Berlin. In fünf Großstädten geht es den Menschen besonders schlecht, was Einkommen, Arbeitslosigkeit und Lebenserwartung betrifft. Drei liegen im Revier.

Gibt es „abgehängte Regionen“? Und wo sind sie? In der Debatte über die wachsende Anhängerschar der Alternative für Deutschland (AfD) hat zu verstärkten Fragen nach zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen in Deutschland geführt – und zur politischen Befürchtung, dass es einen Zusammenhang mit einer Zunahme des Rechtspopulismus gibt.

Die Grünen, darunter die vom Niederrhein stammende Abgeordnete Britta Haßelmann, haben die Bundesregierung gefragt, ob sie solche zurück gebliebenen Regionen nennen könne. Wenig überraschend ist die Antwort: Die meisten liegen in Ostdeutschland. Meist sind es ländliche Zonen. Und immer mehr Menschen ziehen aus diesen Gebieten weg.

In NRW sind 627.000 Menschen betroffen

Überraschender ist dann aber, dass die der Regierung zuarbeitenden Experten auch Großstädte dazu rechnen. Für das Ruhrgebiet ist das Ergebnis ein Schock: Unter den fünf in der Regierungsantwort genannten Großstädten sind Bremerhaven und Frankfurt/Oder – die drei anderen, die Mehrzahl also, liegen im Revier: Gelsenkirchen, Herne, Oberhausen. In den drei Kommunen herrschen laut Regierung „stark unterdurchschnittliche Lebensverhältnisse“. Betroffen davon sind in NRW 627.000 Menschen.

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Wie berechnet man das Abhängen? Die Daten, die zum Urteil „stark unterdurchschnittlich“ führen, sind völlig unterschiedlicher Art. Die Bevölkerungsentwicklung gehört dazu und die Lebenserwartung. Das Bruttoinlandsprodukt. Die Arbeitslosenquote und das Ausbildungsplatzangebot. Wie hoch die Verschuldung der privaten Haushalte ist und das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen, die Einwohnerdichte, die Zahl der Ärzte pro Kopf der Bevölkeruun und auch die Erreichbarkeit von Autobahnen und IC/ICE-Anschlüssen. Am Ende auch die Schnelligkeit des Breitbandanschlusses und die durchschnittliche Miethöhe.

Lebenserwartung in Problemstädten deutlich niedriger

Gelsenkirchen, Herne und Oberhausen schneiden bei wichtigen Eckpunkten nicht gut ab. Die Regierung nennt in der Antwort stadtscharf keine Details. Aber die Institute, deren Ergebnisse auch Grundlage der Regierungsantwort sind, haben einiges herausgefunden. Beispiel Lebenserwartung, so, wie es das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung errechnet hat: Während ein 2009 in Herne geborener Junge im statistischen Schnitt 75,1 Jahre alt werden wird, wird der Bonner 79,2 Jahre erreichen. Nur wenig besser sieht es für den Mann aus Gelsenkirchen (75,2) und aus Oberhausen (76,1) aus. Duisburg und Dortmund weisen mit 76,4 und 76,3 auch nur unwesentlich bessere Lebenserwartungen auf.

Entsprechend klaffen auch die Lebenserwartungen der Frauen auseinander. Die Gelsenkirchenerin kann mit 80,4 Jahren rechnen, eine Hernerin mit 81,1 und eine Oberhausenerin mit 81,3 Jahren. Eine Bonnerin wird – statistisch – 83,9 Jahre alt.

Es gibt auch Gewinnerregionen in NRW!

Was für die Lebenserwartung gilt, gilt auch für Einkommen und Arbeitslosigkeit. In den drei Ruhrgebietsstädten liegt das monatliche Durchschnittseinkommen zwischen 3050 und 3093 Euro. Der Kreis Mettmann erreicht 3226 Euro und Bonn 3523 Euro. Die jüngsten Arbeitslosenzahlen pendeln laut Arbeitsagentur zwischen 9,8 Prozent (Oberhausen) und 12,8 Prozent (Herne). In Bonn sind es mit 5,9 Prozent deutlich weniger ohne Job.

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NRW ist neben Bremen das einzige Bundesland im Westen, das überhaupt „stark unterdurchschnittliche regionale Lebensverhältnisse“ kennt. Dabei gibt es auch an Rhein und Ruhr Gewinnerregionen, schreibt die Bundesregierung – neben Baden-Wüttemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen.

Ob die Menschen in den abgehängten Regionen unzufriedener sind? Das, sagt die Bundesregierung, kann sie aufgrund der genannten Kriterien ebenso wenig beantworten wie die Frage, ob hier eher Nichtwähler oder Anhänger des Rechtspopulismus wohnen.

In der ersten Jahreshälfte will die Regierung in Berlin ihren Raumordnungsbericht vorlegen. Dann mit mehr Details.