Herne. Frauen, die selbstständig sind und Kinder haben, sehen sich besonderen Herausforderungen gegenüber. Zwei Frauen schildern ihre Perspektive.
„Ich bin dann mal selbstständig“ lautet der Titel eines Gründerseminars, das die Herner Wirtschaftsförderungsgesellschaft regelmäßig anbietet. Der Titel liest sich, als ob die Selbstständigkeit ein Klacks sei. Doch wer ein Unternehmen gegründet hat, weiß sehr genau, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Vor besondere Herausforderungen sind selbstständige Frauen gestellt, die Kinder haben. In der WAZ schildern zwei Frauen, wie sie diese Konstellation meistern.
Anja Balzer zitiert einen Satz aus einer alten TV-Werbung: „Ich führe ein kleines Familienunternehmen.“ Zu dieser Familie gehört Philipp Regener und seit viereinhalb Jahren Sohn Adam. Wer erwartet, dass Balzer nun über die Mühen der Selbstständigkeit klagt, täuscht sich. „Was bin ich froh, selbstständig zu sein“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Dieses Schmunzeln ist quasi berufsbedingt. Balzer arbeitet als Klinikclown, als Mitglied eines Improtheaters, sie moderiert Veranstaltungen oder bietet Schlagfertigkeitstrainings an. Ihr Mann ist ebenfalls selbstständig als Schauspieler.
Beide sind beruflich bundesweit unterwegs, und das habe sich mit der Geburt Adams nicht grundlegend geändert. „Wir nehmen unseren Sohn sehr oft mit zu den Jobs“, erzählt Balzer. Mit Kind komme es bei ihr auf eine Kernkompetenz an: gut organisieren. Um die Termine für alle drei unter einen Hut zu bekommen, muss Balzer eine erhebliche Jonglage meistern. Ein dicht beschriebener Terminplaner ist Zeuge diese Jonglage.
Was außerdem helfe: „Ich kann um Hilfe bitten“, so Balzer. Zum Beispiel ein befreundetes Ehepaar, dass quasi die freiwilligen Großeltern seien. Balzer hat nicht den Anspruch an sich, alles allein zu regeln. „Man muss achtsam mit seinen Ressourcen umgehen.“ Bei allem, was sie mache, frage sie sich, wo der Mehrwert ist - gesundheitlich, familiär und finanziell.
Apropos Finanzen: In dieser Hinsicht habe sie sich umstellen müssen, so Balzer. Vor Adams Geburt sei sie die Verdienerin gewesen, konnte „bestimmen und großzügig sein“. Das sei nun anders.
Nur Frauen im Büro
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Auch Heike Odparlik führt ein Unternehmen - allerdings kein Familienunternehmen, sondern die Genab GmbH, die sich auf die Sanierung von Schadstoffen spezialisiert hat. Die heute 44-Jährige hat die Firma 2001 gegründet und so weit auf- und ausgebaut, dass sie heute 21 fest angestellte Mitarbeiter hat. Erzählt sie vom Impuls zur Gründung, offenbart das viel über das Problemfeld „Frau und Beruf“. Bei einem Vorstellungsgespräch sei sie gefragt worden, ob sie Kinder haben wolle. Eine Frage, die nicht gestellt werden darf. Odparlik war darüber so erbost, dass sie sich vornahm, sich selbstständig zu machen.
Als Chefin handelte sie anders. Im Büro habe sie lange Zeit nur Frauen angestellt, um ihnen eine familienfreundliche Umgebung zu bieten. Ihre Devise: „Kinder gehen vor.“ Hauptsache, die Arbeit wird am Ende geschafft. Dieser Ansatz sei von ihren Mitarbeiterinnen dankbar angenommen worden. Odparlik selbst wurde erst 2015 Mutter: Zwillinge. Zuvor hatte sie in der Firma alles selbst gemacht: Akquise, Projektsteuerung, Lohnabrechnung. Die Chefin war nur unterwegs - in Deutschland und im Ausland. Urlaub? Keine Zeit.
Aufgaben abgeben
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Dies änderte sich mit der Geburt ihrer Söhne. Odparlik sah ein: „Man muss Dinge abgeben können.“ Sie investierte in neues Personal, um die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Ihre Erkenntnis: „Das Unternehmen ist wirtschaftlicher, weil sich alle auf ihre Aufgaben konzentrieren können.“ Odparlik konzentriert sich nun auf die kaufmännische Seite. Sie erledigt ihre Dinge morgens, wenn die Kinder in der Kita sind. Dabei nutzt sie eine ungewöhnliche Variante des Home-Office. Da sie aus privaten Gründen nach Sankt Goarshausen an der Loreley gezogen ist, schaltet sie sich per Datentunnel ins Netzwerk ihrer Firma. Auch wenn diese Konstruktion funktioniert, für Odparlik steht fest: „Die Arbeitswelt ist immer noch nicht familien- und kinderfreundlich.“
>> FRAUEN GRÜNDEN ANDERS
- „Frauen gründen anders“ - wissen Carina Schwarz und Alice Hinzmann vom Kompetenzzentrum Frau & Beruf Mittleres Ruhrgebiet.
- Rund ein Drittel von neuen Firmen würden von Frauen gegründet, allerdings sinke diese Quote, wenn man die Gründung in Teilzeit abziehe. Ein großer Teil der Frauen gründet erstmal „nebenbei“. Dies könne attraktiv für den Einstieg sein, oft nähmen die Gründungen in der Elternzeit ihren Anfang. Meist machten sich Frauen in freien Berufen sowie im Sozial- und Gesundheitsbereich selbstständig.
- Allerdings: Die Gründung im Nebenjob könne auch zur Falle werden, weil man alleine davon nicht leben könne. Ein möglicher Schutz: Die Gründung in Teams. So könnten die Frauen das Risiko und die Aufgaben teilen. In anderen Städten gebe es inzwischen sogenannte Co-Working-Spaces für Mutter und Kind. So könnten Gründerinnen Raum und Kosten sparen und sich auch für die Kinder-Betreuung zusammenschließen. Im Mittleren Ruhrgebiet gebe es in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf.
- Das Kompetenzzentrum sei immer auf der Suche nach sogenannten Role-Models, die ihre Gründungsgeschichte erzählen um so andere Frauen ermutigen, sich selbstständig zu machen.
>> DAS KOMPETENZZENTRUM
Das Kompetenzzentrum Frau & Beruf Mittleres Ruhrgebiet hat zum Ziel, die berufliche Chancengleichheit von Frauen und Männern zu fördern.
Die Erwerbstätigkeit von Frauen soll erhöht, die Potenziale von Frauen sollen stärker von Unternehmen genutzt werden.
In Herne ist das Kompetenzzentrum bei der Gleichstellungsstelle, Berliner Platz 5, angesiedelt. HER 163174.