Herne. . Das Ende der Städteehe mit Besiktas wollten die Unabhängigen Bürger vom Rat beschließen lassen. Der Antrag wurde vertagt. Das löste Kritik aus.
- Die Partnerschaft mit Besiktas müsse aufgrund der Zustände in der Türkei beendet werden, so ein Ratsantrag
- Vorstoß der Unabhängigen Bürger wurde auf Vorschlag des Oberbürgermeisters auf Juli-Sitzung vertagt
- Dudda begründet dies mit dem Fehlen zahlreicher Stadtverordneter in der Ratssitzung
Ein dickes Paket mit wichtigen Entscheidungen hat der Rat am Dienstag geschnürt. Den größten Gesprächsstoff liefert allerdings anschließend ein Thema, das gar nicht erst zur Diskussion stand.
Auf Vorschlag von Oberbürgermeister Frank Dudda nahm nämlich eine klare Ratsmehrheit einen Antrag von Bernd Blech (Unabhängige Bürger – UB) von der Tagesordnung. Der Einzelmandatsträger hatte eine Aufkündigung der Städtepartnerschaft mit Besiktas zur Abstimmung stellen wollen.
„Nach dem Referendum in der Türkei ist diese auf direktem Weg in eine Diktatur“, so seine Begründung. Auch mit Blick auf die türkische Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe erklärte Blech, dass „eine rote Linie“ nun überschritten worden sei.
17 Stadtverordnete blieben der Sitzung fern
Der Oberbürgermeister holte in seiner Begründung für den Vorschlag auf Vertagung ein wenig aus: Er habe einen Brief erhalten, in dem die „Deutsche Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas“ auf die besondere Bedeutung deutsch-türkischer Städtepartnerschaften in der jetzigen Situation hingewiesen habe.
Da aber insgesamt zwölf Stadtverordnete zeitgleich zur Ratssitzung an der Hauptversammlung des Deutschen Städtetags in Nürnberg teilnähmen - weitere fünf fehlten entschuldigt - und folglich sich im Rat nicht mit diesem wichtigen Thema befassen könnten, empfehle er, den UB-Antrag auf die Juli-Sitzung zu verschieben. Die Unabhängigen Bürger und die AfD stimmten gegen eine Vertagung, die CDU-Fraktion enthielt sich geschlossen der Stimme.
Bernd Blech (UB) spricht von Taschenspielertrick
UB-Stadtverordneter Bernd Blech kritisierte nach der Ratssitzung das Vorgehen Duddas. „Das war ein Taschenspielertrick“, sagte er zur WAZ. Die Angst vor einer Niederlage in einer geheimen Abstimmung hätte den OB wohl zu diesem Vorgehen veranlasst.
Vertreter anderer Parteien bezweifelten aber, dass es überhaupt zur geheimen Abstimmung gekommen wäre. Hintergrund: Mindestens ein Fünftel des Rates hätte zuvor für die Durchführung einer geheimen Abstimmung votieren müssen.
Feuerwehr erhält neues Einsatzleitsystem
Die 24 Tagesordnungspunkte der öffentlichen Sitzung wurden dann - mit Ausnahme der Kontroverse über Wohnbauflächen - ohne große Diskussion durchgewunken. Die wichtigsten Beschlüsse:
- Die Feuerwehr erhält ein neues Einsatzleitsystem. Kosten: rund 700 000 Euro.
- Ein Teil der auslaufenden Hauptschule Hölkeskampring wird für 4,8 Millionen Euro zu einer städtischen Einrichtung für Kinder, Jugend und Familie umgebaut. Baubeginn soll im Herbst 2018 sein, die Eröffnung ist für 2020 geplant.
- Der Rat hat die Gründung einer Schulmodernisierungsgesellschaft angestoßen und Ratsvertreter für die Gesellschafterversammlung und den Aufsichtsrat benannt. Wie berichtet, soll die Gesellschaft in den kommenden zehn Jahren mit Investitionen von 100 Millionen Euro dazu beitragen, den Sanierungsstau in Schulen abzubauen.
KOMMENTAR: Fragwürdiges Vorgehen, richtige Haltung
Rein formal lässt sich sicherlich nichts gegen den Vorstoß Duddas sagen, die Entscheidung über den Antrag der Unabhängigen Bürger zur Aufhebung der Städtepartnerschaft mit Besiktas auf die nächste Sitzung zu vertagen. Der Vorwurf des „Taschenspielertricks“ an die Adresse des Oberbürgermeistes ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen.
Ursächlich für die politisch fragwürdige Vertagung - der Rat war offiziell beschlussfähig - dürfte vor allem die Sorge gewesen sein, dass es aufgrund des Fehlens von Stadtverordneten in einem (geheimen) Wahlgang erneut hätte eng werden können. Zur Erinnerung: Die Partnerschaft mit dem Istanbuler Bezirk wurde 2016 vom Rat in geheimer Abstimmung mit 29 Ja- bei 26-Nein-Stimmen besiegelt.
Dass sich an den Widerständen in dieser Frage nichts Wesentliches geändert hat, zeigt die Enthaltung der kompletten CDU-Fraktion. Und hört man in die Bevölkerung hinein, so entspricht die Spaltung des Rates in dieser Frage durchaus der gesellschaftlichen Stimmung.
Jenseits von taktischen Schachzügen bleibt jedoch festzuhalten, dass man mit einer Aufkündigung (oder Aussetzung) der Städtepartnerschaft zum jetzigen Zeitpunkt Erdogan & Co. bei ihrem Versuch des Demokratieabbaus in die Karten spielen würde. Zur Erinnerung: 77,8 Prozent der Wähler in Besiktas sagten Nein zum Referendum. Und Besiktas’ Bürgermeister Hazinedar steht bekanntlich schon länger im Visier von Erdogans Ermittlern. Klar dürfte aber auch sein: Im Falle einer Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei muss die Diskussion über die Partnerschaft in Herne neu geführt werden.