Herne. . Ein Bericht der Bundesregierung zeichnet eine dramatische Lage von Herne. Oberbürgermeister Frank Dudda reagiert sauer auf das Papier aus Berlin.
- Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda weist Bericht der Bundesregierung über Herne zurück
- Analyse, so die Kritik, basiere auf alten Zahlen und vernachlässige die jüngsten Entwicklungen
- OB schreibt Brief an Bundestagsabgeordnete und fordert mehr Unterstützung
Wie lebt es sich in einer „abgehängten“ Stadt? Diese Frage hat Oberbürgermeister Frank Dudda in den vergangenen Tagen häufig von Auswärtigen gestellt bekommen. Hintergrund: Die wirtschaftliche und soziale Lage in Herne, Gelsenkirchen und Oberhausen sei so schlecht wie fast nirgendwo anders in der Republik. Das antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.
Frank Dudda ist als OB der Typ „Macher“. Er agiert dabei eher ruhig und besonnen, ist kein Darsteller, laut wird er selten. Die Betrachtung der Bundesregierung auf Herne hat den 53-Jährigen aber mächtig aufgebracht. Er kocht. Die Nachricht war Tagesgespräch im Rathaus, Dudda erhielt Medienanfragen von Nah und Fern. „Völlig überzogen“ sei die Antwort aus Berlin, sagt er im WAZ-Gespräch, „verzerrt“, fügt er an, und vor allem: „rückwärtsgewandt“. An die beiden Herner Bundestagsabgeordneten hat er kurzerhand einen Brief geschrieben und auch dort seinem Ärger Luft gemacht.
Mehrere Daten wurden herangezogen
Was ist geschehen? Die drei besagten Revierstädte, so urteilt die Bundesregierung, seien in den vergangenen Jahren abgehängt worden, nur noch in Bremerhaven und Frankfurt an der Oder sei die wirtschaftliche und soziale Lage ähnlich dramatisch. Herangezogen hat Berlin dafür unter anderem Arbeitslosenquoten, aber auch Daten zu Lebenserwartung, zum Pro-Kopf-Einkommen oder zur Verschuldung.
Der Oberbürgermeister kritisiert das Papier scharf. Es habe allenfalls „pseudowissenschaftlichen Anstrich“. Schon die Daten, die zu Grunde gelegt worden sind, hinkten. So hätten die Autoren in ihrem Städte-Vergleich etwa auch geschaut, ob die Kommunen einen ICE-Halt hätten. Abwegig, meint der OB. Vor allem aber stößt er sich daran, dass im Wesentlichen Zahlen von 2000 bis 2015 herangezogen worden seien. Deshalb sei der Bericht von gestern.
OB verweist auf zukunftsweisende, neue Projekte
„Wir haben uns aber längst zukunftsweisend auf den Weg gemacht“, betont Dudda. Damit meint er die Stadt seit seinem Amtsantritt 2015. An vielen Stellen in Herne hätten die Verantwortlichen die Ärmel hochgekrempelt, um neue Weg zu beschreiten.
Sichtbare Ergebnisse gebe es zuhauf: Herne habe den Zuschlag für Innovation City bekommen, ebenso für den Forschungsverbund Ruhr-Valley, habe in der Logistik neue Verbindungen bis nach Asien geschaffen, plane die Neugestaltung des Emscherlandes oder eine Schulmodernisierungsgesellschaft – um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht zuletzt seien in den vergangenen anderthalb Jahren 1000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, die Langzeitarbeitslosigkeit sei um acht Prozent gesunken. Kurz: So einen Schwung habe es in Herne in den vergangenen 15 Jahren nicht gegeben.
Dudda fürchtet Image-Schaden
In der Antwort der Bundesregierung sei davon aber nicht die Rede. Das ärgert Dudda besonders deshalb, weil er den Aufschwung Hernes durch Papiere wie dieses gefährdet sieht. Die Stadt sei in aussichtsreichen Gesprächen mit Investoren. Er fürchtet einen Image-Schaden, sorgt sich, dass sie abspringen – weil sie in einer vermeintlich „abgehängten Stadt“ keine Arbeitsplätze schaffen wollten.
Dass Herne Probleme hat, will der Oberbürgermeister nicht verhehlen. Er sagt aber auch: Viele Probleme rührten erst daher, dass der Bund die Kommunen finanziell nicht richtig ausstatte. Er meint: Statt für einen Bericht mit alten Zahlen zu operieren und neuste Entwicklungen auszublenden, soll Berlin besser helfen, diese Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen. In seinem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering (SPD) und Ingrid Fischbach (CDU) fordert Dudda genau das. Dabei helfen soll unter anderem ein Sonderprogramm für Arbeitslose in den drei besagten Städten oder ein Flächenfonds für aufgegebene Unternehmensareale.
Lichtjahre von „abgehängt“ entfernt
Und wie lebt es sich nun in einer „abgehängten“ Stadt? Was antwortet der OB in diesen Tagen auf diese Frage? „Gut“, stellt er auf seiner Facebook-Seite klar. Und: „Ich lebe gerne hier.“ Zur WAZ sagt der Stadtchef: Er kenne viele Regionen in Deutschland, da sei Herne gewiss nicht abgehängt. Im Gegenteil: „Da sind wir Lichtjahre von entfernt.“
>> KOMMENTAR von Michael Muscheid
Um es noch mal klar zu stellen: Herne ist kein Luftkurort, und eitel Sonnenschein herrscht hier schon mal gar nicht. Viele Probleme, mit denen sich die Stadt herumplagt, könnten aber gelöst werden, wenn Bund und Land deutlich mehr helfen würden. Sie tun das nicht, und das ist ein Skandal.
Dass der OB nun verärgert auf den Bericht reagiert, ist verständlich. Mit schöner Regelmäßigkeit wird Herne etwa in Rankings überregional als graue Maus, ja als Armenhaus der Nation bezeichnet. Nun also die nächste Analyse, und die kommt ausgerechnet vom Bund, der die Kommunen hängen lässt. Bei allen Problemen vor Ort: Es wäre in der Tat seriöser gewesen, hätten die Macher für ihr Papier auch die aktuellen, durchaus vielversprechenden Entwicklungen in Herne aufgenommen. Das taten sie nicht. Deshalb gehört der Bericht: in den Papierkorb.