Heiligenhaus. Im polnischen Tuczno wird eine Schule als Flüchtlingsunterkunft für Ukrainer hergerichtet – mithilfe vieler Heiligenhauser. Wie das zustande kam.

Dass ihn die Suche nach seinen Vorfahren einmal nach Polen bringen wird, um dort eine Kleinstadt bei der Flüchtlingshilfe zu unterstützen, das hätte sich der Heiligenhauser Nils Vollmar sicher nicht vorstellen können. Überrascht ist er auch über die großen Unterstützung, die er dabei erhält – allen voran durch die Firma WSS (Wilh. Schlechtendahl und Söhne): Bereits am Freitag startet ein Hilfstransport ins 900 Kilometer entfernte Tuczno.

2000 Einwohner leben in der Kleinstadt im polnischen Westpommern, „das gehörte früher einmal zu Deutschland“, weiß Nils Vollmar zu berichten. Hier ist sein Urgroßvater geboren, hier lebten seine Ur-Ahnen. Die Forschung nach diesen begann er zu einer Zeit, zu der noch keiner einen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine für möglich hielt. Er hatte Kontakt zu einer Ahnungsforschungsgruppe und dort mit einer Deutschlehrerin, „ich habe gesagt, wenn ihr mal Hilfe braucht, könnt ihr euch gerne melden. Dass es einmal so kommt, damit hatte ich nicht gerechnet.“

Heiligenhauser hat Kontakt zum Bürgermeister in Polen

Nils Vollmar ist bewegt, dass er in der Heimatstadt seines Urgroßvaters durch die Hilfe vieler Heiligenhauser etwas bewegen kann.
Nils Vollmar ist bewegt, dass er in der Heimatstadt seines Urgroßvaters durch die Hilfe vieler Heiligenhauser etwas bewegen kann. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Doch dann begann der Krieg in der Ukraine, viele Menschen mussten ihre Heimat verlassen – und viele von ihnen flohen nach Polen: 100 Flüchtlinge sind derzeit in dem 2000-Seelen-Städtchen meist in privaten Unterkünften untergebracht, doch eine ehemalige Schule soll nun als Unterkunft wieder hergerichtet werden. Das weiß Vollmar, weil er nun in direktem Kontakt mit dem dortigen Bürgermeister steht: „Das Schlimmste, was man in so einer Situation machen kann, ist unkoordinierte Hilfe, das hat die Flut im Ahrtal gezeigt“, weiß Vollmar.

Doch diese Aktion, die aus dem Nichts entstanden ist, sei alles andere als unkoordiniert: „Wir haben auch eine offizielle Bestätigung vom Bürgermeister, dass wir ein Hilfstransport sind – ohne diesen kommt man derzeit auch kaum noch über die Grenze“, berichtet Vollmar. Anfangs hatte er überlegt, ein Paket zu schicken, doch das sei derzeit genauso schwierig; und die Liste vom Bürgermeister sei auch immer länger geworden. Es fehle an einfachen Baumaterialien, aber auch weitere Dinge werden in Tuczno benötigt; Dinge, die es in Heiligenhaus offenbar zuhauf gibt und die viele spenden wollen: Innerhalb weniger Tage nach seinem Aufruf im privaten Umfeld sind nun so viele Sachspenden eingegangen, dass ein 7,5 Tonner sowie ein Sprinter am Donnerstagabend vollgepackt werden.

Mitarbeiter von WSS haben sofort Hilfe zugesichert

Die Firma WSS, im Hintergrund Dirk Hubert, Volker Ebel, Sabine Dreifert und Guido Lücker, war sofort bei der Aktion dabei.
Die Firma WSS, im Hintergrund Dirk Hubert, Volker Ebel, Sabine Dreifert und Guido Lücker, war sofort bei der Aktion dabei. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Gefahren werden die Transporter nicht nur von Vollmar und zwei Bekannten, sondern auch von Dirk Hubert und Sabine Dreifert. Die beiden WSS-Mitarbeiter waren sofort dabei, als Fahrer gesucht wurden: „Die Betroffenheit mit der Situation in der Ukraine ist groß, alle wollten helfen“, berichtet Betriebsratsvorsitzender Volker Ebel. „Endlich können wir mal was handfestes tun, ich habe auch keine Angst vor der Fahrt“, findet Dreifert und Hubert ergänzt: „Es ist eine tolle Sache, weil man direkt sehen kann, wo die eigenen Spenden hingehen und auch die Geldspenden direkt ankommen.“ 2500 Euro an Spenden erhielt Vollmar für die Aktion, 5000 Euro kamen bei WSS zusammen, „wir haben die 5000 auf 10.000 Euro erhöht“, berichtet WSS-Geschäftsführer Guido Lücker.

Lücker war schnell an Bord, als Ebel ihn auf die Initiative Vollmars angesprochen hatte; dieser hatte noch nach einem Transporter gesucht, den die Firma nun nicht nur zur Verfügung stellt, sondern einen weiteren Lkw angemietet hat sowie die Spritkosten zahlt; zudem gelten die Fahrten für die Fahrer als Arbeitszeit. „Die Situation derzeit ist sehr besonders, die Betroffenheit mit dem Kriegsereignis findet entsprechend Widerhall. Da ist es schön, dass wir hier nun einen persönlichen Bezug haben und ganz konkret wissen, wo die Spenden hingehen.“ Nicht mal eben so habe man sich zu dieser Hilfe entschieden, „es war schon ein Abwägen, aber es ist ein klares Signal, das wir senden wollten.“

Spenden gehen ebenfalls in die Ukraine

Tanja Högström von der Tafel Niederberg unterstützt Aktionen, die Hand und Fuß haben, wie sie sagt.
Tanja Högström von der Tafel Niederberg unterstützt Aktionen, die Hand und Fuß haben, wie sie sagt. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Auch an die Tafel hatte sich Vollmar gewendet, mit Erfolg, wie Koordinatorin Tanja Högström berichtet: „Wir helfen, wo wir können, aber wir müssen wissen, wo es hingeht, das recherchieren wir zunächst, das muss dann alles Hand und Fuß haben.“ Das sei hier gegeben, so habe man gerne gemeinsam das Lager besichtigt und weitere Aufrufe gestartet. Auch Spenden der Velberter Tanzschule Höschler, deren Aktion nicht wie geplant habe stattfinden können, werden nun am Freitag nach Polen gebracht. Übrigens: Sollten Spenden, die aus Heiligenhaus in Tuczno ankommen, nicht benötigt werden, wird die Stadt diese an die nordwestukrainische Stadt Sdolbuniw weitergeben.

Vollmar ist jedenfalls glücklich und dankbar über die Unterstützung – und kann es kaum erwarten, endlich den Ort zu sehen, an dem sein Urgroßvater gelebt hat und in dem er nun den Menschen dort hilft, eine Unterkunft für Kriegsflüchtlinge aufzubauen.

Heimische Wirtschaft spürt Folgen des Kriegs

Der Krieg in der Ukraine habe schon längst Folgen für die Wirtschaft, berichtet WSS-Geschäftsführer Guido Lücker: Zwar habe man nur sehr wenig direkten Bezug in die Ukraine und nach Russland, aber die Beschaffung sei nahezu explodiert:

„Es gibt derzeit quasi keinen Einkauf mehr, sondern nur noch ein Beschaffen um jeden Preis, man verhandelt nicht, sondern nimmt, was man kriegen kann“, berichtet Lücker über die Rohstoffknappheit. „Es wird jeden Tag schlimmer, den der Krieg dauert, und es ist derzeit nicht absehbar, die Folgen als Ganzes zu erfassen.“