Hattingen.

Stress erzeugt die längsten Fehlzeiten, nämlich 23 Tage im Jahr. Ärzte verzeichnen einen deutlichen Anstieg bei psychischen Erkrankungen. Krank durch Arbeit: Erschöpfung, Burn-Out, Depression.

23 Tage. So lange fehlt durchschnittlich ein Beschäftiger bei psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz. Die Zahl nennt das Wirtschaftliche Institut der AOK in seiner Studie Fehlzeitenreport 2010. Krank durch Arbeit: Erschöpfung, Burn-Out, Depression. Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Dr. Willi Martmöller (61) bestätigt dies. In den letzten 20 Jahren hätte sich die Zahl der psychischen Erkrankungen verdoppelt. Als Lehrbeauftragter an der Ruhr-Uni hat er sich mit Stressforschung beschäftigt und wie sich Fehlzeiten entwickelt haben. Seine Antwort: Sie sind gestiegen. „Rückenschmerzen werden als Volkskrankheit überholt werden“, sagt Martmöller. Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei da. „Aber sie werden unterschätzt.“

Chronische Überlastung am Arbeitsplatz – so beginnt es oft. Mehr arbeiten zu wollen, arbeiten zu müssen oder auch: zu meinen, dass mehr gearbeitet werden muss. Das heißt dann Arbeitsdruck. „Stress ist persönliche Wahrnehmung“, sagt Martmöller. Ein gewisses Maß kann förderlich sein. Zum Problem werde es, wenn Erwartungen anderer dazu kommen und Druck entsteht.

Schnelllebige Arbeitswelt

Als Grund wird oft die schnelllebige Arbeitswelt genannt. Wesentlich scheinen die flexiblen Bedingungen zu sein: Das Handy nicht ausschalten zu können, nachts E-Mails zu beantworten, immer verfügbar zu sein. Auch Heimarbeit entgrenzt die bisher getrennten Bereiche Privates und Arbeit. „Die Arbeit guckt ins Schlafzimmer.“

Von den psychischen Erkrankungen erlebe er die Erschöpfungsdepression in seiner Praxis am häufigsten. Ob Burn-Out oder Depression – es gebe Parallelen, aber Männer würden eher mit Ausbrennen verbunden, Frauen mit Depression. „Die Dunkelziffer bei den Männern ist höher“, sagt er. Die Geschlechter gehen verschieden damit um: Männer greifen öfter zu Alkohol, Frauen sind offener. In der Diagnose sei auch ein Kampf der Worte – der starke Mann brenne eben lieber, als das depressive Weichei zu sein, erläutert Martmöller mit einer Übertreibung die Anerkennung in der Gesellschaft. Die klebt dabei an stereotypen Rollenbildern.

Martmöller erzählt von Krankenschwestern, die weniger Zeit für Patienten haben. Dafür müsse mehr verwaltet und dokumentiert werden. Dabei sei kommunizieren so wichtig. Er spricht von Polizisten mit übermäßigen Dienstzeiten, die ihren Beruf als sinnlos empfinden – Sinnlosigkeit, ein weiteres Zeichen. Oder Druck durch Aggression. Den spürten Mitarbeiter im Jobcenter. Martmöller: „Irgendwann hält man ihn nicht mehr aus.“