Herne. . Viele Unternehmen - auch in Herne - suchen händeringend Berufskraftfahrer. Dachser ging nun ein ungewöhnlichen Schritt und lud Bewerber ein.

  • Dachser lud 65 Bewerber an den Standort Friedrich der Große, um das Berufsbild vorzustellen
  • In der Logistikbranche herrscht Fahrer-Mangel - unter anderem wegen der Abschaffung der Wehrpflicht
  • In Herne ist der Wettbewerb stark, weil auch UPS oder Duvenbeck nach Fahrern suchen

Auch wenn es seit einiger Zeit Aufhellungen am Herner Arbeitsmarkt gibt: Nach wie vor wird er in grauen Farben gezeichnet. 9404 Menschen ohne Beschäftigung zählte die Agentur für Arbeit im August. Da mag es überraschen, dass es Branchen gibt, in denen Kräfte geradezu händeringend gesucht werden. So sind Berufskraftfahrer Mangelware.

Der Lebensmittellogistiker Dachser ging deshalb am Montag einen ungewöhnlichen Schritt: In Kooperation mit der Arbeitsagentur, dem Jobcenter, der Verkehrsfachschule Bochum und fünf Transportunternehmen lud das Unternehmen etwa 65 Bewerber zum Standort auf Friedrich der Große, um über das Berufsbild zu informieren und neue Arbeitskräfte zu rekrutieren. Uwe Meyer, Personalmanager bei Dachser, hofft, dass nach der entsprechenden Qualifizierung 15 Absolventen hinter dem Steuer der Vertragsunternehmen sitzen werden. Das muss man erklären: Dachser beschäftigt die Fahrer nicht selbst, es beauftragt Transportunternehmen, die Lebensmittel von Herne aus im ganzen Ruhrgebiet zu den Kunden zu liefern.

Das Reservoir Bundeswehr ist versiegt

Doch die Lieferung scheint angesichts des Mangels an Berufskraftfahrern Probleme zu bereiten. „Wir können die Leistung nicht erbringen“, erzählt Torsten Karuschkat, Geschäftsführer der Thor-Gruppe mit Sitz in Willich, im Gespräch mit der WAZ-Redaktion. Etwa 100 Fahrer beschäftige sein Unternehmen, allerdings seien zurzeit zehn Stellen nicht besetzt. Die mögliche Konsequenz für das Unternehmen: Thor verschiebt den Kauf von 15 neuen Autos, „weil nicht gewiss ist, ob wir genug Fahrer für die Wagen haben“, so Karuschkat.

Der Mangel hat mehrere Ursachen: Björn Liedtke, Inhaber der Verkehrsfachschule Bochum, nennt als wichtigen Faktor die Abschaffung der Wehrpflicht. Früher hätten pro Jahr bis zu 20 000 Männer beim Bund ihren Lkw-Führerschein erworben, mit dem Wegfall der Wehrpflicht sei dieses Arbeitskräfte-Reservoir versiegt.

Hinzu kommen die gesetzlichen Vorgaben. 2006 trat das Berufskraftfahrer-Qualifizierungsgesetz in Kraft. Um sich „auf den Bock“ zu setzen, ist seitdem eine Weiterbildung erforderlich, etwa zu Themen wie Ladungssicherheit, Sozialvorschriften oder Gesundheit. Folge: Ungelernte Aushilfen können nicht mehr beschäftigt werden.

Werner Gröne (r.), Inhaber des Unternehmens W.G. Transporte, hat Kontakt zu Ismet Önal aufgenommen. Der 29-Jährige interessiert sich sehr für den Beruf des Kraftfahrers.
Werner Gröne (r.), Inhaber des Unternehmens W.G. Transporte, hat Kontakt zu Ismet Önal aufgenommen. Der 29-Jährige interessiert sich sehr für den Beruf des Kraftfahrers. © Rainer Raffalski

Dass Dachser in Herne in die Offensive geht, hat einen triftigen Grund: Der Wettbewerb allein in der Stadt nimmt zu. UPS, Duvenbeck und später Nordfrost suchen ebenfalls nach Fachkräften, genauso wie Graf’s Reisen oder die HCR. Kann die Nachfrage nicht gestellt werden, könnte dies als Bremsklotz bei den Bemühungen wirken, Herne als Logistikstandort zu stärken.

Firmen werben sich Fahrer gegenseitig ab

Die Folgen dieses Mangels: Unternehmen werben sich gegenseitig Fahrer ab, die sind bei Gehaltsverhandlungen in einer immer besseren Situation. Werner Gröne, Inhaber von W.G.-Transporte (ebenfalls im Auftrag von Dachser unterwegs), berichtet von einem Interessenten, der 500 Euro brutto mehr verlangte als Gröne anbot.

Möglicherweise ist Gröne am Montag dennoch fündig geworden. Ismet Önal interessiert sich sehr für den Beruf. Er sei schon auf Lkw mitgefahren und selbst gefahren, erzählt der 29-jährige Türke. „Das hab’ ich im Blut.“ Zurzeit ist er arbeitsuchend - doch das könnte sich schnell ändern.

>> SEIT 1989 AUF FRIEDRICH DER GROSSE

Das 1930 gegründete Unternehmen Dachser mit Sitz in Kempten/Allgäu gehört nach eigenen Angaben zu den Weltmarktführern im Bereich Systemlogistik. Es holt Waren bei Kunden ab, schlägt sie über eigene Logistikzentren um und liefert sie an Kunden aus. In Deutschland gibt es 76 Niederlassungen mit 13 000 Mitarbeitern.

Der Standort Friedrich der Große wurde 1989 eröffnet und 2007 sowie 2012 erweitert. Dort sind 300 Mitarbeiter beschäftigt. Nach Angaben von Dachser ist das Gesamtareal 120 000 Quadratmeter groß. Zu dem Logistikzentrum gehört unter anderem ein vollautomatisches Hochregallager mit 22 000 Palettenstellplätzen.