Pumpenwärters saßen, sprangen über den Draht- obwohl sie ihn hätten unterqueren können. Wortmann: „Die Mäuse sind gesprungen, weil sie mit der Wurst belohnt wurden.“ Die Mäuse hätten ganz genau gewusst, von wem sie Futter bekommen, und die Kumpel hätten Spaß daran gehabt.

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Es ging noch toller: Ein Signalelektriker auf der Zeche Heinrich Robert habe Mäuse mit einem Stück Wurst angelockt, sie dann gefangen und ihnen anschließend ein Geschirr angelegt, das er zuvor aus Draht gebastelt hatte. Wortmann: „Dann führte der Stellwerker die Maus wie einen Hund spazieren. Ich habe gedacht, ich spinne, als ich das gesehen habe.“

Und immer wieder hätten sich Kumpel mit Mäusen gegenseitig Streiche gespielt. Entweder wurden sie in einem zugeknoteten Ärmel gesteckt - oder sie mussten als „Frauentöter“ herhalten. Was sich dahinter verbarg: In eine Butterdose wurde eine Maus - mal tot, mal lebendig - gesteckt. Wenn die Ehefrau zu Hause die Dose öffnete, gab es einen großen Schrecken.